Der Anführer Dutch Van der Linde, wie er selbst preis gab, musterte mich skeptisch und zog dabei genüsslich an seiner Zigarre, dessen Qualm uns umzingelte.
„Runa Downes." wiederholte er meinen Namen in einem kryptischen Ton.
Arthur und John, sowie ein älterer und schlaksiger Mann und eine Frau, die in edler Garderobe gekleidet war und ebenfalls im Zelt saß, in dem ein Grammophon, eine Pritsche, einige Kisten und Kleidung ihren Platz fanden und auch das Hauptquartier des Anführers und der Frau, wahrscheinlich seine Geliebte, war.
War ich überhaupt noch in meiner Zeit Epoche?
All diese Dinge, dieser Lebensstil, diese Kleidung und die Redeweise glich wie aus dem späten 19. Jahrhundert.
Mein Kopf drohte zu platzen.
„Und sie sagen, dass sie ihr Gedächtnis verloren haben?" der Anführer zog eine Augenbraue in die Höhe.
Mir war wirklich keine bessere Ausrede eingefallen.
Zuerst musste ich selbst herausfinden, wie oder warum ich in dieser Lage gelangte.
Deshalb erzählte ich Dutch, dass ich mich noch an wenige Details aus meinem Leben erinnern konnte.
„Ja." räusperte ich mich und kratzte vor Nervosität meinen Arm wund.
Dieser Mann schien mir so suspekt.
Ich konnte aufschnappen, dass sich die Menschen hier im Camp als Gesetzlose bezeichneten und dennoch kleidete er sich wie ein Mann aus einer angesehen Gesellschaft.
Vor allem diese Klunker an seinen Fingern und die goldene Taschenuhr, die aus seiner schwarzen Weste baumelte.
„Dann sollten wir sie wohl besser hier behalten, bis sie ihr Gedächtnis wieder haben." er lachte rau auf und schien mir wohl auf die Schliche gekommen zu sein.
Nichtsdestotrotz war es mir recht.
Natürlich würde ich gern wieder zurück, aber blind durch das Gebiet zu irren, schien mir eine Dumme Idee.
„Dann stellen wir sie mal die anderen vor und Miss Grimshaw wird sich bestimmt über eine helfende Hand sehr freuen." er blies den Qualm aus seinen Lungen, der seine Stimme belegt hatte, als er seine Hand auf meinen Rücken platzierte und mich aus dem Zelt begleitete.
„Hört mal her!" rief er, wobei ich zusammenzuckte.
Mussten denn hier alle so herumbrüllen?
Die angesprochenen im Camp, dass aus einigen Zelten und einem knisternden Lagerfeuer bestand, wandten sich von ihrer Beschäftigung und richteten ihre neugierigen Blicke auf mich, die mich unwillkürlich einschüchterten.
Unter den vielen Augenpaaren erkannte ich Frauen und ältere Herrschaften, sowie einem Kind, dass quirlig umher hüpfte.
Auch junge Männer reckten ihre Hälse nach uns.
„Runa Downes wird vorerst bei uns bleiben, also behandelt sie so wie auch die anderen!" teilte er in einer erhöhten Stimmlage mit und die meisten unter ihnen nickten, während andere skeptisch die Stirn runzelten.
Hoffentlich waren sie gastfreundlich.
Dutch kehrte um, dennoch spürte ich seine brennenden Blicke auf mir, bevor er aus meinem Sichtfeld verschwand.
Und nun?
Die Verzweiflung stand mir eindeutig auf der Stirn geschrieben.
Wie ein verängstigtes Reh trat ich einen Schritt vor den anderen und versuchte aus unerklärbaren Gründen kein Mucks von mir zu geben.
Diese neue Situation schlug auf mich ein wie ein Blitzschlag.
Wie musste ich mich verhalten um die Antworten auf die unzähligen Fragen zu bekommen?
Am liebsten wäre ich in Tränen ausgebrochen, doch schluckte ich jegliche Emotionen herunter.
„Sie können die Nacht bei den Frauen schlafen! Außerdem gebe ich ihnen neue Kleidung, denn ihre schickt sich nicht für eine Frau." erschrocken fuhr ich herum und blickte in trist braunen Augen einer älteren Frau, die ihr graues Haar zu einem unordentlichen Dutt gebunden hatte.
Ihre Gesichtszüge wirkten streng und herablassend.
„O...okay, danke." stammelte ich perplex und schon griff sie nach meinem Handgelenk, dass durch das Seil noch immer schmerzte.
Diese Frau wirkte ruppig und in eile.
Wie würde ich das nur für weitere Tage aushalten oder Wochen... vielleicht sogar Monate.
Mir graute es davor.
Aus dem Augenwinkel vernahm ich noch diesen Arthur, der mir nachsah, doch seine Fassade verriet nichts über seine Gedanken, die er mir gegenüber hegte.
„Mary, Tilly... Karen!" die Frau zitierte in einem unfassbaren strengen Ton drei junge Frauen herbei, die auch in meiner Verwunderung sofort aus deren Zelten sprangen.
„Gibt ihr doch frische Kleidung und zeigt ihr wo sie schlafen kann." die ältere Frau blickte grimmig drein, bevor sie kehrt machte und mich bei den Frauen, die mich neugierig musterten, stehen ließ.
Mir war wirklich nicht nach Gesellschaft, am liebsten hätte ich mich unter einem Stein versteckt.
Seufzend starrte ich auf meinen Ring.
Mein Leben war wirklich ein reinstes Chaos.
„Ich bin Mary- Beth." die junge Frau, dessen Haar in einer eleganten Hochsteck' Frisur gebunden war und vereinzelte Haarsträhnen ihr rundliches Gesicht umspielten, mal abgesehen von den Sommersprossen an der Nasenpartie, was sie wirklich niedlich aussehen ließ, stellte sich strahlend vor.
Ich erwiderte das Lächeln schüchterner, als sie auf die Afroamerikanerin zeigte, die mich mit ihren dunkel- braunen Knopfaugen ansah.
„Das ist Tilly." Mary beugte sich leicht nach vorn und fügte schmunzelnd hinzu: „Sie sieht zwar unschuldig aus, ist aber genauso wild wie manch unsere Männer."
Die angesprochene verdrehte kichernd ihre Augen: „Und Mary steckt ihre Nase nur in schnulzigen Büchern."
Die Frauen lachten hell auf und auch mir entging kein Schmunzeln über die Sticheleien.
Dann meldete sich die andere Frau zu Wort, die in einer knappen Bluse gekleidet war und nach einer Schnapsbrennerei roch.
„Ich heiße Karen und wenn du das Gerede der zweien auch nicht mehr aushältst, dann endest du so wie ich." witzelte sie nuschelnd und torkelte einige Schritte zurück.
Mary sowie auch Tilly verdrehten stöhnend ihre Augen, als mich Mary an der Hand packte.
„Komm mit, ich habe bestimmt schöne Kleider für dich übrig." sie musterte mich aus dem Augenwinkel heraus und führte mich hinter das mickrige Zelt zu einer Holztruhe.
Bei Mary fühlte ich mich tatsächlich wohler, was wahrscheinlich an ihrer gütigen Art lag.
„Die könnten dir vielleicht sogar etwas zu groß sein... aber was soll's." murmelte die Brünette und zog ein Matt blaues Kleid hervor, dass sie an meinen schmächtigen Körper hielt.
„Das würde passen." lächelte sie und ihre weißen Zähne kamen zum Vorschein.
Dankend nahm ich das Kleid an mich, während sie an eine Stelle, abseits vom Camp, zeigte.
„Dort kannst du dich umziehen und schlafen kannst du neben mir." erklärte sie mir, was ich nickend kommentierte und noch völlig verdattert zur Stelle humpelte, da die Schmerzen an meinem Knöchel sich erneut bemerkbar machten.
In meinen Kopf flogen derweil die Gedanken in ein undurchschaubares Durcheinander.
Noch immer wusste ich nicht zurecht, ob dies Real war oder schrecklicher Albtraum.
Betrübt suchte ich Deckung hinter einen dicken Baumstamm.
Meine Kleidung schickte sich nicht für eine Frau.
Diese Worte, der alten Frau, hallten auf.
Niemanden sonst störte meine ausgefallene Garderobe, nur diese Menschen sahen diese als ein Dorn im Auge.
Seufzend strich ich mein Shirt und Shorts von meinem Körper.
Das Kleid, dass Mary für mich aus der Truhe fischte, gefiel mir tatsächlich und das obwohl es nur in einem einfachen blau gehalten wurde.
Der ovale Schnitt am Kragen schmeichelte meiner Figur und auch dass es meine schmale Taille betonte.
Mir entfloh ein raues lachen, während ich um meine eigene Achse schwang.
Wer hätte mal geahnt, dass mir in solch einer komplizierten Situation ein Lacher zu gute war?
Meine Sachen klemmte ich unter meinen Arm und kam aus meiner Deckung, die wohl die einzige Möglichkeit bleiben würde, für etwas Privatsphäre.
Vor dem Lagerfeuer, dass nördlich vom Camp loderte, saß Arthur und kritzelte etwas in ein Buch, dass auf seinem Schoß ruhte, während die alte Frau von einer Richtung zur nächsten rauschte.
Seufzend legte ich meinen Kopf in den Nacken und sah in den Himmel, an dem die ersten Sternen funkelten und die Mondstrahlen sich durch die dichten Wolken kämpften.
Ich fühlte mich verdammt fehl am Platz.
Diese Menschen lebten ein vollkommen anderes Leben, Beschäftigten sich mit anderen Problemen, an denen ich nicht Teil haben durfte.
„War ich ein böser Mann?" eine betrunkene Männerstimme lockte meine Neugier.
Meine Augen huschten über das Camp, als sie bei einem alten Mann in Priestergewandt, stockten.
Seine Frauen Haare lagen ihm wirr auf dem Kopf und immer wieder torkelte er unkontrolliert vor und zurück.
„Halten sie den Mund, Reverend!" schimpfte die alte Frau und verschränkte ihre Arme vor ihre Brust.
Ein Reverend an diesem Ort?
Verwirrt runzelte ich meine Stirn.
„M...Miss Grimshaw." säuselte er und verschwand im Schatten, was die Frau nur kopfschüttelnd kommentierte.
Doch ich verlor an diesem komischen Mann keinen weiteren Gedanken und trat zurück zu den Frauen, um meine Kleidung dort abzulegen.
Mary las derweil ein Roman und Tilly saß im Nachtkleid auf ihrer Decke.
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Zwischen uns die Zeit
FanfictionDie junge Frau, Runa, suchte in den Wüsten von Amerika den Abstand zwischen sich und ihrer Vergangenheit. Dabei fand sie Unterschlupf bei der Familie MacFarlane, die ihre Ranch seit Generationen lieblich pflegten. Tessa, eine der Töchter von dem a...