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»Der Typ geht gar nicht. Hast du mal seine Unterlippe gesehen?« Spencer schüttelt den Kopf und streckt die Füße von sich, um sie auf den Glastisch vor uns zu legen. Inzwischen wird es auf diesem in Verbindung mit Delilahs Füßen und unseren Getränken ziemlich eng und ich kneife die Augen zusammen, als eines von ihnen zu wackeln beginnt.

»Nicht aktiv, nein«, kichert Lil neben mir. Sie greift in die Tüte mit Gummibärchen, die zwischen uns steht, und richtet den Blick vom Fernseher zu Spencer.

Dieser beginnt, wild zu nicken und mit dem Finger auf den Kerl zu zeigen, der in hellen Farben gemeinsam mit einem Dutzend Frauen über den Bildschirm flackert.

»Eben, es sieht nämlich so aus, als hätte er keine«, ruft er und klingt dabei so empört, dass ich mich kurzerhand frage, ob jemand ihn verbal angegriffen hat. Lil bricht in leises Gelächter aus und schiebt mir eines der grünen Gummibärchen zu, das sie versehentlich aus der Tüte gezogen hat. Ich rolle mit den Augen, greife jedoch danach und schiebe es mir in den Mund. Länger als nötig kaue ich auf darauf herum, während Delilah erneut in die Tüte greift und sich ein rotes Gummibärchen hervorzieht, das sie mit zufriedenem Lächeln isst.

Währenddessen kann ich nicht verhindern, dass meine Augen langsam über den Fernseher, die Kommoden und den Teppich zu Aspen wandern. Er sitzt auf einem der Stühle, die wir behelfsmäßig vom Esstisch herbeigezogen haben, da der Platz auf der Couch auch mit zwei Personen schon ausgereizt ist. Nichtsdestotrotz hat sich Spencer zuvor grinsend links neben meine Freundin gequetscht und hängt seitdem zwischen Polster und Lehne.

Es ist Mittwoch, und seit wenigen Wochen flimmern die Folgen des neuen Bachelors über den Fernseher. Drei Menschen in diesem Raum würden niemals selbst auf die Idee kommen, sich das Drama anzusehen. Aber wir alle werden von der Euphorie einer einzigen Person angesteckt und dazu gezwungen, uns jede Woche aufs Neue im Wohnzimmer einzufinden und den leichtbekleideten Damen dabei zuzusehen, wie sie sich um einen Mann ohne sichtbare Unterlippe streiten.

Spencer scheint sich seinem Schicksal gefügt zu haben, denn inzwischen redet er während der Folgen mehr als unsere Freundin und versorgt uns mit Funfacts, die nur von einer der unzähligen Fanseiten auf Instagram stammen können.

Spencer und Delilah fangen eine neue Diskussion darüber an, welche der Frauen nur auf Geld aus ist und ich beginne, Aspen möglichst unauffällig zu mustern.

Während ich zwischenzeitlich knappe Kommentare von mir gebe, verhält Aspen sich still.

Es ist gut möglich, dass es daran liegt, dass er mit diesem Format noch weniger anfangen kann als ich. Doch der Verlauf der letzten Tage und die wenigen Zentimeter, die uns voneinander trennen, lassen mich vermuten, dass seine schlechte Laune heute einen anderen Grund hat als die mittelmäßige Unterhaltung.

Seit unserem Kuss haben wir nicht mehr gesprochen – und dieser ist schon ganze zwei Tage her. Die Stimmung zwischen uns ist eisig, was mir vor allem durch Spencer bestätigt wurde, der uns gestern beim Abendessen auf unser schweigsames Verhalten angesprochen hat.

Unison haben wir die Frage, ob etwas geschehen ist, verneint und ich habe Delilah dabei panische Blicke zugeworfen, in der Hoffnung, sie würde sich nicht verplappern und irgendwelche Andeutungen machen. Aber sie hat dichtgehalten, gottseidank.

Aspens Blick ist auf den großen Bildschirm gerichtet, aber ich weiß, dass er nicht wirklich hinsieht. Besonders deswegen, weil seine Augen – wenn auch nur für den Bruchteil weniger Sekunden – immer wieder zu mir huschen.

»Ich hab Hunger«, verkündet Delilah so plötzlich, dass ich zusammenzucke und den Blick sofort von Aspen losreiße. Der magische Strand hat Werbesequenzen platzgemacht, die nahtlos ineinander übergehen.

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