30

89 17 15
                                    

Meine Fingerspitzen berührten meine Lippen, während ich mich im Taschenspiegel musterte.
Tiefe Augenringe, Schrammen und Blutergüsse verzierten mein kreidebleiches Gesicht.
Seufzend klappte ich den Spiegel in meiner Hand zusammen und stand behutsam von meinem Schlafplatz auf.
Noch immer schmerzte mein Bauch und meine Beine zitterten wie Espenlaub.
Es würde noch Tage andauern, bis ich mich vollständig von den Verletzungen erholt hatte.
Schwankend trat ich aus der Hütte, bedacht darauf Karen, Mary und Pearson nicht zu wecken, die schlummernd in den Hängematten lagen.
In der Nacht vernahm ich Lenny, der sich mit Sadie und Miss Grimshaw Unterhalten hatte.
Doch von Javier, Bill, Micah, Dutch, Charles, Fliegender Adler, Hosea und John hatte ich nichts gehört.
Molly war gewiss hier, denn ihr klägliches Weinen war kaum zu überhören, sowie der Reverend der bereits in den frühen Morgenstunden um Gnade bei Gott bat.
Die schwüle war an diesem Tag unerträglich und die Luftdichte verdeckte fast schon den Himmel.
Ächzend humpelte ich zu den Holzkisten, als Abigail mich Kopfnickend grüßte gefolgt von Jack, der verheult ausgesehen hatte.
Ich erwiderte schief lächelnd die Geste.
Der Trampelpfad, der ins Camp führte, war von dünnen Holzstäben umrandet worden.
Was war mit Shady Belle passiert?
Keuchend beugte ich mich nach vorn, die pulsierenden Schmerzen an meinem Bauch nahmen die überhand.
„Sie sollten sich ausruhen." murmelte Arthur nebenläufig, als er mit einem Gewehr in seinen Händen an mir vorbei ging.
Erschrocken sah ich auf und erhaschte nur für einen Moment seinen niedergeschlagenen Ausdruck.
Es plagte ihn etwas.
Besorgt und von einem Hauch an Neugier folgte ich ihm, wobei mir die Schmerzen wirklich übel mitspielten.
Ich wollte endlich eingeweiht werden.
Denn jeder hier war von Ungewissheit und Wut zerfressen.
Am Ende des Pfades blieb er stehen und wandte sich stöhnend zu mir herum.
Ich spürte deutlich das ich ihn nervte und er meine Gesellschaft nicht ertrug.
Schluckend blickte ich ihn nur an, während mein Herz doppelt so schnell schlug.
„Was wollen sie?" seufzte er Augenverdrehend und schulterte sein Gewehr.
„Ich... was... was ist passiert?" stotterte ich nervös und die Hitze durchströmte mich.
„Und da fragen sie ausgerechnet mich?" erwiderte er nur kalt und deponierte seine Hand auf seine Gürtelschnalle.
Er wirkte wie ausgewechselt.
Ja, ich wusste das er meine Geschichte nicht abkaufte, aber letzte Nacht wirkte er mir gegenüber noch fürsorglich.
Ich lachte aufgesetzt und kratzte mir dabei am Hinterkopf.
„Stimmt, entschuldigen sie, Mister Morgan."
Hastig kehrte ich um und lief eilig zurück.
Auch wenn mich die Schmerzen beinah umbrachten.
Arthur hatte mich abgeschrieben und das musste ich akzeptieren.
Zittrig atmete ich ein und unterdrückte die Emotionen.
Ich musste funktionieren.
„Guten Morgen." Lenny gelangte zu mir und schenkte mir ein aufrichtiges Lächeln, obwohl man ihm die Befangenheit anmerkte.
Mir entging nicht sein Veilchen am Auge oder die aufgeplatzte Lippe.
„Morgen." gab ich zurück und verbarg all meine Gemütsbewegungen.
„Kann ich dich was fragen?" hing ich schnell dran und dämmte ein wenig mein Stimmklang.
Er nickte bloß und krempelte die Ärmel seines Beige farbendes Hemdes höher.
„Was ist passiert und wo sind die anderen?"
Meine Iriden huschten unweigerlich zu Arthur, der gedankenverloren in den Himmel sah.
„Wir haben versucht die Bank zu überfallen und alles ist schief gelaufen." betrübt senkte er seine Augenlider und holte tief Luft, als er fort fuhr.
„Ich und Arthur konnten noch entkommen, natürlich mit ihnen Miss, aber Dutch, Bill, Micah und Javier sind wahrscheinlich erstmal untergetaucht."
„Und was ist mit Charles, John, Hosea, Uncle und Fliegender Adler?" harkte ich nach.
Dutch hatte den Plan also durchgeführt und versagt!
Verdammt seist du Dutch!
„Charles und Fliegender Adler sind seitdem sie aus Shady Belle geritten waren nicht zurückgekehrt und John... ich weiß nicht, er war auf einmal verschwunden."
Er biss sich auf die Unterlippe und legte den Kopf in den Nacken, als seine Augen freudlos in meine fanden.
„Hosea wurde von Milton erschossen und Uncle starb bei der Flucht aus Shady Belle."
Entgeistert starrte ich ihn einfach nur an.
Hosea war tot, sowie auch Uncle?
John wurde nicht mehr gesichtet, genauso wenig wie Charles und Fliegender Adler?
Schluckend trat ich zurück und stieß mit der Kiste zusammen.
Wieder blickte ich zu Arthur, der noch immer in der selben Haltung verharrte.
Er war verletzt.
Hosea war wie eine Vaterfigur für ihn, Uncle sein nerviger Kamerad den er trotz allem schätzte, John wie sein Bruder und Charles sein bester Freund.
Mal abgesehen von Dutch, der Arthur so viele Sorgen bereitet hatte.
Lenny bemerkte, wie mitleidig ich zu Arthur sah.
„Er hat vieles durchgemacht... und dann auch noch sie." den letzten Satz murmelte er und war wohl nicht für meine Ohren bestimmt, zumindest verriet mir das sein erschrockener Gesichtsausdruck.
Verwirrt legte ich meinen Kopf schief und blinzelte ihn abwartend an.
Was hatte ich damit zu tun?
War es also doch meine Schuld?
In mir zog sich alles schmerzlich zusammen.
„Na ja, als sie zum zweiten Mal abgehauen waren, hat er sich Vorwürfe gemacht und als sie aus dem nichts während des Überfalls aufgetaucht waren, hatten wir geglaubt sie seien tot, als sie das Bewusstsein verloren hatten." erklärte er knapp und musterte Arthur ebenso.
Sorgen gemacht?
Um mich verrückte Furie?
„Ich lebe noch! Wir sollten an die Gedenken, die von uns gegangen sind." meinte ich und fühlte mich augenblicklich unwohl.
Der Afroamerikaner nickte.
„Ich muss jetzt weiter Patrouille halten." verabschiedete er sich, doch ich hielt ihn am Arm fest.
„Warte." stieß ich aus und erntete einen konfusen Blick seinerseits aus, als ich ihm um den Hals fiel.
„Es tut mir so leid, Lenny." nuschelte ich in seine Halsbeuge und spendete ihm Trost.
Auch wenn ich für ihn nur Miss Downes war, wollte ich ihm für einen Moment die Zuneigung widmen, die er an solchen düsteren Tagen benötigte.
Ich hörte wie er leise auflachte und die Umarmung erwiderte.
„Danke Miss Downes."
„Ach, nenn mich doch endlich beim Namen. Runa!" lächelte ich und drückte mich sanft von ihm weg.
„Okay, Runa." kicherte er.
Auch wenn es nur für diesen Augenblick war, aber ihn zum Lächeln gebracht zu haben erfüllte mich.
Er wandte sich augenzwinkernd von mir ab, während ich ihm noch nachsah, als er aus meinem Sichtfeld verschwand.
Lenny gehörte eindeutig zu den Guten und ich hoffte, dass er das immer bei sich trug.
Dennoch setzten mir die Informationen zu.
Solch ein Verlust für einen dämlichen Überfall.
Hoffentlich waren Charles, Fliegender Adler und John noch am Leben und suchten wie die anderen Unterschlupf, bis sich die wögen geglättet haben.

Zwischen uns die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt