N E U A N F A N G

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P E Y T O N

Er begann an einem Sonntag im Sommer, mein Neuanfang. Nach einem fünfstündigen Flug von Los Angeles nach Philadelphia fuhr ich weitere zwei Stunden mit einem Mietwagen in meine neue Heimat Hillford, eine Kleinstadt nahe der Grenze zu New Jersey. Ich war erschöpft und hatte Mühe, mich auf die Straße zu konzentrieren. Gleichzeitig beherrschten mich Nervosität und Aufregung. Ein Umzug ans andere Ende des Landes ging wohl selbst an mir, der Abenteuerlust in Person, nicht spurlos vorbei. Hinzu kam, dass ich dabei völlig auf mich allein gestellt war - eine echte Herausforderung also. Alles wird gut, ermutigte mich meine innere Stimme. Nach allem, was in den letzten drei Jahren passiert war, konnte es vielleicht ganz hilfreich sein, neue Wege zu beschreiten. Ich brauchte nur etwas Vertrauen. Das Vertrauen, dass sich die Dinge so für mich entwickeln würden, wie sie richtig waren. Immerhin hatte alles im Leben einen Sinn, nicht wahr?

Als ich endlich das Ortseingangsschild von Hillford passierte, atmete ich befreit aus und spürte sogleich, wie sich die Anspannung in mir löste. Auf den ersten Blick wirkte die Stadt als war sie einer Filmkulisse entsprungen: Idyllisch und beschaulich, mit schönen Häusern und sauberen Gehwegen umgeben von Grün. Der strahlende Sonnenschein tat ein Übriges. Bereits in diesen wenigen Minuten, in denen ich nur durch das Stadtrandgebiet fuhr, fand ich Gefallen an Hillford. Im Vergleich zum hippen Los Angeles machte es zwar eher einen spießigeren Eindruck, doch genau das mochte ich irgendwie daran. Wie wohl meine Wohngegend aussieht? Bevor ich mir ein Bild davon machen konnte, musste ich in den Süden der Stadt zu einer Containerbasis fahren, um meine Kawasaki abzuholen. Die lange Strecke von L.A. hierher wollte ich keinesfalls mit meinem Motorrad bewältigen. Ich hätte Tage, wenn nicht sogar eine ganze Woche dafür gebraucht. So entschloss ich mich dazu, es einfach zu verschicken. Zu meinem Glück konnte ich direkt in der Nähe der Basis meinen Mietwagen wieder abgeben - es lief alles wie am Schnürchen. Und das an einem Sonntag, an dem sämtliche Geschäfte meist geschlossen hatten.

Etwa eine Stunde später hatte ich ordnungsgemäß sämtliche Papiere unterschrieben und den Leihwagen auf dem Parkplatz des Anbieters abgestellt, sodass ich sie nun endlich begrüßen konnte, meine über alles geliebte Kawasaki Z900RS.

„Hey Baby", flüsterte ich liebevoll und strich sanft über den schwarzen Lack.

Mit Argusaugen betrachtete ich das Motorrad und stellte sicher, dass es den Transport unbeschadet überstanden hatte. Erst dann schwang ich mich auf den Sitz und startete es. Augenblicklich bekam ich eine prickelnde Gänsehaut und musste grinsen als der Klang in mein Ohr drang. Gott, habe ich dich vermisst, dachte ich und setzte meinen Helm auf. Ich liebte das Gefühl von absoluter Freiheit, das mir das Motorradfahren vermittelte, und wollte es nie wieder missen.

Auf meinem Smartphone startete ich Google Maps und gab die Adresse meines Wohnhauses ein, dann befestigte ich es an meiner Kawasaki und fuhr langsam vom Hof der Containerbasis. Laut Navigation brauchte ich nur 17 Minuten bis zur Alcott Avenue, in der ich fortan leben würde - ein Klacks! Das Wetter an diesem Sonntag war traumhaft schön, optimal für eine Spritztour. Ich genoss den Fahrtwind und die warme Sonne, die auf meine Arme und Beine schien. Vergnügt fuhr ich ein paar Schlängellinien, spielte mit dem Gas und war einfach glücklich, endlich wieder auf meinem Bike sitzen zu können. An einer roten Ampel musste ich anhalten und blickte auf mein Handy hinab. Noch 9 Minuten. Mit jedem Kilometer, um den sich die Distanz verringerte, wurde ich nervöser. Im positiven Sinne. Der Verkehr wurde allmählich entspannter, die Gegend immer grüner und ruhiger. Als ich schließlich in die Alcott Avenue einbog und Google Maps mein Ziel am Ende der Straße ankündigte, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor mir stand ein wunderschönes, vierstöckiges Wohnhaus mit großen weißen Fenstern und zweifarbiger Fassade. Das Erdgeschoss war in einem hellen Grau gehalten, während alle anderen Geschosse ein Backsteinmauerwerk aufwiesen. Es sah unglaublich aus. Fasziniert von dem Anblick stellte ich mein Motorrad auf einem Parkplatz vor dem Haus ab und zog mir den Helm vom Kopf. Meine Augen wanderten zum zweiten Stockwerk, wo sich meine Wohnung befand, und ich hielt inne. Das ist es also.

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