Kapitel 3 | I can't

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Zwar noch nicht entschlossen, aber dennoch durch Yeosang überzeugt traten wir den Weg zum Krankenhaus an, indem San schon bereits seit eineinhalb Monaten lag, ohne auch nur einmal die Augen zu öffnen. Mrs Kang hatte sich sofort bereit erklärt, uns hinzufahren und während sie mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen einen freien Parkplatz suchte, wurde mir jedoch immer mulmiger.
,,Yeosang ich kann das nicht" entfuhr es mir als wir im Inbegriff waren, das riesige, nach Desinfektionsmittel riechende Gebäude zu betreten. Yeosang legte eine Hand auf meine Schulter und sah mich an, nur um sie dann im nächsten Moment hinunter zu meiner Hand gleiten zu lassen und mich mit sich in das große Gebäude zu ziehen.
Ich merkte, wie ich anfing zu zittern und das mulmige Gefühl wandelte sich zu Übelkeit. Ich musste mich an Yeosang regelrecht festklammern, damit ich nicht umfallen würde. Dieser strich mir immer wieder beruhigend über den Kopf, während er der Krankenschwester die Situation erklärte. Doch mit jedem weiteren Schritt begannen meine Beine immer mehr zu einem Wackelpudding zu mutieren und mehrere Male versuchte ich den Klos, welcher sich in meinem Hals gebildet hatte, herunterzuschlucken. Natürlich funktionierte das aber nicht. Als wir dann schließlich vor seiner Tür standen und mein Herz meinte, gleich aus meiner Brust springen zu können, hielt ich es einfach nicht mehr aus und brach wie ein Damm mit einem weiteren Heulkrampf zusammen. Immer mehr warme Tränen rannten über meine Wangen und hätte Yeosang mich nicht sofort in seine Arme geschlossen, um zu verhindern, dass ich umkippen würde, wäre ich wahrscheinlich auf die nun leicht verwirrte Krankenschwester gestürzt.
Ich konnte das nicht. Ich wollte das auch nicht. Es war für mich ein verdammt großer Schritt, für den meine Beine einfach nicht lang genug waren, um ihn in eins gehen zu können. Ich spürte Yeosang dicht an meiner Seite und schluchzte in seine Halsbeuge.
,,Ich kann das nicht"
,,Ich kann das nicht" wiederholte ich.

Und das stimmte auch. Ich hatte ein zu großes Schuldgefühl, welches mich einfach nicht loszulassen schien. Ich war es. Ich war es, der San gesagt hatte, dass alles gut werden würde, dass wir es ihnen sagen können. Aber ich hab mich geirrt. Ich wusste einfach nicht, was es für schreckliche Menschen auf der Welt gab, die andere Menschen aufgrund ihrer Sexualität umbringen würden, nur weil sie Vorbilder für sie waren und es ihnen da nicht reinpasste, dass sie auf einmal schwul waren. Ich war viel zu naiv gewesen. Einfach viel zu naiv.

Yeosang deutete der Krankenschwester, dass sie jetzt gehen konnte und nahm mich vorsichtig auf den Arm, um mich auf den großen Balkon zu tragen, der sich direkt auf der rechten Seite neben uns befand. Er setzte mich auf eine der Bänke ab und ließ sich direkt daneben nieder.

,,Es tut mir so leid Wooyoung" murmelte dieser nun.
,,Ich wollte dich nicht überfordern. Das wollte ich wirklich nicht. Ich kann mir zwar vorstellen, wie schwer es für dich sein mag, nachdem, was passiert war diesen Raum zu betreten und in seine immernoch geschlossenen Augen zu schauen, aber ich stecke einfach nicht in dir drin und kann nicht fühlen, was du fühlst"
Unbeabsichtigt zogen sich meine Mundwinkel für eine Millisekunde nach oben, nur um sich gleich wieder fallen zu lassen, worauf Yeosang mich leicht anschubste.
,,Heeey, du kannst doch nicht in diesem, besonders für dich emotionalen Moment zweideutig denken!" Empört sah mich dieser an und schon entlockte er mir damit ein kurzes aber befreiendes Lachen, in welches er sofort miteinstimmte. Schon um einiges leichter ums Herz lehnte ich mich nachdem ich mir die letzte Träne weggewischt hatte, an Yeosang, um ein bisschen nachzudenken.

Meine Eltern haben auf meinen Wunsch hin von der Traumatherapie abgesehen und anstatt dessen Yeosang die Erlaubnis gegeben, mich wieder ein bisschen aufzubauen. Manchmal wünschte ich mir einfach alles zu vergessen, was geschehen war. Jeden noch so traumatisierenden Schrei und das grausame Lachen der Täter, die immer noch nicht gefasst wurden wollte ich nicht mehr hören, doch immer wieder spielte sich auch am Tag das gleiche Szenario in meinem Kopf ab. Ich wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte...
Ich wollte das alles nicht mehr. Das einzige was ich wollte, war zu ihm...

𝑪𝒂𝒖𝒈𝒉𝒕 𝒊𝒏 𝒂 𝒅𝒓𝒆𝒂𝒎 ✰ Woosan✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt