E I F E R S U C H T

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P E Y T O N

Was für ein Wochenende! Selbst am Montag schwirrte mir noch immer der Kopf vom Alkohol und den Erinnerungen an den Samstagabend, wenngleich man Letzteres eigentlich nicht als solche bezeichnen konnte. Vielmehr waren es Erinnerungsfetzen, die ihren Weg zurück in mein Bewusstsein suchten. Einzelne Puzzleteile, doch ich war nicht imstande sie zu einem stimmigen Bild zusammenzusetzen. Ich hatte viel zu viel durcheinander getrunken und der fürchterliche Kater, der daraufhin folgte, war eine eindringliche Warnung vor der Wiederholung - ich sollte meinen Alkoholkonsum eventuell ein wenig zurückzufahren. Aber was sollte ich machen? Anders wusste ich mir nicht mehr zu helfen. Die Gedanken an Evelyn und die Sehnsucht nach ihr ließen mir keine Ruhe, sie bestimmten meinen Alltag und verpesteten derart meine Stimmung, dass ich nur noch eins tun wollte: Sie ausmerzen wie lästiges Ungeziefer. Problematisch daran war, dass meine Möglichkeiten diesbezüglich so beschränkt waren, dass ich nichts weiter tun konnte als mich hemmungslos zu betrinken. Die Schule konnte ich nicht wechseln, zu groß war der bürokratische Aufwand und ich bezweifelte auch, dass es mitten im Schuljahr überhaupt möglich war. Vorerst gab es kein Entkommen, ich musste gezwungenermaßen die Zähne zusammenbeißen und versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Zum Glück war ich in diesem Schlamassel nicht allein. Lexi erwies sich in dieser schweren Zeit als echte Stütze und fing mich auf, wann immer es notwendig war. So auch an diesem Samstag, an dem ich erneut die Kontrolle verloren hatte. Überraschend war auf welche Art und Weise sie mich vor dem totalen Absturz bewahrte. Als ich in den frühen Morgenstunden ausgerechnet in Evelyns Armen aufwachte, dachte ich zunächst, dass ich träumte. Es war zu schön, um wahr zu sein. Friedlich lag sie neben mir, den rechtem Arm zuvor noch um mich geschlungen, und schlief tief und fest. Ihre blonden Haare ruhten wellartig auf dem Kopfkissen und umrahmten ihr Gesicht, das selbst im Schlaf makellos war. Ich konnte zunächst nicht aufhören, sie anzustarren, ihr Anblick glich einer Illusion, die mich vollkommen in ihren Bann zog. Verloren in ihrer Schönheit, strich ich ihr eine Strähne aus der Stirn und berührte dabei unbeabsichtigt ihre weiche Haut, da durchfuhr mich die Erkenntnis wie ein Blitz: Ich träumte nicht, es war real. Was zum...? In meinem Kopf brach das reinste Chaos aus und unendlich viele Fragen schossen durch ihn hindurch wie Schüsse aus einem Maschinengewehr. Warum lag ich in Evelyns Bett? Wie war ich in ihre Wohnung gekommen? Ich hatte einen totalen Blackout, in den Bruchstücken meiner Erinnerung tauchte sie nirgends auf. Scheiße, hoffentlich habe ich mich nicht blamiert. Der Film, der sich in dieser Sekunde vor meinem inneren Auge abspielte, ließ mich erschaudern und ich befürchtete, eine Grenze überschritten zu haben. Denn in unserer gemeinsamen Zeit hatten wir nur ein einziges Mal die Nacht zusammen verbracht. Damals als dieser heftige Sturm in Hillford wütete und ich sie regelrecht anflehte, aus Sicherheitsgründen bei mir zu bleiben. Was war passiert, dass Evelyn plötzlich gegen ihre eigene Prinzipien verstieß? Gefangen in meinem Gedankenkarussell, raufte ich mir die Haare und schämte mich bis aufs Äußerste. Ganz sicher habe ich mich blamiert, war ich überzeugt und stieß die Handballen unaufhörlich gegen meine Schläfen. War ich von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte es nur so weit kommen? Vor lauter Scham traute ich mich kaum sie anzusehen und ich zwang mich dazu, nicht nachzugeben, doch das fiel mir mit jeder Minute immer schwerer. Für mich gab es nichts Schöneres als Evelyn Langley, es kostete mich jedes Mal alle Kraft sie nicht anzuschmachten, wenn sie mir begegnete. So auch in dieser Nacht. Egal, wie sehr ich mich auch bemühte, standhaft zu bleiben: Ich war gnadenlos zum Scheitern verurteilt, denn sie war wie eine Droge für mich. Das mochte komisch klingen, vielleicht sogar gruselig oder gar gestört, aber ich war ihr schlichtweg verfallen. Evelyn hatte mich fest im Griff, und ganz besonders mein Herz.

Letztlich wurde ich schwach und betrachtete ihre schlafende Gestalt. Gott, sie ist so unfassbar schön. Es brauchte nur eine einzige Sekunde, um meinen Herzschlag wieder in ungeahnte Höhen zu katapultieren. Eine Sekunde, um die tiefen und angenehm warmen Glücksgefühle in mir zu wecken, die nur sie in mir auslösen konnte. Ich war ihr von Anfang an völlig ergeben gewesen, und daran hatte sich nie etwas geändert - ganz gleich, was sie mir angetan hatte. Von meinen Emotionen gesteuert, streichelte ich zärtlich über ihre Wange. Verdammt, wie gern ich sie in diesem Moment geküsst hätte! Doch ich durfte nicht bleiben, nein, ich konnte nicht bleiben. Ich musste gehen und unter diese Nacht einen Schlussstrich ziehen, bevor alles noch komplizierter wurde. Wehmütig warf ich einen letzten Blick auf sie und presste einen sanften Kuss auf ihre Stirn, bevor ich mich vorsichtig davonstahl. Auf dem Heimweg - ich hatte mir ein Taxi gerufen - zog ich mein Smartphone aus der Tasche und öffnete Evelyns WhatsApp-Chat, in dem ich eine mir unbekannte Nachricht vorfand:

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