Teil 38

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Fünf Tage später war es soweit, Taris brach auf. Ich hatte ihm einige in Blätter geschnürte Kräuter vorbereitet, die er entweder zum Essen oder zum Versorgen seiner Wunden nutzen sollte. Fertig zum Abmarsch stand er nun vor mir, seinen Stock unter den Arm geklemmt, das Knie verbunden und die Kräuter mit einem Verband um seinen Oberkörper gebunden. Das Messer hatte er nicht dabei, nach einigen Diskussionen, wer es am ehesten gebrauchen könnte, hatte er mich schließlich überzeugt, dass ich es nehmen sollte.

Lange standen wir uns gegenüber, ohne, dass einer von uns wusste, wie er sich verabschieden sollte. Schließlich kam Taris auf mich zu und umarmte mich fest. Sein Gesicht in mein Haar gedrückt flüsterte er mir ins Ohr: „Ich komme wieder, versprochen." Es bedurfte nicht vieler Worte und so antwortete ich ebenso schlicht: „Und ich warte, versprochen."

Taris nahm mein Gesicht in seine Hände, sah mir fest in die Augen und beugte sich dann herab um mich zu küssen. Der Kuss war lang und intensiv und besiegelte unsere Versprechen. Schließlich löste sich Taris von mir und trat einen Schritt nach hinten. Gefasst nickte ich einmal erst und er erwiderte es. Er mochte keine Abschiede, ebenso wenig, wie ich. Also drehte er sich einfach um und ging über die Lichtung während ich an der Hütte wartete. Als er am Waldrand angekommen war, drehte er sich noch einmal um und hob seine Hand. Ich hob meine Hand ebenfalls, dann war er auch schon im Wald verschwunden.

Ohne mich zu rühren, oder auch nur die Hand runter zu nehmen sah ich auf die Stelle an der er verschwunden war und lauschte seinen Schritten, die immer leiser wurden. Erst als ich lange Zeit kein Geräusch mehr von ihm vernahm, rührte ich mich wieder. Nicht so recht wissend, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte, setzte ich mich in die Hütte und starrte auf das nun verlassene Lager.

Die Tage vergingen und ich füllte meine Zeit mit so viel Arbeit, dass ich tagsüber nicht dazu kam ihn zu vermissen. Nur Nachts, wenn ich draußen neben dem Feuer saß und in den Sternenhimmel schaute überwältigte mich die Trauer. Doch je mehr Tage vergingen, desto weniger wurden die Tränen und desto selbstständiger wurde ich.

Am Tage bereitete ich die Hütte für den kommenden Herbst vor. Ich füllte jedes der vielen Löcher mit frischem Schlamm aus dem Fluss. Aus Ästen und Schlamm baute ich eine Bank, schüttete einen Weg mit Kies aus dem Fluss bis zum Lagerfeuer, formte kleine Figuren und mehrere Schüsseln aus Schlamm und brannte sie über dem Feuer. Ich hatte sogar Krappwurzeln gefunden aus denen ich rote Farbe gewinnen konnte. Mit dieser malte ich, mit einem Stock, immer neue Muster auf die Wände der Scheune. Mehrmals fing ich Kaninchen und einmal sogar ein Eichhörnchen. Ich experimentierte mit Kräutern herum um mein Essen schmackhafter zu machen und erkundete weiter die Gegend immer auf der Suche nach neuen essbaren Pflanzen.

Die Nächte verbrachte ich draußen vor dem Lagerfeuer, beim Schnitzen mit dem Messer oder sogar laut singend und tanzend. Ich tat alles um mir die Zeit nicht zu lang werden zu lassen. Jede Nacht bevor ich ins Bett ging kratzte ich mit einem Stein eine Linie in das Holz neben meinem Lager. Eine Linie für jeden Tag, den ich nun schon auf Taris wartete.

So vergingen die Wochen und dann auch die Monate. Nachdem ich den Strich für die Mitte des dritten Monats gemacht hatte, fing ich an jeden Tag ein Stück in Richtung der Straße zu gehen, nur um zu sehen, ob ich ihm begegnen würde. Diese Gewohnheit hörte auf, als ich den Strich für das Ende des dritten Monats zeichnete. Von da an wurde ich immer lustloser was meine selbst auferlegten Arbeiten angingen. Am Tag an dem ich den Strich für die Mitte des vierten Monats setzte, blieb ich den ganzen Tag im Bett, so frustriert war ich.

Der Herbst war gekommen und trotz meiner guten Vorbereitung pfiff der Wind durch alle Ritzen, die er noch fand. Bei Regen gab es nur eine kleine Ecke, in der ich trocken blieb. Die Erde in der Hütte verwandelte sich in Matsch und wurde gar nicht mehr trocken. Meine Stimmung spiegelte sich im Wetter wieder, je dunkler der Himmel, desto weniger Lust hatte ich mich nach draußen zu begeben.

Meine Hoffnung und meine Zuversicht, dass Taris noch kommen würde schwanden mit jeden Tag. Ich hatte ihm mein Versprechen gegeben, dass ich auf ihn warten würde, doch ich zweifelte immer stärker daran, dass er seines halten würde. Jeden Tag versuchte ich mir Gründe auszumalen, warum er nicht kommen könnte. Doch bei diesen Visionen war alles dabei von einer Heirat mit einer anderen Frau und dem Tod durch Räuber. Schließlich setzte ich mir eine Endpunkt. Ich würde fünf Monate auf ihn warten, doppelt solange, wie er brauchen wollte. Wenn er bis dann nicht kam, würde ich weiterziehen. Der Winter kam und den könnte ich hier in dieser Hütte voller Löcher nicht überleben.

Durch diese Entscheidung war meine Lebenskraft wieder zurückgekehrt. Ich würde nicht ewig auf ihn warten. Wenn er sein Versprechen nicht halten konnte, so hatte meins auch keine Bedeutung mehr. Nachdem ich den Strich für die dritte Woche des fünften Monats gesetzt hatte, machte ich mich bereit aufzubrechen. Wenn er in einer Woche nicht kommen würde, dann wäre ich weg.

Die Güte des Menschen ist meine WährungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt