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Selbstsicher betrachtete ich mich im Spiegel.
Meine strohblonden Haare reichten mir mittlerweile bis zu meinem Gesäß.
„Sind sie sich sicher, Miss Downes?"
Martha musterte betulich mein Spiegelbild, während ich in ihres sah.
Es war an der Zeit mein Leben umzukrempeln, mich neu zu entdecken und taufrisch in die Zukunft zu visionieren.
Nichts durfte mich zurückblicken lassen.
Meine Iriden huschten zu meinem Verlobungsring, der auf dem verwitterten Beistelltisch ruhte.
Noch immer überkam mich ein befremdliches Gefühl, dass mein Ringfinger kein Schmuckstück mehr ausmachte.
Nichtsdestotrotz befreite es mich von der Altlast, die mich immer wieder an die dunkelsten Tage meines Lebens ersann.
„Ich lebte immer im Schatten, dass Blatt muss sich nun wenden!"
Enthusiastisch zuckten meine Mundwinkel nach oben.
Nicht ohne Grund flüchtete ich von einem Ort in den nächsten.
Ich erhoffte dadurch Seelenfrieden, doch das lag meilenweit von mir entfernt.
Sobald ich die Indianer aufspüre, würde ich zurück in meine Epoche gelangen und mein Leben endlich neue Maßstäbe setzen.
Vielleicht arrangiere ich mich in Hilfszentren oder werde ein Teil der unberührten Natur.
Wie auch immer dieser plötzliche Geistesblitz mich benommen hatte, es war Balsam für meine Seele und gab mir die längst verschollene Kraft zurück, die ich benötigte in dieser Zeit auszuharren.
„Weißt du Martha... mein Verlobter war ein Schuft, ein Prolet."
Das Adrenalin schoss durch meine Venen und der Mut, über meine Vergangenheit zusprechen, sprudelte nur so aus mir heraus.
„Vor einigen Jahren, er war mittlerweile in der Stadt als Alkoholiker und Frauenverführer bekannt, stritten wir uns. Er wurde handgreiflich und schlug unbedacht auf mich ein."
Diese Nacht, als ich wehrlos vor ihm lag und um mein Leben gewinselt hatte, verfolgte mich jeden Tag... jede Sekunde.
Nichts war mehr von dem Mann übrig, den ich einst geliebt und geehrt hatte und dennoch fehlte er mir.
„Am nächsten Tag entschuldigte er sich mehrmals bei mir..."
Ein Lacher entfloh mir.
„Er überraschte mich sogar mit ausgefallenen Geschenke. Seit jener Nacht erhob er nie wieder die Hand und dennoch fürchtete ich mich, wenn er neben mir im Bett lag."
Ich atmete aus und mein Herz polterte regelrecht bei den Erinnerungen.
„Wegen mir reduzierte er sein Alkoholkonsum, auch Frauen sah er nicht mehr hinterher und dennoch konnte ich ihm nicht in die Augen sehen, ohne mich zu sehen, wie ich weinend am Boden lag."
Martha legte fürsorglich die Hand auf meine Schulter und drückte diese.
Nach all den Jahren spürte ich noch immer seine Anwesenheit.
Trotz der vielen Jahren war er noch immer ein Teil von mir.
Seufzend senkte ich meine Augenlider.
„Eines Tages, es war ein stürmischer Tag. Das weiß ich noch so genau, weil ich so wütend war, dass er nicht wie versprochen die Einkäufe erledigte, die ich ihm zugetragen hatte."
Seine lausige Ausrede war nämlich der Sturm, denn er war ein Tag zuvor bei der Autowaschanlage und bangte um sein Wagen, dem er meist mehr Zuwendung gewidmet hatte, als mir.
„Oh Gott... ich erinnere mich wie wir uns angeschrien haben! Ich bin daraufhin in die Küche gelaufen, um dass Mittagessen vorzubereiten, doch er lief mir nach. In seinen Augen war die pure Aggressivität abzulesen, die mich zurück zur besagten Nacht geschleudert hatte."
Ich erhob meinen Blick und sah Martha in die Augen, die mich mitleidig inspizierten.
„Aus Angst... Angst davor ihm wieder unterwürfig zu sein, griff ich zu einem Messer, doch er blieb nicht stehen, er kam mir näher, in diesem Moment zu nah, doch ich sah nur rot und holte kräftig aus, als er zu Boden fiel und eine Blutlache ihn umzingelte."
Ein Tränenschleier benetzte meine Augen.
„Sein lebloser, starrer Blick verfolgt mich bis heute."
Krampfhaft unterdrückte ich einen Schluchzer.
Solang war ich auf der Flucht.
Die Flucht von diesem Ort... vor mir selbst.
Doch es tat gut diese Last von meinem Herzen zusprechen.
Auch wenn ich nicht wusste, wieso ich es erst jetzt tat.
Wahrscheinlich weil die Frauen in dieser Epoche mit solch Mark erschütternden Geschichten vertraut waren.
Zu lange hatte mir die Vergangenheit ein Teil von mir genommen.
Vor meinem Verlobten war ich eine temperamentvolle Frau, eine Frau mit Lebensfreude.
Doch seit jenem Tag war ich in mich gekehrt und liebte ihn wegen meines Gewissens weiter.
Ich vergaß, dass ich auch ohne ihn einmal gelebt hatte.
„Es tut mir leid, dass sie sowas durchlebten, Miss Downes und ich verstehe ihre Schuldgefühle, doch es ist gut, dass sie darüber sprechen und sich davon lösen wollen."
Martha griff zur Schere, die neben dem Verlobungsring lag.
„Niemals wird man zu der Person, die man vorher einst war, aber solche Geschichten machen doch einen Menschen aus."
Behutsam strich sie mein Haar zurück und setzte die Schere an.
Dankend schniefte ich und strich die Tränen aus meinem Gesicht, die aus meinen Augen gequollen waren.
Vielleicht stellte ich mich doch der Polizei, die nach Jahren nach dem Täter verhandelt hatten, um endlich zu meiner Tat zustehen.
Auch wenn ich dafür ins Gefängnis kommen könnte, wäre es ein befreiendes Gefühl die Schuld auszusprechen.
Dennoch müsste ich mich bis dahin gedulden und vorerst meine persönliche Mission überwältigen- die Indianer ausfindig machen!
„Auf Wiedersehen Vergangenheit, willkommen Zukunft." lächelte Martha und ein fauchendes Zischen erklang, als mein Haar Kinnlang zurück in mein Gesicht fiel.
Erleichtert atmete ich aus und konnte kaum fassen, dass ich mein Haar, das ich immer lang trug nun Abschnitt.
Mit meiner Hand fuhr ich durch meine neue Frisur, als ich leise auflachte.
Auch wenn es ungewöhnlich ausschaute, ließ mich der neue Haarschnitt gewitzt und kess wirken.
Meine smaragdgrünen Augen stachen heraus und auch meine vollen Lippen standen nun im Vordergrund.
„Sie sehen wirklich wunderschön aus!" jubelte Martha und klatschte eifrig in die Hände.
Tatsächlich empfand ich mich auch sehr attraktiv.
Auch wenn es nur mein Haar war, bewirkte es großes.
Ab den heutigen Tag wollte ich mein altes ich wieder aufstöbern, auch wenn es viel an Überwindung kosten würde.
Denn die Erinnerung, als ich an den Baum gebunden wurde und die eiskalte Hand von Sadie, die meinen Hals umschlungen hatte, ging mir noch immer durch Mark und Bein.
Nie wieder würde ich es erneut zulassen, dass man mich wie ein wildes Tier behandelt.
Auch wenn ich dem Klugscheißer Arthur Morgan nie wieder über den Weg laufen würde, genügte mir die Vorstellung sein Gesicht zusehen, wenn ich ihm selbstbewusster gegenüber stand.
Überschwänglich sprang ich auf und zog in meinem Gefühlsüberschwang Martha in eine herzliche Umarmung.
„Vielen dank." raunte ich und drückte sie an den Oberarmen leicht zurück, um ihr in die Augen sehen zu können.
„Das bedeutet mir sehr viel und sobald Misses LeClerk mir die Erlaubnis zuspricht das schießen und die Selbstverteidigung zu erlernen, werden wir einen schönen Tag verbringen!"
Martha kicherte verlegen und nickte begeistert.
„Ich freue mich schon darauf, Miss Downes."
Endlich würde ich neue Seiten aufziehen und den Verlauf bestimmen.
Nur müsste ich scharf über den Plan nachdenken, die Indianer aufzuspüren.
Wenn ich das Vertrauen der Bande gewinne und ihnen meine Geschichte verklickern konnte, abgesehen von der Zeitreise, dann stünde die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich bald schon wieder auf dem Boden des 21. Jahrhundert stehe.
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich Charlotte, die mich verpflegt hatte, als ich fiebrig im Bett lag, wegen des Schlangengifts.
Ich entschuldigte mich bei Martha und eilte zu der Brünette, die sich gerade eine Zigarette anzündete.
Vielleicht würde sie mir helfen wollen.
„Hey, ich möchte nicht stören." rief ich.
Charlotte erschrak leicht, wahrscheinlich war sie in Gedanken versunken.
Sie schwieg und wandte sich zu mich herum, dabei pustete sie den Qualm der Zigarette in die Lüfte.
„Ich benötige deine Kenntnisse."
atmete ich aus und richtete meine weiße Bluse, die aus dem Rock rutschte.
„Um was geht's?" erwiderte sie knapp und verschränkte lässig ihre Arme vor ihrer Brust.
Obwohl sie wie eine zerbrechliche Frau ausschaute, war ihre selbstbewusste Ausstrahlung wahrlich überrollend.
Wahrscheinlich wirkte ich neben ihr, wie eine hilflose und weinerliche Frau.
Dies musste sich ändern und ich wusste, dass sie dafür die perfekte Ansprechpartnerin war.
„Ich würde gerne das schießen lernen, um mich selbst verteidigen zu können."
Rastlos knetete ich meine Hände.
Leise lachte sie und trat einen Schritt vor.
„Erstens, ich töte nur wenn ich muss! Zweitens, musst du von innen heraus mit Stolz strahlen, sonst nimmt dich keiner für bare Münze und drittens... wir müssen was an deiner Kleidung ändern, ein Rock behindert dich nur."
Ihre Finger berührten mein Haar, als sie nicht schlecht staunend das Gesicht verzog.
„Kurze Haare stehen dir."
Schüchtern verharrte ich und nuschelte nur ein schmales danke.
Tatsächlich hatte sie recht- Kleidung machen Leute- doch ich wirkte wie eine einfache Frau.
Da wirkte sie mit ihren lackschwarzen Springerstiefel, die Marmorschwarze Lederhose und das weiße Shirt, mit einem V- Ausschnitt, dass ihrem Gesicht schmeichelte, wie eine Kopfgeldjägerin, die man nicht verärgern sollte.
„Ich sollte in meinem Zelt noch Kleidung für dich haben, die dir passen könnten, danach gebe ich Misses LeClerk Bescheid, dass wir außerhalb des Camps jagen gehen."
Sie zwinkerte mir kühn zu.

Zwischen uns die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt