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Begleitet von einem lauten Knall schließe ich die Fahrertür meines Wagens und stiefele um diesen herum. Da Mitdenken nach einem solchen Tag schlichtweg nicht meine Stärke ist, habe ich meine Tasche natürlich auf der Beifahrerseite unter dem Sitz verstaut – zumindest ist sie während der halbstündigen Fahrt dorthin gerutscht.

Im Unterschied zu den letzten Tagen merkt man heute, dass der Sommer allmählich endet und Platz für den Herbst macht. Über Nacht ist es spürbar abgekühlt und das typische Wetter Londons, das von den meisten Touristen erwartet wird, hat sich über uns ausgebreitet. Seit Stunden schüttet es wie aus Eimern.

Ich schultere meine Tasche und laufe zur Haustür, die ich zügig öffne und meinen Körper vor einer weiteren Dusche bewahre. Wie vom Teufel persönlich getrieben, lasse ich die Hand auf dem Geländer gleiten und springe die Stufen nach oben. Mehrmals schnappe ich nach Luft und verfestige den Griff, wenn ich durch meine Ballerina auf den nackten Stufen ins Schlittern gerate.

Nachdem eine meiner Vorlesungen ausgefallen ist, habe ich beschlossen, für ein kleines Training ins Fitnesscenter zu fahren. Meine plötzlich auftauchende Motivation, herbeigeführt durch einen gutaussehenden Sportstudenten, hat mir schließlich mehr Zeit geraubt als ich eingeplant hatte. Und damit auch meine Essenzeit nach hinten verschoben. Inzwischen bin ich – wie so oft, wenn ich abends nach Hause komme – am Verhungern.

Leider ist mir zu spät eingefallen, dass Spencer und Aspen arbeiten, und Delilah und ich vorgestern die letzte Tiefkühlpizza aus unserer Kühltruhe gegessen haben. Deswegen hoffe ich inständig, dass sich in der Gefriertruhe meines besten Freundes noch etwas Essbares befindet, das mich über den Abend retten kann.

Ich gebe meiner Sporttasche einen Stoß, als ich am Treppenansatz ankomme. Sie vor meine Haustür zu verfrachten ist nur von mäßigem Erfolg gekrönt, da sie auf der Hälfte des Weges zum Liegen kommt. Allerdings mache ich mir keine weiteren Gedanken darüber. Niemand außer mir und meinen Freunden läuft durch diesen Teil des Hauses. Außerdem bezweifle ich, dass jemand gefallen an verschwitzen Sportsachen findet.

Mit knurrendem Magen mache ich mich an meinem Schlüsselbund zu schaffen und öffne die Tür zur Spencers und Aspens Wohnung.

Eigentlich bin ich guter Dinge, etwas Essbares vorzufinden. Aspen verabscheut jegliches Fertigessen und schreckt sogar vor Burgern und Co zurück. Spencer hingegen scheint aufgrund seiner Ausbildung eine Phobie gegen alles entwickelt zu haben, das nicht zu mindestens neunzig Prozent hausgemacht ist. Demnach sind meine Notfallvorräte bei ihnen meist sicherer als in Delilahs und meiner Wohnung.

Ich stoße die Tür zu und mache mich auf den Weg in die Küche. Wie erwartet ist es vollkommen ruhig in der Wohnung. Trotzdem muss ich erst Klamotten, Papiere und weiteren Kleinkram zur Seite schieben, um zum Froster zu gelangen und ausreichend Platz auf der Anrichte zu haben. Ich kann nicht verstehen, wie die beiden es geschafft haben, innerhalb eines halben Tages für ein solches Chaos zu sorgen. Vor allem, weil ich mir tagelang anhören muss, wenn ich eines meiner Kleidungsstücke an der falschen Stelle liegen lasse – dabei kann ich Unordnung selbst nicht ausstehen.

Ich beuge mich nach unten und studiere den Inhalt der Schulbaden. Je weiter ich mich voransuche, desto weiter sinkt meine Hoffnung auf eine Tiefkühlpizza oder Lasagne, die ich mir wärmen könnte. Entmutigt stoße ich schließlich die Tür zu und richte mich wieder auf.
Warum muss ich bloß so ein Pech haben?

Nachdenklich fahre ich mir mit der Hand über das Gesicht und kneife mir schließlich mit Zeigefinger und Daumen in den Nasenknochen. Da Spencer den ganzen Tag bei der Arbeit war, fällt die Option, frische Reste vorzufinden, flach. Und die herrenlose Portion von gestern Nachmittag gibt es schon lange nicht mehr.

Gerade wende ich mich ab, um einen Blick in den Kühlschrank zu werfen, als ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnehme. Ich fahre zusammen und mache instinktiv einen Schritt nach hinten, sodass ich mit dem Rücken gegen einen der Einbauschränke stoße.

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