Epilog

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~ 67 Jahre später

,,Tschüß, Opa Woo!"
,,Tschüß, Opi, bis nächste Woche!"
,,Aber nicht doch. Das heißt auf Wiedersehen, schließlich wollen wir uns ja alle wiedersehen!"
,,Opi, du bist komisch."
Lächelnd winkte ich meinen kleinen Enkelkindern, die nun kichernd die Tür hinter sich schlossen. Was für niedliche Kinder sie doch waren. Der Große 17, die Kleine 8. Es freute mich immer unglaublich, wenn sie mich besuchen kamen und insgeheim hoffte ich, dass ich ihr Lieblingsopa war. Spitzbübisch schielte ich zu meinem Mann. Changbin hatte nach mindestens 2 Jahren des vergeblichen Suchens endlich seinen Koffer mit den selbstgeschriebenen Liedern aus seiner Kindheit wiedergefunden und versuchte nun schon seit Stunden, diese zu entziffern.

Ich schaute auf meine Uhr. Schon halb fünf.
,,Changbinnie, kommst du? Es ist schon spät, lass uns endlich losfahren."
,,Ja, ja, hast ja recht, ich komm schon. Wo hab ich denn... ah, da, okay, lass uns los."
Schnell griff er noch zu seiner Brille, ohne die er nicht einen einzigen Meter fahren konnte, ohne irgendwo gegenzustoßen, ehe er mir noch einen Klaps auf den Po gab und ins Auto einstieg. Wir fuhren los und je näher wir unserem Ziel kamen, desto mulmiger wurde mir. Nur noch einmal um die Ecke und wir würden da sein. An dem Ort, an dem mein Herz nun schon seit knappen 67 Jahren begraben lag.

Nun fing ich an, zu zittern. Vereinzelte Tränen ließen sich nicht aufhalten, sich ihren Weg über meine mittlerweile zerfallenen, alten Wangen zu bahnen. Ich wusste, warum ich diesen Ort so gut es ging mied. Wenn ich vor ihm stand, würde es nur in weiteren Tränenausbrüchen enden und das, obwohl seitdem schon so lange Zeit vergangen war. Eine beruhigende Hand fand sich auf meinem Oberschenkel wieder. Dankend sah ich zu meinem Ehemann. Er war wie ein Retter in der Not gewesen... Doch es gab Sachen, die man einfach nicht mehr heilen konnte. Damals hatte jeder versucht, mein Herz wieder zusammenzukleben und jeder einzelne war gescheitert. Nur Changbin hatte es gar nicht erst versucht und stattdessen einfach einen Verband um die zerbrochenen Teile gewickelt.

Da stand ich nun also. Vor dem Grab, das nicht nur eine Seele mit unter die Erde genommen hatte, sondern meine gleich mit. Wie es aussah, waren Yeosang und Seonghwa schon dagewesen, denn sie hatten wie jedes Jahr einen Brief dagelassen, indem wahrscheinlich stand, dass er sich weiter um mich kümmern und auf mich Acht geben sollte. Ich hatte ihn vor ein paar Jahren einmal ausversehend gelesen. Die beiden machten sich echt immer noch Sorgen um mich, seit der ganzen Selbstzweifel von damals... Nein, darüber sollte ich jetzt nicht nachdenken. Vorsichtig drückte ich Changbins Hand, während weitere Tränen über mein Gesicht strömten.

,,Sannie... Ich weiß, dass ich dich viel zu selten besuchen komme... das tut mir Leid. Ich hoffe du wachst weiterhin über mir und meinem Herzen. Lass es nicht verloren gehen, hörst du?"
Mich zu einem Lächeln zwingend, legte ich die Blumen auf sein Grab. Ich hatte mir tatsächlich echten Beinwell für ihn bestellt. Ein Schluchzer entfloh meiner rauen Kehle. Ja... selbst nach 67 Jahren vermisste ich ihn immer noch. Meinen Sannie... wie wäre es wohl, jetzt in seinen Armen liegen zu können? Wann würde wohl der Tag kommen, an dem ich wieder bei ihm sein konnte?

