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Die Uhr schlägt acht als ich den Fuß über die Schwelle setze.

Ich befeuchte meine Lippen mit der Zunge, strecke den Rücken durch und hebe mein bodenlanges Kleid mit den Fingerspitzen an.

Helles Klacken begleitet jeden meiner Schritte und stammt von den hohen Schuhen mit Riemchen, für die ich mich an diesem Abend entschieden habe. Sie sind der einzige Part meines Outfits, der nicht neu ist. Alles andere - angefangen bei dem marineblauen Kleid mit Herzausschnitt und Strass, der sich ab der Hüfte auf dem dünnen Stoff verliert, meiner kleinen Handtasche und dem Schmuck in meinen Haaren - war heute Morgen noch mit Preisschildern versehen.
Gesponsort von meiner Mutter, die ihre Tochter in einem vorzeigbaren Licht präsentieren möchte.

Ich streife mir die dünne Jacke von den Schultern und reiche sie einem der Angestellten. Der junge Mann macht kein Geheimnis daraus, dass er mich mustert. Sein Blick gleitet über meinen Körper und er lässt sich Zeit dabei, meine Jacke über einen Kleiderbügel zu hängen und mir einen Zettel mit einer Nummer zu reichen, den ich gleich in meiner Handtasche verschwinden lasse.

Ein halbherziges Lächeln huscht über meine Lippen und ich setze mich in Bewegung. Hinter mir staut es sich bereits. Immer mehr Menschen gelangen über die Steintreppe in die Villa, die vorrangig für Hochzeiten und hoch angesehene Galen gemietet wird.

Möglichst locker verschränke ich die Hände vor dem Bauch und beschäftige meine feuchten Finger miteinander, während ich die teuren Gemälde an den Wänden betrachte.

Sie zeigen überwiegend Landschaften. Grüne Wiesen, malerische Sonnenuntergänge oder hohe Gebirge. Hin und wieder tauchen zwischen ihnen aber Porträts von berühmten Persönlichkeiten auf. Ich mag deren Darstellungen, die verschiedenen Farbakzente und Details, die sie voneinander abheben. Aber kaum habe ich den Blick wieder abgewandt, verschwindet ihr Anblick aus meinen Gedanken. Anders als Delilah kann ich nicht mehrere Stunden damit verbringen, solche Bilder anzustarren, ohne vor Langeweile zu sterben.

Über den weitläufigen Flur mit minimalistischer, gold-weißer Einrichtung gelange ich in den Haupttrakt der Villa und den Austragungsort der Gala.

Schwere Kronleuchter der vergangenen Jahrhunderte hängen von den Decken herab und thronen in weiter Ferne über uns. Die Glaskuppe in der Mitte des Saales, unter der man eine kreisförmige Fläche für Ansprachen und Tänze gelassen hat, wirft ein angenehmes, natürliches Licht auf die sorgfältig ausgewählte Dekoration und die betuchte Gesellschaft.

Eingeschlossen wird diese von drei langen Tafeln, die den mittleren Bereich wie eine Bühne wirken lassen. Bedeckt sind sie mit schneeweißen Tischdecken, Goldbesteck und bunten Blumengestecken. Auch die ersten kleinen Teelichter brennen, wenngleich ich nicht nachvollziehen kann, dass man sie anzündet, während die Sonne noch am Himmel steht.

Hinter den Tischen und den herangeschobenen Stühlen, die mit weißen Hussen überzogen, und mit breiten Schleifen verziert sind, befinden sich in regelmäßigen Abstanden weiße Stehtische mit dunklen Füßen. Auch auf ihnen stehen Blumengestecke, die ihm Gegensatz zu jenen auf den Tischen kleiner ausfallen, aber die gleichen schönen Pfingstrosen enthalten.

Auf der einzigen freien Seite um die Tanzfläche und vor der gigantischen Fensterfront, die einen Blick auf den weitläufigen Garten erlaubt, finden sich gerade eine Handvoll Musiker ein. Sie tauschen sich untereinander aus und hin und wieder erklingen die ersten, verheißungsvollen Töne.

Ich schlinge die Arme um meinen Oberkörper und stelle zufrieden fest, dass die ausgewählten Farben der Einladungskarten sich im Festsaal nicht wiederfinden. Auch, wenn es mich dadurch noch mehr stört, dass man sie überhaupt verwendet hat. Von Beginn an auf Weiß und Gold zu bauen, wäre zwar keine spektakuläre, aber immerhin weniger fatale Lösung gewesen.

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