"Was für ne Scheisse..." murmelte ich und schlich um mein Motorrad herum. Es nervte mich das ausgerechnet einen Tag vor der Charitytour ein Vollpfosten mit dem Einkaufswagen in mein Motorrad gedonnert war.
Woher ich wusste das es ein Einkaufswagen war?
Ich war der Vollpfosten!
Das würde ich Marten aber nichteinmal erzählen wenn mir das linke Bein abfaulen würde.
"Scheisse..." seufzte ich und ging in die Hocke. Eigentlich sah man den Kratzer kaum. Zumindest wenn man Blind war, bestand die Chance ihn zu übersehen.
"Hey, was los?" rief Marten von weitem. Neben ihm lief Nasty, den hatte ich schon öfter gesehen und fand ihn eigentlich ganz Nett. Trotzdem hatte ich gerade weder auf den einen noch auf den anderen Bock. Mich nervte es das mein Baby lediert war und so sah ich unzufrieden zu den beiden Männern.
"Hi Nasty..." seufzte ich und streckte zugleich meine Hand nach Marten aus.
"Kannst du mich bitte kurz lieb haben? Mein Herz blutet." nuschelte ich gespielt weinerlich und vergrub mein Gesicht an seiner Kutte.
"Was ist den los?" gluckste Er und schielte an mir vorbei.
"Baby hat Aua..." seufzte ich und nickte hinter mich.
"Wo?" fragte Nasty und schlich um mein Motorrad rum.
"Na da..." jammerte ich und deutete mit meiner Fussspitze an die Macke.
"Sieht man ja garnicht richtig." zuckte Marten mit den Schultern.
"Aber ich weiß es... Nervt mich."murmelte ich schmollend während Nasty laut lachte.
"Andere regen sich wegen nem abgebrochenen Fingernagel auf... So ist das auch mal ne nette Abwechslung." lachte Nasty und klopfte Marten auf die Schulter während ich mir mit einer Hand wieder das Haar raufte und mich selbst verfluchte.
"Morgen ziehst du die Hose nicht an." stellte Marten unterdessen klar und ließ mich so verwirrt zu ihm sehen.
"Was?" fragte ich nach und konnte einen warnenden Unterton nicht verhindern. Es war nicht diese Art von 'Was?' welche ihm sagen sollte ich habe nicht verstanden. Es war eher dieses 'Bist du dir sicher das du deinen Satz nicht doch nochmal überdenken möchtest.' - was.
"Die Hose... Bleibt morgen zuhause." sagte er, zwar leiser aber doch mit Überzeugung.
Nasty schmunzelte, schien zu verstehen das der Kratzer in meinem Bike eigentlich der Grund dafür war das ich mich ernsthaft mit Marten anlegen wollte. Ich war genervt und dementsprechend hatte ich keine Geduld für seine Ansicht.
Mein Blick hatte Bände gesprochen, Nasty gluckste und Marten sah mich böse an. Diskutieren würde ich nicht, er würde morgen schon sehen was er von seiner Ansage heute hatte.
Mein Kratzerproblem wurde dann tatsächlich noch gelöst. Marten hatte mir sein 'Wunderheilmittel' gegen kleine Kratzer gegeben. Auf gut Deutsch, den Kratzer konnte ich zum Glück weg polieren.
Marten war schon weg als ich morgens aus der Dusche kam. Er würde mit seinen Jungs zum Start der Parade fahren. Ich hatte mich über Facebook mit einigen Hamburger H.O.G's verabredet und so würden wir uns erst vor Ort treffen. Ich grinste Böse als ich in meine Schwarze Röhrenjeans schlüpfte. Es war eine ähnliche Hose wie die die ich gestern getragen hatte, mit dem Unterschied das die von gestern hellblau gewesen war und die heutige eben für Motorradfahrer war. Sie bestand aus Kevlar und würde im Falle eines Sturzes nicht kaputt gehen und mich ähnlich gut schützen wie ein Lederdress. Lediglich Protektoren hatte sie nicht, daß nahm ich allerdings in Kauf.
Dazu trug ich ein olivgrünes Top und darüber meine schwarze Lederjacke mit den H.O.G Patches. Über meiner rechten Brust waren zwei Patches angebracht.
'Snow' und 'Lifemember'
Darunter mehrere Pins die neben Dauer der Mitgliedschaft auch noch andere Bedeutungen hatten.
Über der linken Brust stand meine 'Funktion' denn auch wir H.O.G's hatten Weltweit Chapter. Ich blieb meinem Treu, doch durch den Umzug nach Hamburg sah ich die Jungs und Mädels nur sehr selten. Das war aber auch okay so. Jeder von uns hatte ein Leben und durch die größe des Chapters fiel es auch nur den engeren Freunden auf wenn man mal länger nicht da war.
Meine Funktion im Chapter war nicht wirklich von Bedeutung. Es gab mehrere von uns die diesen Patch trugen. 'Emergency Doc.' Den Patch trugen zumindest in unserem Chapter all jene die einen Beruf ausübten der im Medizinischen Bereich statt fand.
Trotzdem war ich stolz auf meine Kutte.
Eigentlich wollte ich, um Marten ein wenig hoch zu nehmen, meine 'richtige' Kutte anziehen welche man an den Seiten schnürte und dadurch meine Brüste hoch schob. Es war mir aber schlichtweg zu riskant so offenherzig Motorrad zu fahren.
Schließlich gab es nie eine Garantie dafür ob es einen nicht doch noch auf die Nase legte.
Meine Boots rundeten gemeinsam mit einigen kleinen Goldenen Accessoires mein Outfit ab. Ich war gespannt ob Marten mich so überhaupt erkennen würde. Gut, mein Motorrad mit dem Kennzeichen das immer noch auf den Wohnsitz in Österreich lief würde mich neben der Maschine selbst auch verraten. Dennoch war ich gespannt ob ich ihm so gefiel.
Zumindest ich fühlte mich so richtig wohl und freute mich auf das Gefühl mit einigen gleichgesinnten eine Tour durch Europa zu machen.
Die Tour würde uns von Hamburg in die Schweiz führen. Dort war ein kleines Biker Treffen welchem wir zwei Tage beiwohnen würden. Von dort aus würde es weiter gehen nach Italien und von Italien nach Österreich zur European Bikeweek. Dem größten Bikertreffen Europas. In Österreich würden wir sechs Tage bleiben und danach die Heimreise antreten.
Ich freute mich drauf und war gespannt wie es sein würde mit Marten an meiner Seite. Den auch das kannte ich bisher nur an der Seite meines verstorbenen Mannes.
Ich seufzte zufrieden auf als ich wenig später mein Motorrad startete und die Vibrationen spürte die es durch meinen Körper jagte. Es war das Gefühl von Freiheit das mich jedes Mal auf ein neues beflügelte.
Ich rollte langsam aus der Garage und sah noch einmal zurück.
Meinen Rucksack mit Dingen die man für zwei Wochen brauchte, hatte ich auf dem Rücken. Dinge wie Zahnbürste, Unterwäsche, Klamotten und Makeup. Den Rest würde ich mir vor Ort kaufen. Zumal ich Platz sparen musste, denn ich kannte mich. Ich würde Klamottentechnisch beim Schoppen vermutlich vollkommen eskalieren.
Vielleicht... Oder nein... Ganz sicher sogar.
"Baby, auf ne schöne Tour." murmelte ich unter meinem Faceshield und klopfte als Tradition auf meinen Tank.
Dann fuhr ich los.
Zwei Wochen on Tour. Auf meinem Bike, mit vielen Gleichgesinnten... und Marten.
Dem Mann der meinem Leben eine große Portion Glück zurück gegeben hatte.
