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„Country roads, take me home, to the place I belong. West Virginia, Mountain Mama,
take me home, country roads."
Die Augen meines Vaters sahen mich hingebungsvoll an und erfüllten mich mit Kraft und Geborgenheit.
Lächelnd schmiegte ich mich an seine warme Brust und horchte seinen gleichmäßigen Herzschlag.
„Runa, eines Tages wirst du auf Mutter aufpassen müssen."
Seine tiefe Stimme erreichte mein Gehörgang.
Untröstlich sah ich auf und schluckte jeglichen Schluchzer hinunter.
„Aber ich will nicht das du gehst, Papa."
So wie er es immer tat, lächelte er sanft und streichelte behutsam meinen Kopf.
„Du bist eine starke junge Frau und ich weiß, dass du eine enorme Kraft in dir trägst."

Entgeistert starrte ich Dylan an, der die letzte Strophe des Liedes sang.
Die Härchen auf meinem Körper stellten sich auf und ließen mich erschaudern.
Für eine lange Zeit hatte ich vergessen, dass das Lied das letzte war, dass mein Vater sang, bevor er am selben Abend tödlich verunglückt war.
Diese Erinnerung traf mich wie ein Blitz, der in der dunkelsten Nacht im Himmel auf zischte.
Schluckend unterdrückte ich die aufkommenden Schluchzer.
Dylan war ohne Zweifel ein Zeitreisender, außer es bestand die Möglichkeit das er das Lied irgendwo aufgeschnappt hatte.
Es spielte keine Rolle, denn es war glasklar, ob er selbst oder jemand anderes irrte in der falschen Epoche.
Genauso wie ich.
„John Denver, 1971." hauchte ich und musterte ihn erwartungsvoll.
Wenn er wirklich ein Zeitreisender war, dann müsste ihn dies erschüttern.
Mein Puls raste ins Unermessliche und das Blut rauschte nur so durch meine Venen.
Seine Augen blitzten fassungslos im grellen Mondschein auf, als er zitternd nach Luft schnappte.
Hatte ich ihn enttarnt?
Schweigend sahen wir uns nur aneinander an.
Die Rufe einer Eule und das heulen der Wölfe schien in diesem Augenblick ohrenbetäubend und zugleich so surreal.
Er und ich waren nicht in der Lage angemessen zu reagieren.
Wie denn auch?
Wir beide waren in einer fremden Welt gefangen.
Räuspernd senkte er seine Augenlider und strich hastig mit seinem Handrücken eine kullernde Träne von der Wange.
„Geboren im Jahr 1950." hörte ich ihn vor sich hin murmeln.
Mitfühlend atmete ich aus und faltete meine eiskalten Hände ineinander.
Meine Theorien, über die Zeitreisen stimmten also.
Er war Jahrgang 50' und noch in seinen frühen 30er, ich schloss nicht aus, dass Leute aus der späteren Zukunft hier umher irrten.
Ich begradigte meinen Blick und beobachtete nebenbei das Geschehen im Camp.
Horley schien bei bester Laune und unterhielt die kichernden Frauen.
„1990, mittlerweile 28 Jahre alt." entgegnete ich traumverloren dasitzend.
In solchen Momenten, wie die Menschen aus dieser Zeit lachten oder sich über alte Anekdoten austauschten, fühlte ich mich wie ein Eindringling.
Es fühlte sich so unangebracht an ein Teil ihres Lebens zu sein.
„Meine Frau und meine Kinder warten wohl jeden Tag- und Abend auf mich."
Mein Kopf schellte zu Dylan.
Sein Gesichtsausdruck war von Sehnsucht und Schmerz gezeichnet worden.
„Seit fünf Jahren verharre ich schon hier und kurz vor meinem Ziel, wurde ich ergriffen."
Wie vom Donner gerührt starrte ich ihn wortlos an.
Fünf Jahre lang musste er sich den neuen Lebensumständen fügen?
Mir graute es davor, dass es keinen Weg zurückgab.
Dennoch sprach er von einem Ziel.
Konfus runzelte ich meine Stirn.
„Die Indianer Reservate liegen nördlich von hier, gar nicht weit entfernt. Höchstens einen halben Tag."
Er lachte beschlagen auf.
„Und dennoch lief ich kopflos in die Fänge dieser Bande."
Schluckend musste ich die Informationen verdauen.
Die Reservate lagen grad einmal einen halben Tag entfernt?
„Also waren es wirklich die Indianer, die uns entführt haben..." keuchend fasste ich mir an die Stirn.
Natürlich hatte ich es niemals ausgeschlossen, dennoch wirkte es wie ein Schlag ins Gesicht.
Zum welchem Zweck taten sie das?
Aus Rache... Habgier?
Nichtsdestotrotz schwirrte mir eine aufkommende Frage durch den Kopf.
„Weshalb werden sie gefangen gehalten?"
Neugierig legte ich meinen Kopf schief.
Hatte es einen triftigen Grund?
War er vielleicht durchgedreht?
Dylan öffnete seinen Mund und schloss ihn gleich wieder, als er mir mit einem Kopfnicken etwas verständlich machen wollte.
Verwirrt schellte mein Kopf zur Seite und aus dem Schatten trat Charlotte, die Dylan einen abwertenden Blick zuwarf.
Na super.
Sofort sprang ich auf und klopfte mir den Staub von der Hose.
Innerlich betete ich, dass es zu keinem Aufsehen kam oder einem Konflikt.
„Hat er versucht dir ein paar Flausen in den Kopf zusetzen?" ihre Stimme klang von hasserfüllt.
Hastig schüttelte ich meinen Kopf und schnitt ihr den Weg ab.
„Nein, wir hatten nicht einmal gesprochen."
Beschwichtigend hob ich meine Hände und warf Dylan einen flüchtigen Blick zu, den er mit einem schmalen Lächeln kommentierte.
„Tatsächlich hatte ich ihn nicht einmal bemerkt, nur als ich versehentlich auf seinen Ketten gegessen habe."
Charlotte verschränkte mit hochgezogener Augenbraue die Arme vor ihrer Brust und schnaubte nur missbilligend aus.
Dylan war kein Schwerverbrecher, sondern ein einfacherer Familienvater.
Seufzend lockerte ich meine angespannte Haltung.
Wenn der Tag gekommen war, dann würde ich alles darauf setzen Dylan mit mir zunehmen.
Er wollte zurück zu seiner Familie.
Nach fünf Jahren hatte er es mehr als verdient!
„Ich sollte schlafen gehen." meinte ich noch, bevor ich in mein Zelt gelangte.

Zwischen uns die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt