»Margery, schön, dass du gekommen bist.« Der Klang meiner Stimme ist brüchig und ich strecke den Rücken durch. Es genügt, dass man den beiden ansieht, wie sehr sie das Aufeinandertreffen beeinflusst. Ich möchte mir alle Mühe geben, der Ruhepol in dieser Situation darzustellen. Vor allem für Aspen.
Ich bemühe mich um ein zaghaftes Lächeln, als ihre haselnussbraunen Augen zu mir wandern. Ihre Lippen verformen sich zu einem lautlosen O, als sie mich zu mustern beginnt. Sie löst die Finger voneinander und legt eine Hand auf ihren Mund.
»Cassidy, ich habe nicht mit dir gerechnet«, antwortet sie. Die Worte überschlagen sich in ihrem Mund aber das kleine Lächeln auf ihren Lippen und das Weiten ihrer Augen verrät mir, dass sie nicht negativ überrascht ist.
»Wie... erwachsen du geworden bist. Und so wunderschön.« Sie legt den Kopf schräg, bevor ihr Blick wieder zu ihrem Sohn wandert, der noch immer wie angewurzelt neben mir steht.
»Ihr beide seid so groß geworden, ich fasse es nicht.« Sie schüttelt ungläubig den Kopf und presst ihre Hand an die Stelle auf ihre Brust, an der sich ihr Herz befindet.
»Es ist mehr als ein Jahrzehnt her...«, sage ich leise. Margery nickt und ein Schatten fällt über ihr Gesicht, der mich meine Worte sofort bereuen lässt. Ich habe nicht gewollt, dass sie sich unwohl fühlt oder denkt, ich wäre hier, um ihr ihre Flucht vorzuhalten.
Sicherlich bin ich nicht damit einverstanden, dass sie ihren Sohn und Ehemann, mit dem sie sich seit Jahren ein Leben aufgebaut und ein Haus gekauft hatte, verlassen hatte. Ich kann nicht unterstützen, dass ihr ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte wichtiger waren als das Wohnbefinden ihres Kindes.
Doch das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um ihr diese Dinge zu sagen. Wenn jemand das Recht dazu hat, ist es Aspen. An ihm allein liegt es, wie sich dieses Gespräch entwickelt und wie er damit umgehen möchte.
Nach seinem Zusammenbruch glaube ich, dass er es begrüßen würde, wenn sie sich annäherten: sei es auch nur, um sich selbst zu heilen und die Schuldgefühle abzulegen.»Wollen wir uns einen Platz suchen? Ich fürchte, wir fallen negativ auf.« Ich mache einem Gast Platz, der sich nörgelnd an uns vorbei zur Tür schiebt, und deute stattdessen auf einen freien Tisch am Fenster.
»Ich habe uns bereits einen Tisch gesucht, folgt mir.« Erst jetzt nehme ich wahr, dass sie weder im Besitz einer Tasche noch einer Jacke ist.
Ich hake mich bei Aspen unter und ziehe ihn mit mir wie ein Kind, das man zum Zahnarzt bringt. Margery deutet auf einen Platz am Fenster und nimmt auf dem Stuhl Platz, über den sie ihre Jacke gelegt hat.
Unison entledigen wir uns unserer Mäntel, hängen sie über die Lehne des jeweiligen Stuhles und nehmen schließlich Platz. Margery sitzt uns gegenüber und ich glaube, dass der alte Holztisch, der uns von ihr trennt, Aspen in diesem Moment gelegen kommt.
Es vergeht keine Minute, bis eine junge Kellnerin zu uns kommt und unsere Bestellung aufnimmt. Skeptisch betrachtet sie uns und zögert immer wieder, während sie die Kaffees und den Cappuccino auf den kleinen Block in ihren Händen schreibt. Dann bedankt sie sich und überlässt uns unserem Schicksal.
Marge und Aspen mustern sich in stillem Einverständnis und ich traue mich nicht, sie dabei zu unterbrechen. Stattdessen falte ich die Hände in meinem Schoß und hoffe, dass das Schweigen auf Aspens sinkenden Fluchtinstinkt zurückzuführen ist.
Als ich es irgendwann nicht mehr aushalte, wandert meine Hand unter dem Tisch zu seinem Bein und platziert sich auf seinem Oberschenkel. Ein sanfter Schleier fällt über sein Gesicht, doch er erwidert den Blick nicht, sondern legt seine Hand auf meine und drückt sie vorsichtig. Diese Geste allein sorgt dafür, dass sich mein Herzschlag etwas beruhigt.
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All this Time | ✓
RomanceZahlen bestimmen unser Leben, aber für Cassie ist nur eine wichtig. Die Eins, die sich widerspiegelt in der Person, die das Leben auf die schönste und romantischste Weise auf den Kopf stellt. Seit Jahren wartet sie darauf, dass ihre große Liebe unau...