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Ich lege den dünnen Schal enger um meinen Hals und ziehe meine Haare unter diesem hervor. Schweigend schlüpfe ich in meine Stiefelletten und schließe meinen Mantel.

Vorsichtig huschen meine Augen über die Schulter zu Aspen. Er steht vor dem Spiegel im Flur, richtet sein Hemd und zieht dann seinen Mantel über. Unruhig inspizieren seine Augen sein Auftreten, bevor er meinen Blick im Spiegel auffängt und die Hände sinken lässt.

»Bist du bereit?«, frage ich leise und gehe auf ihn zu. Von hinten schlinge ich meine Arme um seinen Körper und stütze das Kinn auf seiner Schulter ab. Aspen betrachtet mich nachdenklich, nickt jedoch.

»Das bin ich.« Seine Stimme zittert und ich kann es ihm nicht verübeln. Auch ich bin nervös vor dem bevorstehenden Gespräch. Gestern Nacht habe ich kein Auge zugemacht und an der Tatsache, wie oft Aspen sich neben mir umgedreht hat, machte ich fest, dass es ihm ähnlich ging. Von den nächsten Stunden kann einiges abhängen. Nach Jahren des Schweigens trifft er wieder auf seine Mutter und wir haben beide keine Ahnung, wie sich dieses Treffen entwickeln wird.

Ich drücke ihn sanft und mache einen Schritt auf die Wohnungstür zu, in der Hoffnung, dass er mir folgen wird. Es dauert einen Moment, bis er sich in Bewegung setzt und vor mir auf den Flur tritt.

Ich schließe die Tür ab, lasse den Schlüssel in meine Jackentasche gleiten und gehe zu ihm. Instinktiv greife ich nach seiner Hand und umklammere sie mit meinen Fingern wie ein kleines Äffchen.

»Ich bin bei dir, hörst du? Es wird alles gut werden«, verspreche ich ihm. Ich hoffe inständig, dass meine Worte sich nicht als Lüge entpuppen werden. Zwar ist sie seine Mutter und man sollte meinen, dass sie nur das Beste für ihn möchte. Dennoch kann ich nicht vernachlässigen, dass sie die Familie verlassen – ganz gleich aus welchen Gründen – und nicht versucht hat, den Kontakt wieder aufzubauen.

»Danke, Cass«, flüstert er und beugt sich nach vorne, um einen zaghaften Kuss auf meine Lippen zu hauchen. Er dauert nur einen Wimpernschlag lag an, trotzdem habe ich das Gefühl, seine Unsicherheit würde sich stärker auf mich übertragen.

Ich schenke ihm ein schüchternes Lächeln und ziehe ihn mit mir durch das Treppenhaus und schließlich auf die belebte Straße.

Nachdem er mir bei unserem ersten Date davon erzählte, dass er seine Mutter angerufen und sich mit ihr verabredet habe, haben wir an demselben Abend noch einmal über sie und das Gespräch geredet. Das Telefonat dauerte nicht lange an und beinhaltete nur eine vorsichtige Begrüßung und die Abmachung, sich an diesem Tag in einem kleinen Café zu treffen.

Bis zu besagtem benötigen wir zu Fuß eine gute Viertelstunde und ich hoffe, dass ihn die frische Luft beruhigen kann.


Das Wetter lädt allerdings kaum zu einem Spaziergang ein. Der Spätsommer hat Platz für den Herbst gemacht und Regen und Sturm eingeladen. Ich bin froh, dass es gerade zumindest trocken, wenn auch furchtbar kalt ist.

Einen guten Teil der Strecke legen wir schweigend zurück.

Ich lasse den Blick über die Reihenhäuser schweifen, mustere die Familien, die unseren Weg kreuzen und beobachte ein junges Paar, das gemeinsam auf einer Bank sitzt und sich verliebte Blicke zuwirft.

Trotz meiner Anspannung muss ich lächeln bei dem Gedanken, dass Aspen und ich ebenfalls auf diese Weise dort sitzen könnten. Es ist erst eine Woche her, dass er mich bei einem gemeinsamen Filmeabend, an dem ich zum ersten Mal die volle Länge TopGun gesehen habe, gefragt hat, ob ich seine Freundin sein möchte. Ganz offiziell.

Seitdem kann ich meine Finger nicht mehr von ihm lassen – auch die Argusaugen unserer Freunde stören mich nicht mehr dabei, ihm einen Kuss zu geben oder nach seiner Hand zu greifen, um sie auf mein Bein zu legen.

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