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»Dein Gesichtsausdruck war schon mal schlimmer, aber er wirkt noch zu aufgesetzt. Kannst du mal versuchen, an etwas Schönes zudenken? Wie wäre es mit dem Jungen aus dem Fitness? Bei ihm hattest du einen sehr verträumten Blick.«

Delilah zeigt mir eine präzise Position und Stelle, auf der ich mich einfinden soll und macht anschließend große Schritte rückwärts. Dabei ist sie mit ihrer Kamera beschäftigt und beachtet mich nicht, während meine Gedanken statt zu meinem misslungen Flirt zu Aspen wandern. Er ist der erste, der mir durch den Kopf schießt und der einzige, bei dem das nicht sein darf.

Sofortruft mein Kopf ein Bild von ihm in Erinnerung. Er in diesem verdammten blauen Anzug. Oder nur begleitet mit einer Boxershorts, wie er neben mir im Bett liegt. Den Arm um mich geschlungen und mich haltend, wie seine kleine Schwester. Ich schüttele mich innerlich und kneife die Augen zusammen.

Wir haben kein Wort über den Beinahe-Kuss auf dem Flohmarkt verloren und ich habe keine Ahnung, wo ich bei ihm stehe - und die Situation ist so verfahren und merkwürdig, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.

Ich stolpere über meine eigenen Füße bei dem Versuch, das Gewicht zu verlagern und Delilah ein Motiv zu präsentieren, das es sich zu fotografieren lohnt. Neugierig lugt sie hinter ihrer Kamera hervor und ich wende schnell den Blick auf, um nicht ihren fragenden Augen ausgesetzt zu sein.

Ein dicker Kloß breitet sich in meinem Hals aus und ich hüstele bei dem Versuch, ihn durch Schlucken zu vertreiben. Meine Wangen werden warm und ich verfluche mich selbst dafür, dass der Grund nicht das Wetter, sondern meine unangebrachten Gedanken sind.

»Wow, er muss etwas Besonderes sein. Die Röte auf deinen Wangen ist super!« reißt Lil mich aus meinen Gedanken. Ich zucke zusammen und brauche einen Moment, um zu verstehen, dass sie sich wieder in Position begeben und die Kamera angehoben hat.

»Ist es der aus dem Sport?«, fragt sie zwischen zwei Schüssen.

Ich gebe mir alle Mühe, ihren Anforderungen gerecht zu werden, auch wenn ich mir nach wie vor dämlich dabei vorkomme, so zu tun, als könne ich mir nichts besseres vorstellen, als merkwürdig gestellt durch den Park zu schlendern.

»Nein«, flüsterte ich leise. Eigentlich wollte ich die Situation zwischen Aspen und mir geheim halten. Ich wollte unsere Freunde nicht damit belasten und sie unbewusst dazu zwingen, im Ernstfall eine Seite zu wählen. Aber vielleicht würde es mir auch helfen, mich ihr anzuvertrauen? Vielleicht könnte sie mir sagen, was ich zu erwarten habe und wie ich damit umgehen soll, dass meine Gefühle auf verängstigende Weise verrückt spielen und mich an manchen Tagen davon abhalten, ein Frühstück zu mir zu nehmen?

Delilah lässt die Kamera sinken und betrachtet mich in Gänze, nicht nur durch das kleine Objektiv.

»Jemand Neues?«, hakt sie nach.

Wieder verneine ich.

Unaufgefordert legt sie die Schutzkappe auf die Linse und lässt die Kamera los, um die Hände in die Hüfte zu stemmen. »Darf ich mich freuen oder habe ich etwas zu befürchten?«

Ich halte in meinen Bewegungen inne und lasse die Arme sinken.

»Das kommt drauf an... Seit ein paar Tagen ist irgendetwas komisch zwischen mir und Aspen«, fange ich kleinlaut an. Meine Worte sind nur ein Hauchen im Wind und auch noch, als ich sie ausgesprochen habe, bin ich mir nicht sicher, ob es die richtigen sind.

Erkenntnis erhellt Delilahs Gesicht und sie lässt die Arme locker an den Seiten nach unten hängen. »Das weiß ich. Es ist kaum auszuhalten. In einem Moment verhaltet ihr euch wie Zwillinge, lacht, albert herum und habt nur Augen für einander, und im anderen Moment schweigt ihr euch an, macht einen großen Bogen um den anderen und wirkt, als wäre jemand gestorben.«

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