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Meine Hände gleiten von seinen Wangen und ich krabble von seinem Schoß, um mich auf die Kante des Bettes zu setzen. Eilig fahre ich über mein Gesicht, aber meine Finger bleiben schlussendlich an meinen Lippen hängen, bei denen ich mir einbilde, dass sein Geschmack noch immer an ihnen haftet.

Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, den Kuss aufgrund seiner Mittelmäßigkeit einfach vergessen zu können – oder gar zu wollen. In den letzten Jahren habe ich Erfahrung darin gesammelt, wie sich Dinge anfühlen, die falsch sind. Dieser Kuss gehört nicht zu ihnen, und trotzdem weiß ich tief in mir, dass er nicht hätte passieren dürfen.

Aspen hat jemand besseren verdient. Jemand, der mit Leidenschaft ein Ziel verfolgt, dem sein Studium Spaß macht und der nicht der Liebe seiner Eltern hinterherläuft, obwohl dieser Marathon aussichtslos ist.

Ich kann ihm nicht geben, was er braucht, denn ich bin nicht perfekt. Im Gegensatz zu ihm. Im Gegensatz zu meinen Eltern, meinem Bruder und Lauren.

»Cass, ist alles in Ordnung?« Aspen legt seine Hand auf meine Schulter und ich spüre, wie sich die Matratze hinter mir absenkt. Er rückt zu mir und presst seine Brust gegen meinen Rücken, als er vorsichtig die Arme um mich schlingt. Mein Körper erstarrt zu einer Salzsäule und ich kann nicht anders, als mich aus seinem Griff zu wenden und aufzustehen.

»Ich sollte mich allmählich auf den Weg in meine Wohnung machen. Es ist schon spät und ich muss morgen früh raus. Außerdem macht Lil sich bestimmt schon Sorgen.« Ziellos gleitet mein Blick durch sein dunkles Zimmer und ich fahre mir mit der Hand durch die zerzausten Haare, wobei ich mehrmals an Knoten hängen bliebe. Frustriert lasse ich die Hand wieder sinken, ziehe meinen Pullover enger um meinen Körper und mache ein paar Schritte nach hinten.

Unter meinen Socken spüre ich die kleinen Scherben, die ich vorhin nicht beseitigt habe, aber sie hindern mich nicht daran, meinen Weg fortzusetzen.

Uns beiden ist bewusst, dass die Worte, die über meine Lippen kommen, Unsinn sind. Vermutlich hat Delilah vor Stunden von Spencer erfahren, dass ich hier bin. Sie wird davon ausgehen, dass ich die Nacht bei Aspen verbringe, so, wie es in der Vergangenheit unzählige Male vorgekommen ist. Nichtsahnend, womöglich mit einem verhaltenen Schmunzeln, wird sie ins Bett gegangen sein.

»Du musst nicht gehen, Cass«, flüstert Aspen. Auch er klettert vom Bett. Im Gegensatz zu mir bemüht er sich aber darum, die Scherben nicht zu berühren.

»Bitte, bleib hier.« Seine Stimme ist so dunkel wie die tiefste Nacht und eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus. Instinktiv reibe ich mit den Händen über sie und versuche, mich von der Wirkung seiner Stimme abzulenken. Mit dem Rücken stoße ich gegen seine Zimmertür und mache mich eilig daran, diese zu öffnen.

Ein undeutliches Bild von ihm in dem blauen Anzug flackert vor meinem inneren Auge auf. Ich habe sein Zimmer schon einmal ähnlich verwirrt und gestresst verlassen. Damals war es nur ein Blick gewesen, der mich durcheinandergebracht hat. Heute ist es ein Kuss.

»Ich kann nicht, ich brauche Schlaf. Morgen wartet wieder ein langer Tag am College auf mich.« Ich sehe, wie der Schmerz über sein Gesicht huscht, als ich seine Einladung ablehne. Seine Schultern sacken nach vorne und der Moment, in dem er mir von seiner Mutter erzählt hat, ist mit einem Mal wieder präsent. Der Schmerz und die Verzweiflung sind ähnlich.

Ich schiebe mich durch einen kleinen Spalt in der Tür hindurch und husche in den dunklen Wohnbereich. Nur eine kleine Lampe neben dem Fernseher sorgt dafür, dass ich nicht vollkommen blind zur Haustür laufen muss.

Meine Schritte sind schnell und ich nehme den Weg barfuß auf mich, um nicht Gefahr zu laufen, von ihm eingeholt und zum Bleiben überredet zu werden. Auch wenn diese Befürchtungen scheinbar unbegründet sind. Denn als ich einen Blick nach hinten werfe, kurz bevor ich unsere Wohnungstür aufstoße, bleibt seine verschlossen. Er folgt mir nicht.

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