Herr vasta Sacher lehnte sich stöhnend zurück, neigte seinen Kopf vor Annabella und klatschte hohl in die Hände. "Chapeau, Fräulein vasta Mangold. Chapeau."
"Bitte?", fragte Annabella.
"Als anklagender Kolonialadvokat habe ich Herrn Arlsteins Fälle geprüft und war zu der Überzeugung gekommen, dass die gesammelten Verbrechen weniger schwer wiegen als das, was er sich geleistet hat", sagte er und schob seine Brille mit dem Zeigefinger zurecht.
"Regina vasta Thalbachs Drogenhandel …", murmelte Annabella ohne Kraft. Wie konnte er die Leitung eines Drogenrings, der unzählige Menschen ins Verderben gestürzt hatte, für weniger gewichtig halten als unter falscher Identität als Makha Verbrechen aufzuklären und bestenfalls zu vereiteln? So verblendet wollte sie nie durchs Leben gehen, daher war das, was Annabella getan hatte, der einzig richtige Weg gewesen.
Herr vasta Sacher lächelte schief und fuhr sich durch seine grauen Haare. "Nur als ich den Fall zur Anklage gebracht habe, wusste ich noch nicht, dass er einen Mord aufgeklärt hat, ganz nebenbei den des verblichenen Gouverneurs." Sein Blick fiel hinter Annabella zu Vitus. "Sonst hätte ich mir vorher überlegt, ihn vor den Richter zu bringen."
Annabellas Herz flatterte in ihrer Brust. War es die Möglichkeit, dass ihr Plan aufging? "Heißt das …?"
Der Kolonialadvokat drückte seinen Rücken durch und blickte Olivia an. "Richterin vasta Mangold? Nicht, dass ich je gern an Eurer Stelle gewesen wäre, aber am heutigen Tage gibt es wohl niemanden in diesem Gerichtssaal, der mit Euch tauschen möchte."
Während Olivia ihn ansah, ohne mit der Wimper zu zucken, steckten die Leute im Zuhörerraum abermals die Köpfe zusammen und tuschelten.
Nach einer bedeutungsschweren Pause erhob sich Herr vasta Sacher, strich seine schwarze Robe glatt und erhob die Stimme. "Mir erscheint es kaum möglich, dass ich als Kolonialadvokat ein solches Schlusswort im Fall eines nachweislich Schuldigen halte, doch ich plädiere für Freispruch!"
Ein Raunen, so laut wie gegen Klippen brandende Wellen, toste durch den Saal. Nachdem sich der Aufruhr gelegt hatte, sprach Herr vasta Sacher weiter. "Meiner Ansicht nach darf das schwerste aller Verbrechen nicht deswegen ungeahndet bleiben, weil ein unwertiger Makha die Ermittlung geführt hat - schon deshalb, weil das Opfer der Gouverneur war. Natürlich obliegt es Euch, Richterin vasta Mangold, ob Ihr meiner Einschätzung folgt und die Entscheidung trefft, die unsere Gesellschaft für alle Zeit verändern wird."
Ein Urteil, das einen Makha verschonte, würde immerhin auch die Rechte der Makha im äußeren Ring positiv beeinflussen.
Olivias Miene war wie versteinert und nach Sekunden, als sich der Kolonialadvokat schon wieder gesetzt hatte, verharrte sie immer noch in derselben Position. Schließlich verfiel sie in ein schnelles Nicken, wandte ihren Kopf zu Vitus und fragte: "Möchte der Angeklagte noch etwas hinzufügen?"
Annabella drehte sich zu ihm. Es war nicht der normale Ablauf, dass sie immer noch inmitten des Gerichtssaals stand, als der Schlusssatz gesprochen wurde und so schlich sie sich zur Zeugenbank vor den Zuschauerbänken.
Als sich Vitus erhob und mit den Zähnen mahlte, wollte Annabella zu ihm stürmen und ihm eine Ohrfeige verpassen. Vermutlich spielte er mit dem Gedanken, die Wahrheit über ihre Unschuld zu sagen. Doch dann wäre ihr Opfer völlig umsonst. Ihre Reputation war sowieso dahin. In den Kolonialdienst würde sie als vermeintliche Mörderin niemals kommen und ihre Abschlussprüfung fand im hiesigen Moment ohne sie statt.
Annabella schüttelte unmerklich den Kopf, als Vitus sie mit glasigen Augen ansah.
Sein Mund schloss und öffnete sich wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Vitus rang nach den richtigen Worten. "Mein Bruder …" Seine Augen glänzten und er schien schwer gegen die aufsteigenden Tränen anzukämpfen. "Er war siebzehn Jahre alt, als er starb. An seinem Todestag hat er sich mit Lahscha berauscht und ist wenig später im Meer ertrunken.
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Der Mythos von Tarragoss
Fantasy"Legt man sich mit den Ureinwohnern an, legt man sich mit der ganzen Insel an." * * * Die Südseeinsel Tarragoss ist die Heimat von Kolonisten, Ureinwohnern und einem unterdrückten Mischvolk. Im Pulverfass aus altem Hass, Verzweiflung und Rachegelüst...