33.1. Der Drogenbaron von Manava

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In Reginas ausgemergeltem, fahlem Gesicht wirkten die tiefliegenden Augen, die mit dunklen Ringen untermalt waren, fast wie Fremdkörper. Ihr Blick war eiskalt und versprach keine Gnade. 

Vitus unterdrückte den Drang, den Schauder von sich abzuschütteln. In seinem Kopf ging er die verschiedenen Möglichkeiten zum Fortgang des Geschehens durch. Sein erster Blick fiel zu den beiden Degen an der Wand, sein zweiter zu dem schmalen Brieföffner auf Gustavs Schreibtisch. 

"Überrascht?", fragte Regina keck. Die goldenen Knöpfe ihres hochgeschlossenen roten Kleides glänzten im Lampenschein wie begehrenswerte Münzen auf den Tischen einer Glücksspielbude. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen und gerecktem Kinn stolzierte Regina in das Zimmer - dieselbe gockelhafte Haltung, die ihr Sohn zuvor schon gezeigt hatte.

"Ihr sagt ja gar nichts, Herr Kriminalbeamter. Ich hatte mir ein bisschen mehr Euphorie bei meiner Enttarnung erhofft. Schließlich habt Ihr lange genug nach mir gesucht." Ihre Stimme war betont spottend - quietschend, schrill und laut wie zwei Kater bei einem Revierkampf.

"Frau vasta Thalbach", erwiderte Vitus mit trockener Kehle.

Annabella klammerte sich an seinen Arm, wusste offenbar nicht wohin mit sich und hoffte scheinbar, an seiner Seite Schutz vor ihrer vorgesehenen Schwiegermutter zu finden. "Und was wollt Ihr hier, wenn ich fragen darf?" 

Regina verzog ihre Lippen zu einem spottenden Grinsen. "Da Ihr bei meinem Mann schon eine erfolglose Razzia durchgeführt habt, war es nur eine Frage der Zeit, bis Euer Verdacht auf mich fällt. Und da ich mit dem alten Gouverneur ein paar Mauscheleien hatte, sollte Ricardo sichergehen, dass alle Beweise vernichtet sind, die auf mich schließen lassen. Aber ... offenbar muss ich mich selbst darum kümmern."

Im Flur näherten sich Schritte. Wen hatte sie als Verstärkung in der Hinterhand? Vitus' Herz pochte in Erwartung eines Kampfes, in den er unbewaffnet gehen würde. Es sei denn, er schaffte es zu den beiden Degen an der Wand zu seiner Rechten. "Welche Mauscheleien waren das, Frau vasta Thalbach? Der Ehevertrag zwischen Ricardo und Annabella?" 

"Auch", gab Regina triumphierend zurück, zog eine Schulter hoch und fuhr im Plauderton fort: "Man tut ja vieles für sein einziges Kind. Sogar den Gouverneur erpressen, um dessen Enkelin zu bekommen."

"Und womit habt Ihr ihn erpresst?", bohrte Vitus nach. Er musste ihre Gesprächigkeit, resultierend aus dem Gefühl der Überlegenheit, nutzen, solange sie da war. 

"Vielleicht könnt Ihr Euch denken, dass ich nicht immer der Drogenbaron gewesen bin", gab Regina zurück. Scheinbar liebte sie es - wenn ihr schon mal jemand zuhörte - ihr Publikum schmoren zu lassen. 

Obwohl es keine Antwort im eigentlichen Sinne war, schnappte Vitus ihren leisen Hinweis auf und sein Gehirn ratterte. Mauscheleien mit dem Gouverneur, eine Erpressung, Regina war nicht immer der Baron. Konnte es wirklich sein?

"Es war Gustav vasta Mangold, nicht wahr?", fragte Vitus. Seine Stimmbänder fühlten sich kratzig an, als hätte er mehrere Hände voll Sand geschluckt. 

Regina machte einen Schmollmund und neigte ihren Kopf. "Chapeu, Herr Arlstein. Ich bewundere Euren Scharfsinn. Wie Ihr mit Nichts und wieder Nichts auf des Rätsels Lösung gekommen seid, faszinierend." Es war die Art von Anerkennung, die Mörder ihren Opfern zukommen ließen, bevor sie diese ermordeten. Zumindest stellte es sich Vitus so vor.

Der Mythos von Tarragoss Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt