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Eindringlich betrachte ich mich im Spiegel.

Meine Haare fallen mir in seichten Wellen über die Schultern und umrahmen mein Gesicht, das ich mir zum ersten Mal seit langem wieder leicht geschminkt habe. Mein Körper steckt in einer sommerlichen Bluse, die ich mir von Delilah geborgt habe und die wunderschöne Trompetenärmel hat. Sie kitzeln meine Arme, wenn ich mich bewege und geben mir ein Gefühl der Leichtigkeit, das aber nicht bis ins Innere meines Körpers durchdringen kann.

Seit heute Morgen bin ich furchtbar nervös.

Als ich am Mittwoch dem Date zugestimmt habe, habe ich mir nicht ausmalen wollen, welcher Druck mit diesem einhergeht. Allein das Wort sorgt dafür, dass sich mir der Magen umdreht und sich die Banane, die ich am Morgen halbherzig verdrückt habe, unangenehm zu Wort meldet.

Dabei begeben wir uns auf kein unbekanntes Terrain. Wir gehen essen, wie wir es in den vergangenen Jahren hunderte Male getan haben. Und vielleicht hängen wir einen Spaziergang hintendran. Nichts Dramatisches.

Als Delilah vor einer Stunde unsere Wohnung verlassen und sich zum Lernen auf den Weg zu einer Kommilitonin gemacht hat, hat sie mir noch einmal gut zugesprochen und mir ans Herz gelegt, diesen Abend zu genießen.

Ohne Vorbehalte, ohne Einschränkungen.

Und das will ich so sehr, auch wenn mein Verstand einfach nicht zu beruhigen ist.

Seufzend wische ich mir die feuchten Hände an meiner engen Jeans ab, ehe ich nach meinem Handy greife und Aspens Nachricht lese, die mich gerade erreicht hat.

Er fragt, ob alles in Ordnung ist und berichtet mir, dass er in wenigen Minuten an meiner Tür klopfen und mich abholen wird. Ich tippe eine kurze Antwort und stecke das Handy in eine kleine Handtasche, die ich mir eilig über die Schulter hänge. Während ich mir aufmunternde Worte zuflüstere, verlasse ich mein Zimmer und lasse mich am Esstisch nieder.

Mit den Fingern trommle ich auf den Holztisch und lasse den Blick abwesend durch den Raum schweifen. Meine Beine wippen unkontrolliert auf und ab und lösen eine leichte Vibration aus, die sich auf den Tisch überträgt.

Aspen hat die Planung des Treffens auf sich genommen und mich nur grob eingeweiht. Ich weiß, dass wir eine kleine Strecke mit dem Auto fahren werden, um zu dem ausgesuchten Restaurant zu gelangen und überlege deswegen den ganzen Tag schon fieberhaft, welches er anstrebt.

Im Umkreis mehrerer Kilometer gibt es kaum noch ein Restaurant, das seinen Ansprüchen entsprechen würde und das wir noch nicht besucht haben. Dennoch hat er mir versichert, dass uns neue Eindrücke erwarten werden.

Ich blicke an mir herab auf die offenen Schuhe mit leichtem Absatz. Durch dünne Riemchen besetzt mit kleinen Steinen, die sich über meine Füße spannen, ist mir angenehmer Halt gegeben und ich muss nicht befürchten, aus ihnen herauszuschlüpfen.

Der helle Straß fügt sich harmonisch dem Schmuck, den ich aus meiner Schublade gekramt und umgelegt habe. Ich nutze die teureren Stücke selten, aber heute schien mir der perfekte Anlass.

Gerade tasten meine Hände nach dem Verschluss meiner Handtasche, als mich das helle Klingeln der Tür aus meinem Vorhaben reißt. Kerzengerade springe ich von meinem Platz auf und stolpere auf dem Weg zur Tür beinahe über meine eigenen Füße.

Das Herz springt mir bis zum Hals, als ich die zitternde Hand nach dem Türgriff ausstrecke. Ich wage einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, drücke den Rücken durch und öffne dann die Tür.

Aspen macht in jenem Moment einen Schritt nach hinten, als mein Blick auf ihn und sein gepflegtes Äußeres fällt. In seiner Kleidungswahl ist nichts Auffälliges zu erkennen: er trägt eine schwarze Hose und ein dunkles Hemd, das an die Farbe seines Anzuges erinnert. Meine Kehle wird trocken und ich zwinge mich zu einem verkrampfen Lächeln, das hoffentlich nicht verrät, wie anziehend er aussieht.

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