24. Gottkinder und Langeweile

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Selten war es Vitus so schwergefallen, Machalla zu verlassen. Der tiefe Dank und die immer noch herrschende Zuneigung ihr gegenüber wollten, dass er bei ihr blieb. Aber ein innerer Zwang, der ihn sonst zum Platzen gebracht hätte, trieb ihn so schnell wie möglich zurück in sein Leben als Kriminalbeamter. In sein Leben in der Innenstadt, in der Machalla keinen Platz hatte.

Er musste es zu Ende bringen.

Nach einem prasselnden Regenschauer, den er zusammen mit Machalla in ihrem hellhörigen Appartement aushockte, war es Zeit zum Aufbruch. Zum Abschied hielt Vitus sie in einer langen Umarmung, wollte er sie doch nicht wieder loslassen und dann möglicherweise für Monate nicht wiedersehen.

"Du bist anhänglicher als sonst", sagte sie, als sie ihm über den Rücken strich.

Statt es abzustreiten, drückte Vitus seine Wange gegen die ihre. Der blumige Duft ihrer Haare war betörend. "Du wirst mir fehlen."

"Nakoa." Machalla klang zögerlich, als sie sich von ihm löste, seine Hände nahm und vor ihren Körper führte. "Was auch immer da in dir aufflammt, gilt nicht mir. Du hast dir zu lange vorgemacht, zu mir zurückkommen zu wollen, aber im Grunde bin ich dir nicht wichtig genug, es doch zu tun."

Vitus zog seine Hände zurück - seine einzige Reaktion in der körperlichen Starre, die ihn überkam. "Du weißt, warum ich nicht zur Ruhe komme, ehe der Drogenbaron verhaftet ist."

Machalla legte eine Hand auf seine unversehrte Gesichtshälfte und blickte ihn mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck an. "Lass die Vergangenheit nicht deine Gegenwart bestimmen. Du kannst nicht ändern, was deiner Familie geschehen ist."

"Aber ich will Gerechtigkeit."

Machalla schloss die Augen und seufzte. "Ich wünsche dir alles Glück der Erde, aber ich werde nicht länger auf dich warten."

Genauso, wie er in seiner Welt gefangen war, hatte auch sie ihren Stolz. Und zwölf Jahre, in denen jeder auf eine Entscheidung des jeweils anderen gewartet hatte, waren zu lang. 

Vitus nickte und wisperte mit einem schmerzhaft dickem Kloß im Hals: "Pass auf dich auf."

Als sich Machalla abwandte und ihm keinen Blick mehr schenkte, befiel ihn eine plötzliche Leere. 

Ihm zersprang das Herz, als er die glitschige Außentreppe hinunter taumelte und gar nicht begriff, was passiert war. Vitus' Augen kitzelten, während die Kinder der Nachbarschaft in die Pfützen der Schlaglöcher sprangen, kreischten und lachten.

Dampf lag in der Luft und die Wege aus Kopfsteinpflaster schimmerten wie silbrige Schlangen, als er an jenem späten Nachmittag das hohe Tor aus dunklem Koaholz an der Hafenpromenade erreichte.

Dabei schlugen zwei Herzen in seiner Brust. Eines schrie ihn an, zu Machalla zurückzukehren und sein Leben als Kolonist und Beamter hinter sich zu lassen.

Das andere hingegen schlug für eine impartinente Dame aus der Oberschicht, die ihn noch nicht mal leiden konnte. Wobei: Im Nachhinein betrachtet glaubte er, Annabella wäre ihm an dem Abend im Krummen Anker recht zugeneigt gewesen. Leidenschaftliche Tänze wie der Arrata bewirkten manchmal wahre Wunder und vielleicht war es Vitus gelungen, ihre Gunst zu gewinnen.

Bei dieser Überlegung wollte er seinen Kopf gegen den groben Stein der Innenstadtmauer schlagen. Und ich Volltonto hab sie in die Arme ihres Verflossenen gehetzt. Vermutlich hasste Annabella ihn wieder und würde freiwillig kein Wort mit ihm sprechen.

Nachdem sich Vitus einige Augenblicke selbst bemitleidet hatte, straffte er seine Schultern, trat an die Glasscheibe und neigte den Kopf vor dem Pförtner. "Dagars Schutz mit Euch." Sein geschundenes Gesicht bescherte ihm einen skeptischen Blick, sodass sich Vitus zu einer Erklärung gezwungen sah. "Ich bin Vitus Arlstein, Kriminalbeamter bei der Gendarmerie von Manava."

Der Mythos von Tarragoss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt