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Vor ein paar Minuten, bevor man zum Tanz aufrief, habe ich meinen Vater in der Nähe des Gartens gesehen, weswegen ich Jordan zunächst in diese Richtung führe. Tatsächlich werden wir auch schnell fündig.

Gemeinsam mit einigen Geschäftsleuten steht mein Vater neben der Tür, die zum Garten führt. Die vier Männer unterhalten sich angeregt miteinander und bemerken zunächst nicht, dass wir uns ihnen nähern.

Als wir schließlich zum Stehen kommen, unterbrechen sie ihre Gespräche. Die drei Unbekannten verstecken ihre Münder hinter den Whiskeygläsern und weichen meinen Blicken aus, als hätte ich sie bei einem äußerst intimen Gespräch unterbrochen.

»Ana, wie schön, dass du zu mir kommst.« Mein Vater breitet die Arme aus und umschließt mich mit ihnen, wobei er mir einen bourbongetränkten Kuss auf den Scheitel haucht. Nur halbherzig klopfe ich ihm auf den Rücken und wende zügig den Kopf in die andere Richtung.

»Du musst Jordan sein.« Noch während er mich im Arm hält, reicht er meinem Begleiter die Hand.

»Ja, Sir. Schön, sie kennenzulernen«, erwidert dieser, nachdem er durch ein Räuspern seine raue Stimme geklärt hat. Jetzt ist sie dunkler, als ich sie während unserer Gespräche erfahren habe.

Ich winde mich aus dem Griff meines Vaters und sehe zu, dass ich den Rücken durchdrücke. Ich richte den Ausschnitt meines Kleides und ziehe den Riemen meiner Tasche wieder nach oben.

Dad bittet seine Gesprächspartner um einen Moment und diese machen sich ohne Widerworte auf den Weg zur nächstgelegenen Bar, obwohl in ihren Gläsern noch die dunkelbraune Flüssigkeit schimmert.

Nachdenklich mustere ich meinen Vater. Wie bei meinem Bruder ist es schon eine Weile her, dass ich ihn das letzte Mal gesehen und gesprochen habe. Hoch und heilig habe ich ihnen bei meinem Auszug versprochen, sie monatlich in unserem Anwesen zu besuchen, doch dazu hat mir in den letzten Wochen die Zeit gefehlt. Und darüber hinaus die Motivation, mich ihren forschen Blicken und dem höflichen Smalltalk auszusetzen – aber das habe ich ihnen so natürlich nicht erzählt.

Trotz mangelnder Zeit sind wir zu regelmäßigen Telefonaten übergegangen, die es mir leichter machen, mich mit ihnen zu unterhalten. Sie verbergen ihnen den Blick auf mich, wie auch meinen auf sie. So scheine ich verpasst zu haben, dass mein Vater beschlossen hat, sich einen kurzen Bart wachsen zu lassen und selbst bei offiziellen Anlässen seine Brille zu tragen.

Die Haare auf seinem Kopf sind ebenfalls länger geworden, allerdings wage ich anzumerken, dass sie ein oder andere kahle Stelle hinzugekommen ist. Leider kann ich nicht näher an ihn heranrücken, um einen genaueren Blick auf seinen Kopf zu werfen. Ich möchte ihn nicht mustern wie ein Haustier, das ich zu kaufen gedenke: es reicht, dass er es mir gegenüber so handhabt.

Zum heutigen Anlass hat er sich für einen gräulichen Anzug entschieden, der perfekt zu seinen Haaren passt.

Neugierig gleiten meine Augen an ihm nach unten und ich sehe die orangeroten Socken, die unter dem feinen Stoff des Anzuges hervorblitzen.

»Dass Mom dich mit ihnen überhaupt auf eine Veranstaltung lässt, bei der jeder ein Auge auf uns haben wird, grenzt an ein Wunder«, tadle ich ihn.

Eigentlich bin ich nicht diejenige, die solche Spielchen anfängt – vor allem, weil kein Mitglied meiner Familie dazu geeignet ist, sie auf einem Level zu halten, das mich nicht am Ende mit gesenkten Schultern und Blick in der Ecke zurücklässt.
Aber was die Wahl seiner Socken angeht, kann ich nicht anders, als sie zu kommentieren. Es ist jedes Mal dasselbe mit ihm und ich weiß, dass Mom und Liam ihn schon oft darauf hingewiesen haben, weswegen ich mich auf sicherem Terrain vermute. Wir haben nie geklärt, warum er diese auffällige Wahl trifft – zumindest hat er es mir niemals offen erwähnt. Aber seit ich denken kann trägt er sie zu jedem offiziellen Anlass.

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