F R E U N D S C H A F T

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P E Y T O N

Schluchzend brach ich hinter der Tür zusammen, weinte laut und hemmungslos, voller Verzweiflung. Mein Inneres war taub, ich war vollkommen leer, spürte nichts mehr. Nicht einmal die Tränen, die wie zwei Wasserfälle aus meinen geschlossenen Augen herausflossen. Ich war ein Wrack. Wie Ikarus war ich der Sonne zu nah gekommen und hatte in den vergangenen Minuten einen rasanten Sturzflug erlebt, der mich mit einem knallharten Aufprall auf dem Boden der Tatsachen ankommen ließ. Ich fühlte mich, als ob ich in tausende Einzelteile zersprungen wäre. Warum hatte sie das getan? Nach unserer gemeinsamen Nacht dachte ich, dass sich zwischen uns etwas verändert hatte – im positiven Sinne. Ich glaubte, dass sich zwischen uns etwas Besonderes entwickelte; dass uns weitaus mehr verband als bloß Sex. Ein magisches Band, das fest zwischen uns gespannt war und mich all diese wunderbaren Dinge empfinden ließ. Herzrasen. Bauchkribbeln. Unendliche Glücksgefühle und ein unbekanntes Wohlbefinden, das bisher nur Evelyn in mir hervorgerufen hatte. Bei ihr fühlte ich mich sicher, rundum geborgen und auf eine außergewöhnliche Art wie zu Hause. Offensichtlich war ich damit allein. Offensichtlich hatte ich mir all das nur eingebildet und mich in ihr getäuscht. Innerhalb von Augenblicken war mein vermeintliches Glück zerplatzt wie eine Seifenblase und die Realität holte mich wieder ein. Was hatte ich auch anderes erwartet? Evelyn Langley war eine waschechte Eiskönigin, gefühllos und kalt, und schlichtweg beziehungsunfähig. Eine Frau, die die intime Nähe eines anderen Menschen scheinbar nur eine Zeit lang aushielt. Es war naiv zu hoffen, dass ich daran etwas ändern konnte. Für diese Naivität wurde ich nun bestraft und musste einen hohen Preis zahlen: Ich hatte mein Herz verloren. Bist du jetzt glücklich, Evelyn?

Stundenlang saß ich auf dem Fußboden und starrte vor mich hin. Meine Gedanken waren komplett verstummt und der Verlust lag mir zentnerschwer auf der Seele, wie ein Klumpen Eis. Ich fiel in ein schwarzes tiefes Loch, an dessen Ende ich einfach kein Licht erkennen konnte. Wovor ich am meisten Angst hatte, war auf einmal real geworden. Wieder musste ich einen Verlust verkraften, und wieder saugte er mir hinterrücks die Lebensfreude aus dem Leib. Würde mein Leiden jemals enden oder war es mir auf ewig verwehrt, ein unbeschwertes Leben zu führen? Ich wagte es gar nicht mehr davon zu träumen, die Zeichen waren eindeutig: Es war mein Schicksal, unglücklich zu sein. Mit dieser Erkenntnis und einer unsagbaren Einsamkeit im Herzen schlief ich irgendwann ein. Zu erschöpft um mich ins Bett zu schleppen, verbrachte ich die Nacht auf dem kalten Holzboden. Entsprechend schmerzerfüllt erwachte ich am nächsten Morgen und richtete mich mühselig auf, meine Glieder schwer wie Blei. Wie sollte ich in diesem Zustand den Tag überstehen? Wie sollte ich Evelyn gegenübertreten, nach allem, was sie mir angetan hatte? Ich kann nicht, resignierte ich und begab mich ins Wohnzimmer, wo mein Smartphone auf dem Couchtisch lag. Ohne weiter nachzudenken, wählte ich die Nummer von Dr. Bennetts Praxis und wartete darauf, dass jemand abnahm.

„Praxis Dr. Bennett, Sie sprechen mit Stephanie. Was kann ich für Sie tun?", meldete sich die fröhliche Schwester vom Empfang.

„H-Hallo, hier ist Peyton Levy", antwortete ich benebelt. „Könnte ich bitte mit Dr. Bennett sprechen? Es ist wichtig."

Stephanie lächelte hörbar.

„Hi Peyton. Natürlich, kein Problem. Dr. Bennett hat mich angewiesen, dich sofort durchzustellen, falls du anrufen solltest – einen Moment bitte."

„Danke", warf ich noch hinterher, da hörte ich auch schon die nervige Warteschleifenmusik. Die schrillen Töne drangen tief in mein Ohr, bissen sich gefühlt in meinem Gehirn fest und bereiteten mir unheimliche Kopfschmerzen. Scheiße, brummt mir der Schädel, dachte ich und hielt das Handy eine Armlänge weit von mir weg. Bis ich Dr. Bennetts Stimme vernahm.

„Guten Morgen, süße Peyton", trällerte sie in den Hörer. „Na, wie geht's dir?"

Frag nicht. Ich konnte ihr darauf nicht ehrlich antworten, allein die Erinnerung an den gestrigen Tag trieb mir die Tränen in die Augen. Was sollte ich ihr schon sagen? Dass mir ihre beste Freundin aus heiterem Himmel den Laufpass gegeben und mir damit das Herz gebrochen hatte? Auf keinen Fall! Das war wirklich nicht mein Stil, es ging auch niemanden etwas an, was zwischen uns vorgefallen war. Nicht einmal Dr. Bennett. So klammerte ich meinen Seelenschmerz aus und beschränkte mich allein auf meine körperliche Verfassung.

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