R E I Z E

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E V E L Y N

„Das war ja eine eigenartige Situation", merkte Serena an als wir uns in eine freie Sitznische setzten.

Jess und ich hatten uns nach der Schule mit Joanna im Brew auf einen Kaffee verabredet. Die letzten Male trafen wir uns immer in einer Bar, an diesem Montag wollten wir es aber zivilisierter angehen und uns ausnahmsweise keinen Alkohol gönnen. Zu meiner Überraschung kam Jo nicht allein und hatte diese Ärztin im Schlepptau, die Peyton vor kurzem untersucht hatte: Dr. Serena Harding, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie. Obwohl ich sie kaum kannte, mochte ich sie irgendwie nicht. Woran das lag, konnte ich mir selbst nicht erklären. Sie hatte jedenfalls nichts Nerviges an sich oder etwas, das mich normalerweise an Menschen störte. Nein, Serena war höflich, zuvorkommend und nett. Und gutaussehend. Mein Typ war sie zwar nicht, dennoch konnte ich nicht bestreiten, dass sie optisch überzeugte. Ihr Körper war schlank und mittelgroß, ich schätzte sie auf 1,70 Meter. Die hellbraunen, blond-gesträhnten Haare glänzten und sahen so aus als würde sie sie täglich stundenlang pflegen, und ihre braunen Augen strahlten eine angenehme Wärme aus. Sie wirkte vertrauenswürdig und sanft, was ihr in ihrem Beruf sicher zugutekam. Vor allem wenn man bedachte, welches Fachgebiet sie gewählt hatte. Mehr konnte ich nicht beurteilen. Joanna hatte jedenfalls Gefallen an ihr gefunden. So sehr, dass sich dieser One-Night-Stand inzwischen wohl zu einer lockeren Affäre entwickelt hatte. Dass sie Serena zu unserem Treffen mitgebracht hatte, sprach ebenfalls für sich. Eine Beziehung führten sie offenbar trotzdem nicht, dafür waren sie wiederum viel zu distanziert und gingen eher freundschaftlich miteinander um. Davon mal abgesehen, war JoJo sowieso kein Beziehungsmensch.

„Allerdings", stimmte Jess ihr zu und schüttelte den Kopf. „So durcheinander habe ich Peyton noch nie erlebt."

Ich auch nicht, schloss ich mich gedanklich meiner Kollegin an und dachte an Peytons Verhalten zurück. Durcheinander war kein Ausdruck für ihren Zustand, sie war völlig neben der Spur, ganz und gar kopflos. Nach ihrer dreitägigen Krankschreibung hatte ich erwartet, dass auch sie sich besser fühlen und viel vitaler auf mich wirken würde. Stattdessen war Peyton Levy das Chaos in Person, zumindest an diesem Montag. Ihren absoluten Tiefpunkt schien sie vor wenigen Minuten im Brew erreicht zu haben. Aber warum? Ich hatte da so eine Ahnung und schaute sogleich zu Serena, die mir schräg gegenübersaß und auf einmal schmunzelte.

„Sie ist süß. Irgendetwas hat sie an sich."

Ich wusste es. Mein Gefühl hatte mich also wirklich nicht getäuscht, Serena hatte allem Anschein nach etwas übrig für meine Schülerin. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr ergab es einen Sinn und ich konnte so manche Puzzleteile endlich zusammenfügen. Etwa, warum Peyton so errötet aus ihrer Praxis gestürmt kam. Oder warum Serena ihr zuvor so nahe gekommen war und ihr sogar ihre Hand auf den Brustkorb gelegt hatte. Das tat sie sicher nicht nur aus ärztlicher Fürsorge. Nein, sie verfolgte ganz persönliche Ziele, davon war ich fast schon überzeugt. Armselig, zischte meine innere Stimme. Ich konnte sie wirklich nicht leiden, jetzt noch viel weniger.

Jo kicherte vor sich hin. „Mh-hm, dem stimmen wir alle zu."

Ich verdrehte die Augen als ich realisierte, dass es in dem Gespräch noch immer um Peyton ging, da spürte ich Jess' irritierten Blick auf mir.

Du findest sie süß?", fragte sie mich hörbar überrascht, womit sie mir ein weiteres Augenrollen entlockte. Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden lag nun auf mir.

„Ev doch am allermeisten", scherzte Joanna, ehe ich ihr unter dem Tisch unauffällig einen Tritt verpasste und ihr das schelmische Grinsen schlagartig verging.

Serena betrachtete mich nachdenklich und rieb sich das Kinn. Irgendetwas ging ihr durch den Kopf, ich konnte es in ihrem Gesicht lesen. Etwas, das augenscheinlich mit mir zu tun hatte, denn sie starrte mich förmlich an.

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