-

Müde vom Tag, versuchte ich Schlaf zu finden.
Langsam drehte ich mich um. Ich spürte die Wärme von Changbin nah an meinem Rücken. Es schien, eine ganz normale Nacht zu werden, doch etwas war anders. Die Wärme von ihm bohrte sich regelrecht in mein Knochenmark. Mir wurde heiß, so heiß, dass mein Herz zu rasen begann, aber dennoch wollte ich nicht aufstehen. Gerade in diesem Moment, fühlte es sich so unglaublich gut an, einfach liegen zu bleiben und sich nicht mehr bewegen zu wollen. Tief atmete ich aus, ehe ich wieder zu schlafen versuchte. Ich fühlte mich schwer... so schwer, dass ich das Gefühl hatte, aus der Welt zu fallen, doch unwohl fühlte ich mich dabei nicht. Eher im Gegenteil. Ich fühlte mich, so als ob da noch jemand wäre. Als ob da jemand wäre, den ich um jeden Preis finden musste.

Ohne es zu bemerken, hatte ich aufgehört zu atmen. Mein Herz hatte aufgehört zu schlagen und mein Körper wurde kalt, doch von innen brodelte er heiß, wie Lava. Ich jedoch spürte nichts davon. Ich spürte nur, wie ich immer weiter fiel, mit jeder Sekunde schwerer wurde und schneller fiel. Und ehe ich mich versah, war ich wieder im Nichts. Doch... es war ein anderes Nichts. Es war nicht furchteinflößend, noch ließ es mich unwohl fühlen. Ich genoss die Stille, die mich umgab. Würde ich jetzt zu Gott kommen? Würde ich jetzt Jesus Christus begegnen? Würde er mich richten zu den Toten? Immer weiter zeriss das Nichts meinen Körper, bis ich meine Kontrolle verlor. Aber es war nicht schlimm, die Kontrolle über meinen Körper abgeben zu müssen... schließlich blieb mir ja noch etwas - Erinnerungen.

Da! Dort vorne erkannte ich etwas. Je näher ich diesem etwas kam, desto mehr konnte ich erkennen, was es war. Eine Tür baute sich vor mir auf. Eine Tür, die tiefer ins endlose Nichts führte. Eine Tür, aus der hell leuchtende Strahlen hinausschienen. Was würde passieren... würde ich diese Tür öffnen? Vorsichtig griff ich zur Türklinke, drückte sie langsam hinunter. Da öffnete sie sich von selbst. Ich wollte meine Augen schließen. Hell leuchtendes Licht strahlte mir entgegen und umhüllte mich. Als ich mich jedoch daran gewöhnte, erkannte ich noch etwas. Es war recht unauffällig, fast schon durchsichtig, doch da war etwas. Etwas vertrautes.

Langsam strecke ich meine Hand aus und berührte dieses Etwas, das sich direkt mit ihr verschloss. Es war eine Hand... war seine Hand. Wärme umschloss mich ein letztes Mal, ein letztes Mal durchströmte mich ein wohliges Kribbeln. Ich spürte es. Das warst du... Sannie, nicht wahr? Ich versuchte, mich zu konzentrieren, an unseren Händen hochzublicken. Und da sah ich es wieder. Dein Lächeln. Das Lächeln, das du mir die ganzen Jahre über versteckt hattest, das Lächeln, das ich so sehr vermisst hatte. Das Lächeln, wegen dem ich damals in einen Traum eingebrochen war. In einem Traum, in dem ich auch nachdem ich aufwachte, noch immer gefangen war.

Dieses Lächeln, das alles ausgelöst hatte, das zeigtest du mir jetzt. Jetzt in diesem Augenblick galten nur noch wir zwei. Du und ich. Sannie und Woo. Wir beide, die zusammen, Hand in Hand über die leuchtende Türschwelle den letzten Weg nach Hause antraten...

... endlich zusammen aus unserem Traum ausbrachen.

Caught in a dream - ENDE

𝑪𝒂𝒖𝒈𝒉𝒕 𝒊𝒏 𝒂 𝒅𝒓𝒆𝒂𝒎 ✰ Woosan✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt