13

1.8K 77 12
                                    

"Sorry..." nuschelte ich und schniefte leise. Ich brauchte Abstand und so floh ich aus seinen Armen und kramte nach Taschentüchern.
Marten beobachtete mich nachdenklich und folgte mir als ich auf meinen kleinen Balkon flüchtete.
Er sah mich an, in seinen Augen war zu erkennen das er nun neugierig war. Dennoch bat er mich nicht darum mehr zu erzählen.

"Ist nicht so einfach weisst du..." krächzte ich und fuhr mir mit dem Ärmel meines Pullis übers Gesicht.

"Schon in Ordnung... Du musst auch nicht näher drauf eingehen wenn es dich so aufwühlt." sagte er mit Ruhe in der Stimme und besänftigte mich damit etwas.

"Es ist nicht so das ich nicht will das du von all dem weißt. Ich... Hab es nur noch nie ausgesprochen." gestand ich als mir selbst zum ersten Mal klar wurde das ich tatsächlich noch nie darüber gesprochen hatte. Alle anderen hatten es mir oft genug vor Augen gehalten, doch ich selbst war bisher nicht dazu in der Lage gewesen es zu sagen.
Marten lehnte neben mir am Geländer während ich unbeholfen meine Hände in den Ärmeln versteckte und an der Naht herumzupfte.

"Ich heiße Viktoria von Hahnfeld, meine Eltern... Alois und Angelika Egger." murmelte ich und starrte förmlich Löcher in den Boden. Es war ein etwas ungeschickter Versuch ihm zu erklären was hinter meinen Tränen steckte.

"... Adoptiert?" fragte Marten nach und setzte sich vor mich auf einen der Stühle.

"Nein..." hauchte ich und verzog das Gesicht.

"Scheidungskind?" fragte er erneut. Wieder schüttelte ich den Kopf und sah dann zu ihm.

"Ich bin Verheiratet. Nein, ich war verheiratet. Ach was weiß ich!" stieß ich aus und griff nach meinen Zigaretten.
Ich zitterte allerdings so sehr das ich sie nicht richtig zum glimmen brachte, Marten war allerdings so nett und half mir aus, auch wenn sein Blick mir sagte das er nun verwirrt war.

"Es ist etwas über zwei Jahre her. Wir waren auf dem Weg nach Hause und hatten gerade erfahren das wir einen Jungen bekommen würden... Ich war in der achtzehnten Woche schwanger und... sooo unglaublich glücklich." murmelte ich leise und wich Martens Blick aus. Er ließ sich nicht anmerken was er fühlte oder dachte. Er sah mich einfach nur an und hörte zu.

Ich brauchte einen Moment bevor ich weiter sprach.

"Wir standen an einer Kreuzung, es war ziehmlich glatt weil es Nachts geschneit hatte. Keine Ahnung, es hat getaut und frohr dann wieder... Jedenfalls... Da kam ein Lastwagen und als der bremste hatte er sich quer gestellt, ist über die Kreuzung gerutscht und hat uns in die Wägen hinter uns gedrückt." erzählte ich und schüttelte den Kopf um die Bilder, die sich vor meinem inneren Auge abspielten, los zu werden.

"Scheisse..." murmelte Marten und fuhr sich durchs Gesicht. Es war vermutlich die ehrlichste Reaktion die ich seit diesem Tag zu hören bekommen hatte.

"Ich wusste das unser Glück in genau diesem Moment ein Ende hat, ich wusste es noch bevor der Wagen wieder stoppte. Diese Szenen in Filmen, wo es plötzlich ganz ruhig wird... Das ist wirklich so. Es war so still um uns das es kaum auszuhalten war." berichtete ich und spürte wie ich langsam ruhiger wurde. Wieso konnte ich nicht genau sagen, vermutlich tat es meiner Seele einfach gut, sich endlich den ganzen Kummer ab zu sprechen.
Dennoch schwieg ich nun eine ganze Zeit lang. Marten schien das irgendwie unangenehm zu sein denn er wippte nervös mit einem Fuss auf und ab während er seine Ellenbogen auf seinen Knien abgestützt hatte und nachdenklich ins Leere sah.

"Er hat meine Hand gehalten... Mich angesehen und es tatsächlich gewagt sich von mir zu verabschieden." schluchzte ich dann und konnte nicht verhindern das ich bitter auflachte.

"Komm her..." murmelte Marten und lehnte sich zurück so das ich mich auf seinen Schoss setzen konnte. Er schlang seine Arme um mich und hielt mich einfach nur fest.
Ich weinte all meinen Kummer in seinen Pullover und hatte dabei nichtmal ein schlechtes Gewissen, obwohl Marten ja nichtmal mein Freund war. Ich wusste ja nichteinmal ob ich ihn als EINEN Freund bezeichnen konnte.

"... und euer Sohn?" fragte Marten als ich mich halbwegs beruhigt hatte.

"Er hat sich gemeinsam mit seinem Vater auf den Weg gemacht." seufzte ich irgendwann ausgelaugt. Es hatte mich ziemlich viel Kraft gekostet Marten von all dem zu erzählen. Nun war es aber endlich gesagt und ich somit um einiges erleichtert.
"Tut mir leid." murmelte Marten leise. Erst jetzt bemerkte ich das er offenbar schon eine ganze Weile kleine Kreise auf meine Haut zeichnete.

"Können wir rein gehen?" fragte ich nach kurzem Überlegen und sah zu ihm auf. Marten hatte immer noch ein nachdenkliches Gesicht, nickte aber und folgte mir dann zurück in mein Wohnzimmer.

"Wenn ich meine Eltern besuche... Schlafe ich in unserem... meinem Haus. In einem Bett in dem auch mein Mann geschlafen hat. Neben dem Schlafzimmer ist das Kinderzimmer das zum Großteil eingerichtet ist. Noch Wochen nach dem Unfall kamen immer noch Pakete.
Ich selbst hab die jedoch nicht angenommen denn ich war selbst einmal Tot, aber mich konnte man zurück holen. Es hat fast ein Jahr gedauert bis ich wieder alleine Leben konnte. Ich musste bei Null anfangen, wieder laufen lernen, essen und schlucken, duschen, Zähneputzen... " erzählte ich und klang dabei unerwartet gefestigt.

"Aber weißt du was mir bis zum heutigen Tag am meisten weh tut?" fragte ich Marten und sah ihm geradewegs ins Gesicht.
Marten legte den Kopf schief und mussterte mich abwartend.

"Diese Gott verdammten Blicke. Sie sehen mich an und denken sich. 'Die Frau die ihre Familie verloren hat... ' Es kotzt mich so an! Ich hab es so satt! Alle gaffen dich an, heucheln Mitleid und weichen dir aus weil sie Angst haben sie könnten etwas falsches sagen, dich verletzen oder was weiß der Teufel was." sagte ich wütend und verzog angewidert das Gesicht.

"Klingt so als wärst du nach Hamburg gegangen um vor deiner Vergangenheit zu flüchten." stellte er fest, bot mir im selben Zug aber seine Nähe an.
"Nicht direkt. Eher bin ich vor mir selbst geflohen. Irgendwie..." murmelte ich und schloss meine Augen. Es war so unglaublich schön das Marten mich nicht auf Distanz hielt obwohl ich selbst nicht so genau wusste was ich wollte.

Ein Teil von mir wollte ihn so sehr, emotional genauso wie physisch.
Der anderen Teil schrie nach Flucht. Flucht vor Gefühlen die mir gefährlich werden konnte, wenn sich das alles nochmal wiederholen würde.

DavorlebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt