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Möglichst gleichmäßig verteile ich den Frischkäse auf der frischen Scheibe Brot, das eine Angestellte meiner Eltern mir zuvor gereicht hat. Ich klemme Zunge zwischen den Zähnen ein und streiche den Aufstrich bis zum äußersten Rand, ohne ihn an die Rinde kommen zu lassen.

»Analia, hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen und iss anständig. Das Brot ist kein Spielzeug«, tadelt mich meine Mutter, die das Besteck zur Hand nimmt und anfängt, ihre Scheibe in mundgerechte Stücke zu schneiden. Ich stoße angehaltene Luft aus und lege das Messer schließlich beiseite, um das Brot in die Hand zu nehmen und ein Stück abzubeißen.

»Du bist bereits eine halbe Stunde hier und hast noch nicht von deinem Studium gesprochen.« Meine Mutter schüttelt den Kopf und spießt das erste Quadrat mit der Gabel auf. Anders als mein Brot ist ihres mit Lachs belegt. Allerdings gibt ihr das meiner Meinung nach nicht das Recht, das Brot zu behandeln, als wäre es nicht für ihre Finger bestimmt.

Nachdem sie ausgiebig gekaut und den ersten Bissen mit Rotwein heruntergespült hat, setzt sie hinzu: »Wie sieht es mit den Bewerbungen für das Praktikum aus?«

»Ich habe euch vor zwei Wochen erzählt, dass ich sie eingereicht habe. Mehr kann ich dazu nicht sagen.« Ich nehme mir möglichst viel Zeit dafür, mein Essen zu kauen und lasse den Blick schweifen. Alles, was meine Augen auffangen können ist besser, als die Enttäuschung in den Augen einer Eltern mit ansehen zu müssen.

»Du wolltest dir diese schnippischen Antworten abgewöhnen, Ana. Deine Mutter und ich sind einzig um deine Zukunft besorgt.« Eigentlich sollte mich die unterdrückte Wut in der Stimme meines Vaters versöhnlicher Stimmen und mich zu einer Entschuldigung bewegen. Doch damit würde ich ihnen die Genugtuung geben, die sie nicht verdient haben. Deswegen nehme ich einen großen Schluck von meinem Wasser und musterte den Speisesaal mit der lächerlich langen Tafel, die wir nur mit drei Personen besetzen.

Platz würde sie für eine ganze Fußballmannschaft und das Personal meiner Familie bieten, wenn wir zusammenrücken würden. Nur zu dritt hier zu sitzen, in dem Raum mit den hohen Wänden, den kunstvollen Gemälden und der Aussicht auf die gesamte Außenanlage, kommt mir wie eine Verschwendung vor.

Es ist heute nicht das erste Mal, dass ich meine gemütliche Wohnung und das ungezwungene Zusammensein mit meinen Freunden vermisse.

Ich schlage die Beine übereinander und mustere die Tischdekoration.

Die prägenden Farben in diesem Raum sind weiß, gold und feuerrot. Die eigens für meine Familie bestellten Pfingstrosen in hellem Rosa erfreuen mein Herz und geben gemischt mit dem Schleierkraut ein stimmhaftes Bild ab, sind jedoch nicht passend zu ihrer Umgebung ausgewählt. Das Rosa beißt sich mit dem stechenden Rot der Kerzen und der Läufer in Mintgrün tut sein Übriges. Wenn mir die bloße Aussicht auf ein Abendessen mit meinen Eltern nicht schon den Abend vermiest hat, tut es die Dekoration.

Das Anwesen meiner Familie ist von unsagbarem Wert, aber die Schmuckelemente und Farbakzente überlassen sie Amateuren.

»Wann kannst du mit den Zusagen rechnen?« Widerwillig hebe ich den Blick. Meine Augen wandern blind an meinem Vater vorbei zu einer weiteren Scheibe Brot, nach der ich greife. In ähnlicher Kleinstarbeit wie bei der letzten fange ich an, sie mit Frischkäse zu bestreichen.

»Es wollte sich niemand auf ein Datum festlegen, aber ich gehe davon aus, in der nächsten Woche etwas von ihnen zu hören.« Dass es sich dabei auch um eine Absage handeln kann, scheint mein Vater außen vor zu lassen. Zum ersten Mal wünsche ich mir, seine Zuversicht übernehmen zu können. Etwas Vertrauen würde mir die Wartezeit erträglicher gestalten. Es ist hart genug, nicht genau zu wissen, wann sich die erwartete Email oder der Brief in meinem Postfach befindet. In jeder Minute zwischen acht Uhr morgens und achtzehn Uhr abends könnte es so weit sein. Und das jeden Tag aufs Neue.

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