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8.2

Mir stockt der Atem und meine Kehle wird trocken. Die einzige Person, von der ich weiß, dass sie ihn verlassen hat, ist seine Mutter. Und das ist beinahe ein Jahrzehnt her. Natürlich beschäftigt es einen Jungen, wenn die Mutter aus dessen Leben verschwindet. Allerdings habe ich nicht gewusst, wie sehr dieser Gedanke an ihm nagt: Es ist eines der Themen, über die wir nie, oder nur einmal, kurz nachdem es passiert ist, gesprochen haben. Ich habe geglaubt, er würde auf mich zukommen, wenn er reden wolle. Ich hatte ihn niemals zu etwas zwingen wollen.

»Ich kann das Verhalten deiner Mutter nicht entschuldigen, Aspen, und ich will es auch nicht. Es war egoistisch von ihr, dich und deinen Vater für einen anderen Mann zu verlassen, und...« Sein Kopf schießt nach oben und ich mache unweigerlich einen Schritt zurück, als ich den geschockten Ausdruck auf seinem Gesicht sehe.

Eine woge des schlechten Gewissens überkommt mich. Vor Jahren habe ich ihm geschworen, seine Mutter nicht mehr zu erwähnen, um ihn nicht daran zu erinnern, dass sie gegangen ist.

»Ein anderer Mann?« Seine Frage lässt mich stutzen und ich lege die Stirn in Falten, als meine Hände von seinem Körper gleiten. »Von welchem Mann sprichst du?«, hakt er nach. Dieses Mal ist seine Stimme klarer und ein Funkeln tritt in seine Augen zurück. Leider ist es keines, das auf Freude oder Amüsement zurückzuführen ist. Vielmehr ist es Wut, die sich langsam ankündigt und mich zögern lässt.

»Als sie damals gegangen ist, hat sie dich und deinen Vater doch wegen diesem Mann verlassen, den sie bei einer Fortbildung kennen und lieben gelernt hat. Sie wollte mit ihm dem alltäglichen Trott entkommen.« Ich schlinge die Arme um meinen Körper und bin jetzt diejenige, die seinem Blick ausweicht.

»Was... was hast du bisher gedacht?«, frage ich ängstlich nach. Aspen atmet zittrig Luft ein und fährt sich wie wild über sein Gesicht. Als er endlich aufhört und die Arme kraftlos sinken lässt, schimmern Tränen in seinen schönen Augen. Mein Herzschlag setzt endgültig aus.

»Ich habe gedacht, dass sie wegen mir gegangen ist. Weil sie es nicht mehr ausgehalten hat, in meiner Nähe zu sein. Mit dem, was ich getan habe.« Die Worte brechen aus ihm heraus, als hätte er sein halbes Leben damit verbracht, sie zurückzuhalten.

»Deinetwegen?«, hauche ich atemlos. Wie kommt er auf die Idee, dass sein Zwölfjähriges Ich der Grund dafür gewesen sein könnte, dass eine Mutter die Familie zerstört?

»Woher weißt du, dass sie wegen einem anderen Mann gegangen ist?« Er dreht den Kopf in meine Richtung und ich lasse mich langsam auf dem Bett nieder. So viele Gedanken schwirren in meinem Kopf herum und verwirren mich noch mehr als die Jura-Vorlesungen am Morgen. Ich lege mir die kühlen Fingerspitzen an die Schläfen.

»Ich... ich...« Hastig suche ich in meinem Gedächtnis nach dem Moment in meiner Kindheit, in dem ich den Grund für den fluchtartigen Aufbruch seiner Mutter erfahren habe. Ich trommle mir mit den Fingern auf die Schläfe.

»Ich habe meine Eltern darüber reden hören. Ein paar Tage, nachdem Margery gegangen ist. Mein Vater hat zuvor mit deinem gesprochen und es dann meiner Mutter erzählt. Sie konnten kaum glauben, dass ein Mensch so... egoistisch sein und Kind und Ehemann einfach zurücklassen kann«, stammle ich und gebe mir dabei alle Mühe, die Worte klar und deutlich auszusprechen. Im Moment scheint er verwirrt genug, als dass er dazu in der Lage wäre, aus undeutlichen Worten irgendeinen Sinn lesen zu können. Selbst, wenn es mich mehr Selbstbeherrschung kostet als alles zuvor.

»Er hat es mir nie gesagt. Den wahren Grund. Stattdessen hat er mich glauben lassen, es wäre meine Schuld. Er hat einfach dabei zugesehen, wie ich wochenlang in Schuldgefühlen fast erstickt bin.« Ruckartig dreht Aspen sich zur Seite und als ich realisieren kann, was passiert, zerschellt die Schreibtischlampe bereits an der gegenüberliegenden Wand.