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»Professor Gerard hat meine Fotografien heute vor den Ohren aller gelobt. Auch Amber war Zeugin«, berichtet Delilah mit funkelnden Augen, während wir die Teller in die Spülmaschine räumen.

»Du hättest ihr Gesicht sehen müssen, sie tat, als hätte man sie persönlich beleidigt. Besonders, weil er zuvor bei ihr die Lichtverhältnisse bemängelt hat.« Ein schadenfrohes Grinsen legt sich auf ihre Lippen und ich lasse mich davon anstecken.

Seit dem Beginn des neuen Semesters berichtet Lil mir von Amber, die rot anläuft und den Saal verlässt, wenn ihre Fotografien vor dem gesamten Kurs angepriesen werden. Persönlich habe ich sie noch nicht getroffen, jedes Detail, mit dem ich mir ein Bild von ihr vor meinem inneren Auge zusammenbastele, habe ich von meiner Freundin. Allerdings kann ich kaum behaupten, dass sie auf diesem gut aussieht.

»Ging es um die Bilder, die du letzten Samstag von dem Fluss gemacht hast?«, hake ich nach. Ich hebe den Kopf an und sehe, wie sie zu nicken beginnt. »Ja. Die drei Stunden dort haben sich ausgezahlt«, fügt sie hinzu.

Nachdem wir das dreckige Geschirr in der Spülmaschine verstaut haben, wische ich mir die feuchten Finger an einem Küchenhandtuch ab. Spencer und Aspen sind damit beschäftigt, den Kühlschrank auf seinen Biervorrat zu prüfen, als mein Blick auf die Post fällt, die ich bei meiner Ankunft rücksichtlos auf den Küchentresen geschmissen habe.

Trotz des ausgeprägten Haufens weißer Rechnungen, Informationen und Werbung, lugen die Ecken der beiden grünen Umschläge deutlich hervor und verbieten es mir, den Blick noch einmal von ihnen abzuwenden. Ich schlucke schwer und gehe auf den Stapel zu.

»Ich habe vorhin die Briefkästen gelehrt«, teile ich meinen Freunden mit. Ich reiche Delilah die Umschläge mit ihrem Namen, lege meine zur Seite und halte schließlich nur noch die beiden grünen in den Händen.

Wortlos überreiche ich Aspe seinen, der sich einen Schritt von dem Kühlschrank entfernt und die Einladung mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachtet. Wir haben im Vorfeld nicht über die Gala gesprochen und mir ist nicht bekannt, ob er anderweitig etwas von ihr mitbekommen hat. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann ist, dass sich seine Euphorie wie meine in Grenzen halten wird.

»Kommenden Samstag lädt meine Familie zu irgendeiner Wohltätigkeitsgala ein. Ich schätze, sie wollen mit uns angeben.« Ich zucke mit den Achseln und verschränke locker die Arme vor der Brust. Lil tut es mir gleich, hebt über meine Worte jedoch skeptische eine Augenbraue.

Ohne diese Reaktion zu kommentieren, öffne ich den Umschlag und lasse den Blick über die wenigen Zeilen gleiten, die mir Auskunft über das Datum, den Ort und die Zeit geben. Dem gedruckten Text ist eine handschriftliche Notiz hinzugefügt, die klar auf meine Mutter zurückzuführen ist.
Um dein Date haben wir uns bereits gekümmert.

Ich ziehe die Stirn in Falten und lege den Brief zur Seite, als mein Blick sich mit Aspens verschränkt. Er nagt mit den Zähnen an seiner Unterlippe und wirkt kaum begeisterter als ich. Allerdings glaube ich, dass sein Missfallen nur daher rührt, dass man ihm Stunden nimmt, die er hätte in seine Arbeit investieren können.

Meine Gedanken huschen zurück zu den beigefügten Worten und ein vorsichtiges Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln. Nicht wegen der Aussicht auf mein Date – zumindest nicht vorrangig – sondern im Hinblick auf seines.

»Nein.« Aspen hebt die Hand und deutet anklagend mit dem Finger auf mich. Lieblos steckt er den Brief zurück in seinen Umschlag und reicht ihn an Delilah weiter, die neugierig ihre Hand ausstreckt.

»Komm schon.« Ich schiebe die Unterlippe vor und lege den Kopf schräg, wissend, dass ich dieses Mal kein leichtes Spiel haben werde. Aber es ist einen Versuch wert.

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