7. Kriminelle und Makha

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Normalerweise wäre es ihm leichter gefallen, seine Begleiterin sitzenzulassen; gerade weil sein Beruf vorging. Bei Annabella vasta Mangold hingegen fiel es ihm schwer, dieses Rendezvous nicht zu Ende zu bringen. Nicht etwa, weil sich Vitus etwas von diesem Abend erwartete, sondern weil er sich für Annabella interessierte. Gerade jetzt, da sie ein Gespräch frei von allen gesellschaftlichen Zwängen hatten führen können, war er des Rätsels Lösung so nahe gekommen. Ihre Wünsche, ihre Ängste, ihre Motive.

Doch das musste bis später warten. Im Augenblick spurtete Vitus die abgewetzten Steinstufen über drei Etagen hinunter, eine Hand am abgegriffenen Messinggeländer. Gemälde und Lampen flogen an ihm vorbei, als er durch das Treppenhaus nach draußen rannte.

Ein aus der Küche kommender Ober, der den Duft des Essens mit sich zog, blieb abrupt stehen, um nicht mit Vitus zusammen zu stoßen. Das Stimmengesäusel wurde lauter und ein paar Leute blickten in Vitus´ Richtung, als er entlang der Tische zur Gasse lief, nur um dort links abzubiegen.

Er war in der Staraloz-Gasse, auf die man vom Balkon aus blicken konnte. Vitus war nicht abgebrüht genug, um nachzusehen, ob Annabella möglicherweise zusah. Jetzt musste er sich auf die Gauner konzentrieren, die die Dunkelheit nutzten, um ihre Drogengeschäfte abzuwickeln.

Natürlich war es nicht ungewöhnlich, den ein oder anderen Unterhändler bei seiner Arbeit zu ertappen - in den äußeren Bezirken. Hier in der Innenstadt war ihm so etwas noch nie untergekommen. Die Drogen hatten sich also tatsächlich bis in das gesittete Manava ausgebreitet.

Ein Mann mit Zylinder hatte mit einem Blondhaarigen gemauschelt. Heimlichtuerisch, verborgen in den Schatten der Nacht hatten sie gehofft, am Rande der belebten Staraloz-Gasse nicht entdeckt zu werden. Doch das dämmrige Licht der Straßenlaterne hatte für Vitus' Augen gereicht. Er hatte den Handel gesehen.

Wo waren die beiden? An der Stelle, wo sie zuvor gestanden hatten, war niemand mehr. Vitus richtete seinen Blick in die Ferne. Paare schlenderten Händchen haltend in der romantisch beleuchteten Gasse. Aber da vorne ... ein Zylinder?

Sofort spurtete Vitus los, quetschte sich zwischen Mauern und Menschen hindurch, wobei seine Hände über rauen Stein streiften. Über das Kopfsteinpflaster hallten seine Schritte wie eine Warnung an den Zylindermann, der sich just in diesem Moment umwandte, große Augen bekam und die Beine in die Hand nahm.

Ein besseres Schuldeingeständnis hätte Vitus nicht bekommen können! Gut, dass ihm die Luft nicht so schnell ausging. Der Flüchtende bog nach rechts in eine noch engere Gasse ab. Es war eine Verbindung zur nächsten Hauptstraße - dem Hamaweg -, damit die Bewohner der Innenstadt nicht zu weit laufen mussten, um eine Kutsche herbeiwinken zu können.

Vitus wusste, was der Flüchtende vorhatte. Entweder in einem Haus verschwinden oder auf den Hama-Weg gelangen und mit der Kutsche fliehen. Er musste unbedingt schneller sein, ehe der Verdächtige weg war.

Als auch Vitus in die Gasse einbog, erkannte er die lange Silhouette mit flatterndem Mantel, die mit einer Hand krampfhaft den Zylinder auf ihrem Kopf festhielt. Wer sich beim Laufen derart behinderte, war selbst schuld, wenn er gefasst wurde. Ein weiterer Vorteil für Vitus war, dass die meisten Menschen aus der Oberschicht keine Ausdauer hatten. Noch weniger konnten sie unter den tropischen Bedingungen bestehen, wenngleich die Luft allmählich kühler wurde. So holte er immer weiter zum Zylindermann auf.

Doch ehe Vitus ihn fassen konnte, endete die Gasse. Eine schwarze Kutsche hielt davor, deren Tür der Flüchtige aufriss und nur "Los! Los!" schrie.

Der Kutscher schwang die Peitsche mit einem "Ho!" Gleich wären sie weg. Vitus biss die Zähne zusammen, sprang aus der Gasse, ehe der Flüchtige die Tür zuschlagen konnte, fasste die Seitenwand der Kutsche und zog sich in die Kabine.

Der Mythos von Tarragoss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt