S C H M E R Z

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E V E L Y N

17:02 Uhr. Ich schaute auf meine Armbanduhr und seufzte, die Zeit tat mir keinen Gefallen und wollte partout nicht vergehen. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit und die Stille, die sich in Peytons Zimmer ausgebreitet hatte, lag schwer in der Luft. Nach Gesprächen war uns allen nicht zumute, jede hing ihren eigenen Gedanken nach, die wohl gleichermaßen von Sorge um meine Schülerin erfüllt waren. Denn sie war noch immer nicht aufgewacht, hatte sich nicht einmal bewegt. Keinen einzigen Zentimeter. Stattdessen kam mir ihr Gesicht noch blasser vor, wodurch das Veilchen unter ihrem Auge umso deutlicher hervorstach. Sie sah schrecklich aus, fast wie ein Geist, und es schmerzte sie so zu sehen. Peyton, bitte wach auf.

„Soll ich uns einen Kaffee holen?", bot Jo an und blickte in die Runde.

Bei dem Gedanken an die Automatenbrühe verzog ich angewidert den Mund - diese Plörre würde ich sicher kein zweites Mal trinken. So schüttelte ich nur den Kopf und überließ Jess die Aufklärungsarbeit.

„Der Kaffee aus dem Automaten schmeckt widerlich", ließ sie Joanna wissen. „Zumindest wenn man unserer Kaffee-Expertin Glauben schenkt."

Jo grinste breit.

„Oha! Gut, dann kann ich mir den Weg und das Geld wohl sparen. Ich dachte nur, dass wir alle etwas Koffein vertragen könnten."

„Das steht außer Frage, JoJo", schaltete ich mich ein. „Aber ich bezweifle, dass dieses Gesöff überhaupt Koffein enthält."

„Was haben Sie erwartet? Sie sind hier in einem Krankenhaus."

Alexis' Stimme ließ uns allesamt zusammenzucken, ehe unsere Köpfe beinahe synchron zur Tür herumschossen. Seit wann war sie hier? Ich hatte sie gar nicht hereinkommen hören, so abgelenkt war ich. Meine Freundinnen offenbar ebenfalls, denn auch sie schienen ihre Anwesenheit nicht bemerkt zu haben. Sichtbar müde und abgekämpft stand sie da - die Hände in den Hosentaschen vergraben - und rang sich ein Lächeln ab. Dieses verging ihr jedoch schlagartig als sie Peyton bewusstlos im Bett liegen sah. Mit einem Mal waren ihr sämtliche Züge entglitten und sie verharrte wie angewurzelt neben der Tür, völlig außer Stande sich zu rühren. Bedrückt presste sie die Augenbrauen zusammen, ließ die Schultern hängen und schluckte tief, während ihre Miene von den Emotionen gezeichnet war, die sie in dieser Sekunde erfüllten. Sorge. Angst. Verzweiflung. Ich konnte nur allzu gut nachempfinden, wie es ihr erging. Ich kannte die Schockstarre, in der sie sich gerade befand. Verspürte dieselbe Hilflosigkeit, von der meine Schülerin in diesem Moment erfasst wurde. Es war kaum zu ertragen, schnürte einem die Kehle ab, entzog einem den Halt. Jess bemerkte Alexis' Zustand und ging zu ihr herüber.

„Alles okay?", erkundigte sie sich mit sanfter Stimme und legte einen Arm um sie.

Alexis senkte betroffen das Kinn.

„Nichts ist okay", flüsterte sie verbittert. „Meine Freundin liegt im Krankenhaus, ist bewusstlos und verletzt. Und ich? Ich stehe hier, völlig unversehrt, weil ich nicht den Arsch in der Hose hatte, einzugreifen und meinen Freunden zu helfen."

Alexis. Ihre Selbstvorwürfe und der Selbsthass, der dabei mitschwang, schockierten mich. Wie konnte sie so etwas sagen, es auch nur denken? Sie traf keine Schuld an dem Dilemma. Nein, Schuld allein waren diese Scheißkerle, die einen wehrlosen Jungen verprügelt und obendrein Peyton ins Krankenbett befördert hatten. Allein dafür wollte ich ihnen am liebsten jeden einzelnen Knochen brechen, sie bis ans Äußerste leiden lassen, doch sie waren davongekommen. Dreckschweine. Ich hoffte inständig, dass ihnen das Karma früher oder später ihre gerechte Strafe zukommen ließ. Wenn etwas wie Gerechtigkeit existierte, oder gar höhere Mächte, dann würde es ganz sicher dazu kommen.

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