Mit der Hand fuhr ich durch das hohe Gras, nahm eine Hand voll und schnitt mit dem Messer in der anderen Hand das Büschel ab. Das abgeschnittene Büschel legte ich zu den anderen und schnitt einen weiteren ab. Zufrieden meinem Stapel nahm ich ihn zusammen und ging zur Hütte. Dort legte ich das abgeschnittene Gras in die Mitte.
Da wir bald in die Hütte ziehen wollten, hatte ich beschlossen uns den harten Boden etwas gemütlicher zu machen und angefangen mit Taris Messer Gras zu scheiden. Ich hatte bereits die zweite Ladung hier her gebracht und wollte noch zwei machen, bevor ich wieder zu Taris ging.
Ich verließ die Hütte wieder und ging erneut zum Gras. Beim abscheiden der festen Grashalme wanderten meine Gedanken zu unserm Gespräch gestern Abend. Taris hatte mich vollkommen überrumpelt mit seiner Aussage. Da ich keine Ahnung gehabt hatte, wie ich reagieren sollte, hatte ich geschwiegen. Taris hatte mich lange gemustert. Wahrscheinlich um mein Schweigen einzuordnen. Nach einer langen Zeit hatte er schließlich nur eine Frage gestellt: „Liebst du deine Familie?" Erneut überrumpelt war mir mehr Wahrheit rausgerutscht, als ich wollte: „Über alles!"
Zufrieden mit dieser Antwort hatte sich Taris schlafen gelegt, doch mir schossen noch lange die Gedanken durch den Kopf. Auch jetzt fragte ich mich die ganze Zeit, ob er nun wusste, weshalb ich weggelaufen war, oder ob er er zumindest vermutete. Heute, im strahlenden Sonnenschein kamen mir dir Fragen jedoch nicht mehr beängstigen vor. Stattdessen fragte ich mich, warum es schlimm sein sollte, dass er die Wahrheit wusste. Taris hatte sein Leben riskiert um uns zu retten und ich meines um ihn zu retten. Warum also sollte ich ihm nicht vertrauen?
Die Tage vergingen und langsam entstanden zwei Lager aus Gras in der Hütte, die von Mal zu Mal bequemer aussahen. Taris wurde kräftiger und am Ende des vierten Tages beschlossen wir, dass wir am nächsten Tag umziehen wollten.
Die Luft war noch kühl, da wir vor Aufregung, viel zu früh wach waren, dennoch beschlossen wir, wenn wir nun schon wach waren, konnten wir auch ebenso gut loslegen. Als erstes räumte ich die Stöcke um den Eingang herum weg, um so die Öffnung zu vergrößern. Es waren unglaublich viele Stöcke und es hatte den Anschein, als würde ich nicht wirklich vorankommen.
Nach einiger Zeit unterbrach mich Taris und meinte, es sei genug. Ganz vorsichtig schob er sich mit den Beinen voran durch die Öffnung. Hilflos, da ich ihm nicht helfen konnte sah ich dabei zu. Endlich so weit draußen, dass er sich im Freien aufsetzen konnte, standen ihm bereits Schweißperlen auf der Stirn. Kurz zweifelte ich daran, ob wir es nicht etwas überstürzt hätten mit dem Umzug. Schließlich würde der anstrengende Teil erst jetzt kommen. Bilder, wie er kraftlos ins Wasser sank und ich ihn nicht mehr aufhelfen konnte, schossen mir durch den Kopf.
Taris musste meine Sorge gesehen haben, denn er klopfte mit der flachen Hand auf den Boden undbedeutete mir mich neben ihn zu setzen. „Keine Angst. Ich werde das schon schaffen. Wir können soviele Pausen machen, wie wir brauchen. Wir haben schließlich den ganzen Tag Zeit." Ich nickte, etwas beruhigter. Taris ruhte sich noch einen Moment aus, dann bedeutete er mir ihm aufzuhelfen.
Nachdem er tagelang in der einen Position verharrt hatte, brauchte er lange zum aufstehen. Sein Körper schien sich an jede neue Position erst einmal gewöhnen zu müssten. Als er schließlich stand und sein gesundes Bein zum ersten Mal voll belastete, knickte es sofort weg und sein gesamtes Gewicht hing mit einem Mal an mir. Meine komplette Kraft ausbringend versuchte ich ihn so langsam wie möglich wieder auf den Boden zu setzen. Dann ließ ich mich erschöpft neben ihn sinken.
Die ganze Zuversicht schien wie weggewischt, als er mich wieder ansah. Nun war ich es, die ihm aufmunternd zu lächelte. „Lass mich mal etwas versuchen, ich habe das bei meiner Großmutter gesehen, als sie einen Mann behandelte, der seit er vom Pferd gefallen war bettlägerig war." sagte ich zu Taris und kroch seitlich an sein gesundes Bein. Ich hob das ausgestreckte Bein hoch, beugte die Gelenke, hielt das Bein in dieser Position und streckte das Bein dann wieder. Dies wiederholte ich so oft, bis mir die Arme lahm wurden.
„Versuch es jetzt mal selbst etwas vom Boden abzuheben." wies ich Taris an. Dieser stützte ich mit den Armen hinter dem Rücken ab und versuchte das ausgestreckte gesunde Bein anzuheben. Er schaffte es den Hacken einige Fingerbreit über den Boden zu heben. „Sehr gut und jetzt versuche es solange wie möglich in dieser Position zu halten." feuerte ich ihn an. Sein verkniffenes Gesicht zeigte mir deutlich, wie anstrengend das für ihn sein musste. Schließlich ließ er ein Bein auf den Bodenzurückfallen.
„Das ist viel zu anstrengend, das schaffe ich nicht." sagte er verzweifelt. „Oh doch, das schaffst du!" sagte ich so überzeugt wie möglich. Beim nächsten Mal schaffte er das Bein etwas höher zu nehmen und es etwas länger über den Boden zu halten. Beim dritten Mal noch höher und länger.
„Sehr gut" lobte ich „und jetzt..." ich winkelte sein Bein an und legte seitlich meine Hand dagegen: „versuche gegen meine Hand zu drücken." Er versuchte es, jedoch merkte ich zunächst kaum etwas. „Du schaffst das!" feuerte ich ihn an und der Druck wurde stärker.
Statt umzuziehen, verbrachten wir nun den ganzen Tag damit, sein Bein zu trainieren. Am Ende des Tages versuchte er erneut aufzustehen und diesmal klappte es. Zwar stand er noch etwas wackelig und stützte den größten Teil seines Gewichtes auf meine Schultern, doch er stand. Mit diesem Erfolgserlebnis kroch er wieder in die Baumhöhle und schlief fast augenblicklich ein.
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Die Güte des Menschen ist meine Währung
Ficção HistóricaJa, wir sind arm und genau das war der Grund, weshalb ich gerade still und heimlich von zuhause weglief. „Ich werde wiederkommen, ich weiß noch nicht wann und wie, aber ich komme wieder. Bitte vergesst mich nicht." Meine Worte waren nicht mehr als e...