33.2. Der Drogenbaron von Manava

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"Annabella", wisperte Vitus. Obwohl er ihre Entscheidung - nüchtern betrachtet - absolut verstehen konnte, hatte er sich mehr erhofft. Hatte gehofft, sie würde sich für ihn entscheiden und bei ihm bleiben. Innerlich grunzte er. Wieso sollte sie, wenn sie denkt, danach in den Kerker zu wandern?

Annabella schenkte ihm keinen Blick mehr, als sie auf Reginas Getuschel nickte und ein paar Worte erwiderte.

Dann wurde Reginas Blick wieder scharf. "Schön stehen bleiben", befahl sie an Vitus gewandt. Ihre Stimme war so kalt wie die Schneefälle auf dem Mauna Noe. "Ricardo, fessle ihn!"

Hilflos blickte er um sich. "Womit denn?"

Regina verdrehte die Augen und keifte: "Hier wird sich doch irgendetwas finden lassen."

Betretenes Schweigen machte sich breit.

Vitus kratzte sich am Kopf und blickte seine Fußspitzen an. Es war ihm peinlich, dem Mann - sofern Ricardo diese Bezeichnung denn verdiente - auch nur zuzusehen. Fast schon wollte Vitus ihm die Handschellen anbieten, die er stets bei sich trug, aber irgendwo hatte das Mitleid und der Scham dann doch seine Grenzen.

Schließlich wurde Ricardo bei den bodenlangen, purpurroten Vorhängen fündig, deren goldene Kordel er sich aneignete. Dann trat er schweigend an Vitus heran, der nur ratlos mit den Schultern zuckte.

"Die Hände, Ihr Sautonto!", fluchte Regina.

Vitus wandte sich zu ihr, nur um direkt in den Lauf des Revolvers zu blicken. Ein winziger, perfekt gefräster Stahltunnel, an dessen Ende der Tod lauerte. "Wieso legt Ihr mich nicht gleich an Ort und Stelle um?"

"Denkt Ihr, ich bin bescheuert? Ein Schuss und dreihundert Zeugen, die diesen hören. Oh nein, so nicht", stellte Regina klar. "Wir machen es im Stillen, wo ich Eure Leiche problemlos entsorgen kann. Und jetzt die Hände, bei Dagar nochmal!", forderte sie mit Nachdruck.

Sein Brustkorb senkte sich merklich, als Vitus seufzte und die Hände vor seinem Körper zusammenführte, damit Ricardo diese zusammenbinden konnte. Unwillkürlich schielte Vitus zu Annabella. Sie konnte doch nicht ernsthaft ihr Leben mit so einem Tonto verbringen wollen. Ihre ganze Ausstrahlung sprach Bände. Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst und ihr Blick wanderte zwischen Reginas Gesicht und dem Revolver hin und her.

Es war nur so ein Gedanke, aber ... Vitus schob sich hinter Ricardo, sodass nun er in der Schusslinie stand. Vielleicht ...?

Während Ricardo mit der Kordel hantierte, die irgendwie nicht richtig sitzen wollte, lief es Vitus heiß und kalt den Rücken hinunter. Würde sie oder würde sie nicht? Die Hoffnung war noch nicht verblasst, aber mit jeder Sekunde der Stille starb sie ein Stück weit.

Dann: Ein ohrenbetäubender Knall, gleichzeitig ein Rumpeln und das Klirren von zerberstendem Glas.

Vitus' Blick schnellte über Ricardos Schulter hinweg zu den beiden Frauen. Regina war zur Seite gestolpert, machte jetzt eine Drehung und starrte Annabella mit weit aufgerissenen Augen an. Die sprang ihrer zukünftigen Schwiegermutter hinterher - packte sie an ihrem Arm, in dessen Hand der Revolver lag. Sie rangelten um die Waffe. Schrilles Kreischen ließ die Wände erzittern.

Immer wieder umkreisten sich die Damen wie Hunde, die sich am After beschnüffelten. Ein groteskes Bild. Das Scharlachrot und das Himmelblau der beiden ausgestellten Kleider dominierten im Wechsel. Die Reifröcke wippten unrhythmisch auf und ab und klatschten dabei gegen den Boden.

Hinfort war die Anmut, die Grazie. Es glich einem Kampf von Pfauen, die ihre Federn zu einem Rad schlugen, vibrieren ließen und aufeinander einhackten.

Der Mythos von Tarragoss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt