Irgendwie war ihr klar gewesen, dass Annabella aus der Sache mit Herrn Arlstein nicht so leicht rauskommen würde. Als sie keine andere Möglichkeit mehr gesehen hatte, hatte sie dem Kriminalbeamten die Zusage zum Rendezvous übermitteln lassen. Seine Antwort war ein Blumenstrauß voller Windengewächse gewesen. Die Botschaft war klar: "So schnell wirst du mich nicht los."
Zwischen den rosa-, violett-, und blaufarbenen Blüten war außerdem eine Karte gesteckt, in der Herr Arlstein geschrieben hatte: Schön, dass Ihr Euch auf den Handel eingelassen habt. Ich hole Euch am kommenden siebten Tag um neun Uhr morgens ab. Bis dahin alles Gute. Vitus.
Als Annabella fertig gelesen hatte, hatte sie mit aufgeblähten Nasenflügeln das Papier zerknüllt. Handel. Sein Briefchen war blanker Hohn. Das war nichts anderes als Erpressung, aber sie wollte das Schicksal ihrer Familie nicht in die Hände eines Kriminalbeamten legen, eines Mannes, der die komplette Gendarmerie hinter sich hatte - noch. Wäre ihr Vater erstmal vom Königreich Kondal als Gouverneur ernannt und nicht nur in seiner derzeitigen Position als Stellvertreter aktiv, würde es diesem Arlstein an den Kragen gehen. Immerhin konnte der Gouverneur über das Personal in der Verwaltung und Gendarmerie verfügen wie es ihm beliebte.
Doch bis Vater Wendelin rechtmäßiger Gouverneur sein würde, dauerte es noch an die zweieinhalb Monate: Noch zwei Wochen, bis das Schiff mit der Botschaft über Gustavs Tod in Kondal angelegt hätte, einen Monat, bis die Herrschaften im Königshaus die Ernennung beschlossen hätten und einen Monat, bis die Verfügung mit dem Schiff in Manava ankommen würde. Bis dahin blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf ein Rendezvous mit Vitus einzulassen.
Während Annabella im Schatten ihres Appartements in der Innenstadt von Manava wartete und dabei nervös hin und her tänzelte, glitten ihre Hände immer wieder zu ihrem Mund. Heute schützten pastellorange Handschuhe, die die samtig weiche Oberfläche eines Pfirsich hatten, ihre Fingernägel.
Annabella verlor keinen Gedanken daran, ob Opa Gustav wirklich getötet worden war. Für sie galt nur, die Ermittlungen zu verhüten. Vielleicht bekam ihr das Studium der Rechtswissenschaften nicht gut. Hier hatte sie gelernt, wie man die Paragraphen zum eigenen Vorteil verdrehen konnte. Regelungslücken, Auslegung, undefinierte Rechtsbegriffe.
Doch im vorliegenden Fall half auch das beste Studium nichts. Sie konnte ja schlecht zur Gendarmerie gehen und sagen, dass Herr Arlstein sie mit zurückgehaltenenen Mordermittlungegen gegen die Mangold-Familie erpressen würde.
Unvermittelt schlug sich Annabella mit der flachen Hand gegen die Stirn. Welch dumme Gedanken. Ein kühler Luftzug, der die Zypressenbäumchen links und rechts vor der Haustür aus dunklem Akazienholz wippen ließ, strich angenehm über ihre Haut. Dieser Meeresbrise war es zu verdanken, dass zwischen den grauen Steinhausfassaden keine stickige Hitze herrschte.
Der Wind trug den Klang klappernder Hufe auf dem nackten Kopfsteinpflaster mit sich. Aufgeregt reckte Annabella das Kinn, als hinter der Biegung der Gasse eine von zwei Fuchsschimmeln gezogene Kutsche auffuhr. Sie wich einen Schritt zurück, um dem Gespann Platz zu machen, doch der Fahrer zügelte mitten in der Gasse die Pferde.
Die Holztür schwang auf und Vitus Arlstein stieg aus. Er klappte die Trittstufen aus und wandte sich mit einem galanten Lächeln an Annabella. "Dagars Schutz mit Euch, Annabella. Ihr seht hübsch aus."
Natürlich sah sie hübsch aus. Ihre Garderobe wählte sie schließlich mit Bedacht; nur Farben, die ihren hellbraunen Haaren und ihrer leicht gebräunten Haut schmeichelten. Heute trug Annabella ein pastellorangefarbenes Kleid aus glänzendem Taft, das ihre schmale Taille betonte. Der Schnitt ließ ihre Schulterpartie unbedeckt. Die Bediensteten ihres Großvaters und Vaters hatten sie gerne als verzogene Göre bezeichnet, doch Annabella liebte es seit jeher, sich in ausladende Kleider zu hüllen. Als Gouverneurstochter war das ihrem Stand nur angemessen. Sie reckte ihre Nase noch höher und erwiderte spitz: "Habt Dank, werter Herr Arlstein."
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Der Mythos von Tarragoss
Fantasy"Legt man sich mit den Ureinwohnern an, legt man sich mit der ganzen Insel an." * * * Die Südseeinsel Tarragoss ist die Heimat von Kolonisten, Ureinwohnern und einem unterdrückten Mischvolk. Im Pulverfass aus altem Hass, Verzweiflung und Rachegelüst...