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Weinend stand sie dort.
In ihren Händen eine schneeweiße Lilie, die für die Vergänglichkeit stand.
Unzählige Tränen kullerten über ihre Wangen, die im milden Sonnenlicht glitzerten.
Immer wieder ertönte ein erbitterter Schluchzer, den sie im Keim zu ersticken versuchte.
Bemitleidend wandte ich meine Augen von ihr und las die Innenschrift auf dem Grabstein.

Ashok

Ihr Sohn war in der gleichen Nacht verstorben in den Armen seiner Mutter.
Sie hatte fürchterlich geschrien und geweint.
Fliegender Adler, Paytha und ich hatten es nicht geschafft sein Leben zu retten.
Mein Herz zerbrach vor Schuldbewusstsein.
Hätte ich doch nur die andere Tür gewählt oder hätte einen Blick in die Kisten riskiert.
Stattdessen kam ich nur mit dem Dokument zurück, dass ihren Sohn nicht zurückholen wird.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, die mich tröstend drückte.
„Wir hätten mit reingehen sollen."
Fliegender Adler plagte genauso die Schuld wie mich.
Betrübt wandte ich mich zu ihm herum und schlang meine Arme um seinen athletischen Körper.
Ohne ein Wortfall erwiderte er die Umarmung und spendete mir für einen Moment die Zuneigung, die ich brauchte um bei Kräften zu bleiben.
„Mein Vater arrangiert ein Treffen mit Mr. Miller, er ist ein berühmter Autor und will uns wegen der Dokumente helfen." raunte er und hielt mich dabei weiter in seinen Armen.
Stumm nickte ich und schloss für einen wohligen Moment meine Augen.
Obwohl mir wieder Tausend fragen im Kopf umherschwirrten, entschied ich mich zu schweigen.
Fragen stellen könnte ich später.
„Tuen ihnen noch die Knöchel weh?"
„Nein, die Salbe hat geholfen."
Ich drückte mich sanft von ihm und lächelte ihn dankbar an.
Haarscharf kam ich einen Bruch davon, stattdessen hatte ich nur Prellungen und mich verknackst.
Paytha und Fliegender Adler hatten mich bewusstlos zurück ins Camp gebracht, als ich vor ihnen mit dem Dokument wie ein Sackkartoffeln umgekippt war.
Seither waren zwei Tage vergangen.
Ashok's Mutter konnte es nicht übers Herz bringen ihren Sohn am gleichen Tag zu begraben.
Erst als ich mit ihr die ganze Nacht im Tipi gesessen hatte und auf sie einredete, stimmte sie einer Beerdigung zu.
Jeder aus dem Reservat war heute anwesend und spendeten ihr Trost und Beistand.
Das einzige was ihnen blieb.
„Sie sollten sich dennoch schonen, Miss."
Besorgt musterte er mich, was ich nur abwinkte.
„Quatsch, ich will mich nützlich machen."
Kess zwinkerte ich ihm zu.
Ich fühlte mich geschmeichelt und zugleich verwirrt.
Wie lang war es her, dass sich jemand um meinen Wohlstand sorgte?
Der Sohn des Häuptlings atmete nur kopfschüttelnd aus, wusste aber im nächsten Wimpernschlag dass es keinen Weg gab mich umzustimmen.
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich, dass sich die Traube an Trauernden Indianer auflöste und jeder geschlossen seinen Weg zurück ins Reservat einschlug.
Nur die Mutter weilte noch dort und rang mit sich.
Ich sah in Fliegender Adler's Iriden.
„Geh du schon mal, ich werde ihr noch etwas Gesellschaft leisten."
„Natürlich."
Er nickte und machte auf seinen Absatz kehrt.
Sie so zurückzulassen würde mich zerfressen.
Behutsam schritt ich zu ihr und faltete meine Hände ineinander.
Die Mutter hatte sich einen ruhigen Ort für ihren Sohn gewünscht, den wir ihr auch gestattet haben.
Er lag etwas abgelegen vom Reservat.
Nicht allzu weit entfernt von einem rauschenden Flusses, der herrlich glitzerte.
Hohe Bäume ragten aus der Erde und unzählige Blumen wehten in der aufkommende Windbrise.
„Sein Vater wird jetzt auf ihn achtgeben." wimmerte sie und schlug sich die Hand vor den Mund.
Tröstend strich ich ihr über den Rücken und kämpfte selbst mit den Tränen.
Es war schrecklich wenn die Eltern ihre Kinder überlebten.
Schniefend hob sie ihren Kopf.
„Haben sie auch jemanden verloren?"
Kaum merklich nickte ich als Antwort und dachte dabei an meinen Verlobten, Martha, Charlotte und der Rest der Bande von LeClerk.
Ihren Tod hatte ich nie wirklich verarbeiten können.
Wahrscheinlich weil ich es immer wieder in den Hintergrund drängte und mich damit nicht auseinandersetzen wollte.
Bedauernd musterte sie mich und lächelte mir aufrichtig zu, während Krähenfüße ihre Augenpartie schmückten.
„Ich habe mich bei ihnen noch gar nicht bedankt." stellte sie fest, als sie die Lilie auf das Grab niederlegte.
Verwundert runzelte ich meine Stirn.
Bedankt... bei mir?
Sie lachte heiser über meinen perplexen Gesichtsausdruck und legte ihre Hand auf meinen Oberarm.
„Das sie sich in Gefahr begeben haben und meinen Sohn die Medizin bringen wollten."
Mir stieg ein Hauch an Röte ins Gesicht.
„Aber wir haben versagt." hauchte ich und stand wie die Medusa da.
Doch sie schüttelte ihren Kopf und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Grab.
Zerfahren stierte ich sie an, während ihre Worte in meinen Kopf umherschwirrten.
Sie sollte sich nicht für unser Versagen bedanken, sie müsste vor Wut platzen.
Eine schweigen umgab uns und das Vogel Gezwitscher wurde präsenter.

Zwischen uns die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt