First

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Der nerv tötende Klingelton meines Weckers holte mich aus dem Schlaf und verhinderte, dass ich in meiner Traumwelt blieb. Ich tastete nach diesem um ihn dann an die Wand zu werfen. Grummelnd stellte ich meine Füße auf den Boden, der wie immer kalt war und stand langsam auf.

Ich steuerte mein Badezimmer an und ging meine morgendliche Routine durch: aufs Klo gehen, Zähne putzen, Haare kämmen, Deo benutzen und fertig. Schminken brauche ich nicht, wie denn auch, ich würde es eh nicht sehen.

Also schlurfte ich wieder aus dem Badezimmer, was ich nie gesehen hatte und steuerte meinen Schrank an. Meine Freundin hatte mir alles nach Farben geordnet: schwarz, blau, grün, rot, orange, weiß, pink und zuletzt grau.

Eine wirkliche Reihenfolge hatte es nicht, jedoch konnte ich es mir merken. Ich zog mir eine schwarze enganliegende Jeans an und einen grünen Pullover. Danach ging ich in die Knie und öffnete die Schublade mit der Unterwäsche und nahm mir einen schwarzen BH und einen schwarzen Slip.

Woher ich das weiß? Meine beste Freundin Alia  hatte mir alles in Tüten eingepackt und nebeneinander gelegt. So gelang es mir für mich selbst zu sorgen ohne dass ich von jemandem abhängig war. Das einzige was Alia macht, ist, dass sie meine Wäsche ordnet und mich beim Einkaufen begleitet. Da wir sowieso in einer WG wohnen, ist es für sie ziemlich einfach, für mich zu sorgen, auch wenn ich das eigentlich gar nicht möchte.

Ich wollte schon immer unabhängig sein. Ich wollte nie anderen Menschen zur Last fallen. Ich wollte nie als schwach gelten. Ich wollte auf eigenen Beinen stehen können. Ich würde gerne mich sehen können. Ich würde bei meinen Eltern aufwachsen wollen.

Das tat ich nicht.

Seit dem Vorfall wollten sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Sie wollten keinen „Krüppel“ in ihrer Familie haben. Meine Familie war reich und einflussreich, weshalb ich nicht darein passte.

„Was könnte schon eine Blinde für die Familie tun? Was würde sie schon erreichen?“ waren die Worte meine Mutter als sie mich vor dem Kinderheim absetzte und in der luxuriösen Limousine verschwand. Und das für immer.

„Du bist nicht meine Tochter“ waren die letzten Worte meines Vaters als er mich im Krankenhaus liegen sah.

„Du bist hässlich und wirst nie etwas zustande bringen“ waren die letzten Worte meines großen Bruders die er mir an den Kopf knallte, als ich wieder zuhause war.

„Dich wird nie jemand adoptieren“ schrie mir die eine Pflegerin ins Gesicht als ich mal wieder nicht adoptiert wurde.

„Wie kannst du dich nur ansehen? Ach stimmt ja, du siehst nichts“ waren die Worte, die meines Mobber Mathew, als er mich mal wieder die Treppe hinunter schubste.

„Ich habe dich lieb Bella“ waren die ersten Worte meiner besten Freundin. Alia war genauso wie ich ein Kind, was ausgesetzt wurde. Sie kam ein halbes Jahr nach mir und wir wurden erst nach drei Jahren Freundinnen. Ich bin damals eingeliefert worden, als ich zehn Jahre alt war.

Heute war ich 18 Jahre alt und würde es nie zu etwas bringen, so wie es mir jeder gesagt hatte. Nachdem ich zu Ende gedacht hatte, tastete ich nach der Wand und ging so zur Tür, griff etwas unsicher nach der Türklinke und zog sie nach unten, sodass sich die Tür zu mir öffnete. Ich ging in den Flur, tastete die Wand an und folgte dem Duft nach Essen. Nach den Geräuschen her war Alia in der Küche und machte wahrscheinlich gerade unser Frühstück. Mir tat es leid, dass ich ihr nicht sehr viel helfen konnte.

„Guten Morgen“ flötete sie fröhlich, als ich gerade die Küche betrat. Das Knacken des Holzbodens verriet mir, dass ich bereits vor unserem Essenstisch stand, weshalb ich nach einem der Stühle griff, ihn sachte nach hinten schob und mich dann hinsetzte.

Blind MusicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt