5. Romantische Razzia

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Mit Schwung öffnete Vitus die Stalltür. In den Sonnenstrahlen, die durch die zersprungenen Scheunenfenster hereinfielen, tanzten die Staubkörner und kitzelten Annabellas Nase. Beim Betreten des Stall schleifte ihr Rock über den mit Stroh bedeckten Boden. Die langen Hälse mehrerer Lamas richteten sich hinter einem Gatter auf und bedachten die beiden Besucher mit treuherzigen Blicken. Ihr wohliges Summen mischte sich mit den gedämpften Stimmen aus einem anderen Bereich des Gebäudes.

Vitus griff nach Annabellas Hand und führte sie den Gang entlang zu einer Tür, hinter der vermutlich das Futter für die Tiere lagerte und die Drogengeschäfte ausgehandelt wurden. Inmitten des Schmutzes fühlte sich Annabella wie eine filigrane Puppe, die hier völlig fehl am Platz war. Schwermütig seufzte sie. Ihr schönes Kleid.

Die Stimmen wurden klarer, je näher sie kamen. Vitus klopfte an, wartete einen Augenblick und öffnete dann die morsche, quietschende Tür. Annabella reckte ihren Hals über Vitus Schulter, denn sie wollte das Treiben mit eigenen Augen sehen. Die Weitläufigkeit der Scheune überraschte sie. Vor ihr erstreckte sich eine Halle, in der ältere Männer, junge Burschen ohne Bartwuchs und Kerle, die in Vitus Alter sein mussten, zwischen Stützbalken umher wuselten und Säcke aus grobem Garn auf Eselkarren verluden. Wenn in den Säcken tatsächlich nur Lahscha war, dann versorgten sie von hier aus vermutlich die gesamte Insel. Alle acht Erobererstädte auf Tarragoss.

Eine Frau entdeckte sie nirgends, was noch mehr zu ihrem Unbehagen beitrug und sie sich deshalb hinter Vitus hielt. Schweigend ließ er den Blick schweifen. Dann schritt er voran zu einem Mann, der in der Ecke der Halle hinter einem Tisch saß und mit dem Zählen klimpernder Münzen beschäftigt war. Vermutlich war er der Bauer, der das Lahscha verkaufte. War er gar der Baron, der in Manava tätig war?

Vitus räusperte sich und fragte: "Kann ich hier grüne Taroknollen kaufen?"

Der missmutige Blick des Bauern schnellte zu Vitus und Annabella und durch seine Zahnlücken nuschelte er: "Seng ejas Chendarmen?"

Annabella hatte gerade so viel verstanden, dass ein heißer Stich durch ihre Adern fuhr. Es war allgemein bekannt, dass ein Gendarm diese Frage immer korrekt beantworten musste, auch wenn er verdeckt ermittelte. Vitus hatte keine Gelegenheit zum Lügen. Schnell hakte sie sich an seinem Arm ein und beschwichtigte: "Gendarm? Nie im Leben! Ich feiere bald Geburtstag und da wollte ich unseren Gästen was ganz Besonderes bieten."

Skeptisch verzog der von Falten zerfurchte Bauer die Augenbrauen. "Grina Taroknilla eso. Wefel?"

"Wie viel bekommt man für einen goldenen Fuchsling?", fragte Vitus.

Sein Gegenüber brach in Gelächter aus, das in Annabellas Ohren dröhnte. Vielleicht war es nicht die Norm, dass Privatleute mit Goldfuchslingen um sich warfen. Die meisten Abhängigen hatten so viel Geld vielleicht für einen Monat zur Verfügung, wenn überhaupt.

"Rochts es des ellen?"

"Meine Frau sagte doch, es sei für ihren Geburtstag", beantwortete Vitus die Frage, die Annabella noch nicht einmal verstanden hatte.
Schnell klinkte sie sich ein und bestärkte ihren Partner: "Es soll ein großes Fest werden. Immerhin feiere ich mein Vierteljahrhundert." Dass sie sich dabei älter machte als sie tatsächlich war, störte sie nicht. Als sie ihren Blick zu Vitus wandte, erkannte sie ein unterdrücktes Schmunzeln. Offenbar war er zufrieden mit ihrer Beihilfe.

Vitus bedachte sie mit einem warmen Lächeln, löste seinen Arm aus ihrem Griff und strich ihr über den Rücken. "Für dich nur das Beste. Also, was ist? Kommen wir ins Geschäft?"

"En Goldfux, 100 Gramm. Es e Gschafft?", fragte der ledrige Mann.

Mit einem Nicken bestätigte Vitus den Handel. Der Bauer wandte sich nach hinten zu einer Truhe, zählte zwanzig getrocknete Blätter ab und überprüfte das korrekte Gewicht auf einer kleinen Waage. Schließlich legte er noch ein halbes Blatt hinzu und steckte es in einen kleinen Stoffbeutel. "100 Gramm. En Goldfux bitteschen."

Der Mythos von Tarragoss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt