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Das Glas zersprang in Abertausend Scherben und der Schuss hallte noch Sekunden zwischen den mächtigen Baumstämme nach.
Selbstsicher zielte ich mit dem Cattlemen Revolver auf die nächste Flasche, in der sich die Mittagssonne reflektierte.
Schon seit Stunden schoss ich auf Flaschen, um meine Trefferquote zu verbessern.
Natürlich würde aus mir niemals eine Revolverheldin werden, aber Übung machte bekanntlich den Meister.
Ich holte tief Luft, drückte den Abzug und atmete aus, als auch diese Flasche klirrend zersprang.
Wer sagt's denn, ich hatte den Dreh raus!
Hinter mir vernahm ich urplötzliches Äste knacken, als ich mich mit einem Ruck herumdrehte und der Lauf meines Revolvers auf Arthur zeigte.
Er hob beschwichtigend die Hände.
„Passen sie auf, Miss."
Stöhnend verdrehte ich meine Augen und widmete mich wieder den restlichen Flaschen, die ich auf einer Erhöhung abgestellt hatte.
Musste er immer auftauchen, wenn ich gerade mal nicht an ihn dachte?
Erneut löste ich einen Schuss aus und die nächste Flasche war hinüber.
Erstaunt pfiff Arthur über meinen Treffer und trat neben mich.
Entnervt sicherte ich die Waffe, um Mister Nervensäge nicht versehentlich noch in den Fuß zu schießen.
„Sollten sie nicht im Reservat bleiben, falls Mister Favours erscheint?"
Arme verschränkend stand ich vor ihm und musterte ihn abwertend.
Er rieb sich belustigt sein Dreitagebart und schien sich nicht so leicht abzuwimmeln zu lassen.
„Sie haben sich wirklich verändert." murmelte er wohl mehr zu sich selbst und erwiderte meinen Augenkontakt.
Ich runzelte nur meine Stirn und hoffte inständig das er mich in Ruhe ließ, doch da hatte ich die Rechnung ohne ihn gemacht.
Lässig stemmte er sein Bein auf einen abgeschlagenen Holzstumpf und beugte sich dabei nach vorn.
Einiger seiner aschblonden Haarsträhnen fielen ihm in sein markantes Gesicht, was er aber nicht weiter beachtete.
„Ich warte noch immer auf eine Antwort." raunte er, wobei mir eine zarte Röte ins Gesicht schoss.
Was denn für eine Antwort?
Eindeutig verwirrt und zugleich befangen stierte ich ihn einfach nur an.
„Ich bin daran Schuld, dass Männer sie jagen und Frauen gestorben sind."
Jetzt fiel der Groschen.
Er erwartete also eine Antwort auf meine wahrhaftige Aussage.
So wie ich es immer tat in seiner Anwesenheit, wollte ich ihm eine freche Antwort an den Kopf werfen, aber seine Gesichtsausdruck war bitterernst und erduldete keinen Tadel.
Schluckend wandte ich meine Augen von ihm ab.
Mir schossen unweigerlich die Bilder zurück ins Gedächtnis, als das ganze Camp niedergemetzelt wurde und der leblose Ausdruck von Martha, der mir noch immer durch Mark und Bein ging.
Räuspernd erstickte ich einen aufkommenden Schluchzer und wischte hastig mit dem Handrücken die anbahnenden Tränen davon.
„Das spielt keine Rolle mehr." kam es kleinlaut von mir.
Ich wollte nicht allzu lang darüber nachdenken oder geschweige sprechen, denn den Tag nochmals Revue passieren zu lassen, würde mein Herz erneut brechen.
„Miss, ich sehe ihnen doch an, dass sie etwas mit sich tragen, was sie nicht mit sich ausmachen können. Ich will sie zu nichts drängen, aber fressen sie es nicht zu tief in sich hinein, sonst kriegen sie es nie heraus."
Seine Stimmlage klang tatsächlich besorgt und eine gewisse Aufrichtigkeit schwang mit ihr.
Seufzend nickte ich nur und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte.
Immerhin war ich seine fürsorgliche Seite kaum noch gewohnt.
Hochgestimmt setzte er seinen Fuß wieder auf die Erde und seine Iriden glimmerten.
Irgendwas führte er doch im Schilde.
Kryptisch musterte ich ihn aus dem Augenwinkel heraus.
„Ich gehe jetzt jagen, kommen sie mit?"
Aufgelockert legte er seine Hand auf seine Gürtelschnalle.
Mit zusammengezogenen Brauen sah ich ihn überrascht an, konnte mir aber ein schelmisches Grinsen nicht unterdrücken.
„So gern ich es auch würde, Mister Morgan, aber ich muss noch die restlichen Flaschen zerschießen und dabei lasse ich mir ausgieeeebig Zeit."
Nickend entwich ihm ein belustigter Laut, als er seinen Revolver zückte und in innerhalb von Sekunden die restlichen drei Flaschen aus der Hand heraus abschoss.
Verdattert wechselte ich meine Augen zwischen ihm und den unzähligen Glasscherben.
„Ich denke, sie können jetzt."
Er wirbelte den Revolver in seiner Hand und steckte ihn zurück in sein Holster, als er an mir vorbei trat.
Äffend sah ich ihm nach, konnte aber ein Staunen über seine Schießkunst kaum verbergen.
„Kommen sie nun?" der blauäugige warf schief grinsend seinen Kopf über seine Schulter und griff nach seinem Gewehr, dass er an einem Baum gelehnt hatte.
„J.. ja." stammelte ich und steckte meinen Revolver zwischen Gürtel und Hosenbund, als ich ihn aufholte.
Amüsierend musterte er mich, während ich ihm tiefer in den anmutigen Wald folgte.
Ich verstand zwar noch nicht, weshalb er mich unbedingt beim Jagen dabei haben wollte, da ich nach seinen Aussagen tollpatschig sei.
Dieser Mann war wirklich merkwürdig.
Schweigend liefen wir nebeneinander über den moosbewachsenen Boden.
Tatsächlich war es sogar ganz angenehm, nur der Natur zu lauschen.
In meiner Zeit waren die Klänge der Natur längst verstummt und von Straßengeräuschen überdeckt.
Ich erhaschte ein Eichhörnchen, dass verschreckt den Baumstamm hochkletterte und eine graue Maus, die sich im Gras versteckt hatte.
Es stimmte mich fast schon melancholisch, dass die Wälder in der Zukunft kaum noch geschätzt wurden.
„Das was in Shady Belle passiert war, tut mir leid, Miss." kam es plötzlich von Arthur, der starr nach von sah.
Hatte ich mich verhört?
Der toughe Kerl, mit der harten Schale und dem weichen Kern, zeigte Reue?
„Ich hatte versucht Dutch von der Idee, sie am Baum zu fesseln, abzubringen, aber sie wissen ja wie er ist."
Stirnrunzelnd sah ich zu ihm auf.
Er schien es wirklich ernst zu meinen.
„Na ja, dass was in Rhodes passiert ist, war auch wirklich verwirrend." winkte ich ab.
Ich war über mich selbst erschrocken.
Seitdem er hier war, warf ich ihm gedanklich den Vorfall vor... nun sprach er es selbst an und ich nahm es urplötzlich auf die leichte Schulter.
„Allerdings." raunte er und richtete seinen Hut, dessen Krempe einen tiefen Schatten in sein Gesicht warf.
Vielleicht war es auch besser so, dass ich keinen Fass aufmachte, denn sonst würde die Geschichte noch komplizierter werden, als sie schon sowieso war.
In Gedanken versunken schwirrten meine Iriden durch die Idylle, als Arthur in seiner Bewegung verharrte und seinen Arm vor meinem Körper streckte.
Konfus sah ich auf.
„Sehen sie den Hasen dort?" flüsterte er und deutete auf das Wild, dass im hohen Gras saß.
Ich nickte nur.
Er nahm derweil das Gewehr von der Schulter und hielt es mir im nächsten Augenblick hin.
„Dann zeigen sie mal, was sie drauf haben."
tadelnd zwinkerte er mich an, was ich sofort als eine Herausforderung annahm.
Wahrscheinlich dachte er, dass ich es nur mit Flaschen aufnehmen konnte, aber da hatte er sich gewaltig geschnitten.
Ich legte das Gewehr an und lugte durch das Visier, dabei fing ich sofort den Hasen auf.
Sein grau- daunenweiches Fell glänzte unter den Sonnenstrahlen und die schwarzen Knopfaugen rotierten.
Tief holte ich Luft und beim ausatmen drückte ich den Abzug.
Die Vögel flogen verschreckt aus den Baumkronen und der Hase fiel leblos in sich zusammen.
„Treffer!" rief ich freudig und warf Arthur einen siegreichen Blick zu, den er würdigend kommentierte.
Ich hielt ihm das Gewehr hin, dass er an sich nahm, als ich zu meiner Beute lief und diese an den Beinen hochhob.
„Das Fell ist in einem perfekten Zustand." stellte ich fest und ging wieder zu Arthur, der sich derweil eine Zigarette zwischen seine Lippen legte.
Er nickte und zündete sich ein Streichholz an, als die Glut der Giftstange rot aufleuchtete.
„Am besten sie häuten das Tier." meinte er, während ihn der Qualm umzingelte.
Tatsächlich hatte ich bislang noch nie einen Hasen gehäutet gehabt, nach dem traumatischen Ereignis, als ich mit Charlotte einen Hirsch entweiht hatten.
Mir entglitt ein angewiderter Gesichtsausdruck, den Arthur nicht ergangen war und auflachte.
„Geben sie her, ich zeige es ihnen."
Mit der Zigarette zwischen seinen Lippen, zog er das Fell am Hinterteil mit einem Ruck herunter und nur noch das Fleisch blieb übrig.
Verstört sah ich drein.
Ich vergaß wohl, dass es in dieser Zeit üblich war.
Dennoch konnte ich mich dem noch nicht ganz anfreunden.
„Tiere zu erschießen macht ihnen nichts, aber dass Häuten schon?" Arthur runzelte belustigt seine Stirn.
„Ich muss mich nur daran gewöhnen!" rechtfertigte ich mich und verschränkte schnaubend meine Arme vor meiner Brust.
Beschwichtigend trat er einen Schritt zurück.
„Oh, verzeihen sie Miss."
Enerviert verdrehte ich meine Augen, konnte mir aber das grinsen kaum verkneifen.
„Sie machen sich ganz gut, aber sie halten den Schaft zu weit unten."
Er ließ das Fell in die Wiese fallen und nahm sein Gewehr in die Hände, dabei trat er neben mich und reichte mir den Karabiner, den ich an mich nahm und wieder anlegte.
Arthur korrigierte meine Haltung und kam mir ziemlich nah.
Sein herber Geruch stieg mir in die Nase und seine Körperwärme empfing mich.
Verlegen hielt ich inne und meine Wangen färbten sich in eine zarte röte.
„Sehen sie? So ist es besser und der Rückstoß ist nicht allzu schmerzhaft." raunte er und seine Hände berührten meine Haut, was ein angenehmes prickeln zurückließ.
Schluckend nickte ich.
„Ja, danke" gelangte es aus meiner Kehle.
Aus dem Augenwinkel betrachtete ich seine Lippen, die ich einst mit meinen berührt hatte.
Ich ersann mich was unser Kuss in mir ausgelöst hatte, die Zärtlichkeit, die Wärme und die weichen Lippen, ließen mein Puls in die Höhe schlagen.
Überschwänglich schaffte ich Distanz zwischen uns und biss peinlich berührt auf meine Unterlippe.
Was ging nur in mir vor?
Anscheinend verlor ich komplett meinen Verstand.
„Jagen." platzte es aus mir heraus.
Arthur musterte mich nur verwirrt und legte seinen Kopf schief.
„Was?"
„Wir sollten jagen, meinte ich." räusperte ich mich und kehrte auf meinem Absatz um.
Ziellos schritt ich einfach vorwärts und versuchte mich vergebens auf das Jagen zu konzentrieren.
Runa, du bist einfach nur durcheinander!
Beruhigte ich mich gedanklich.
Immerhin war Arthur die Nervensäge in Person.
Die Schritte, die hinter mir taktvoll aufschlugen, verrieten mir dass er mir folgte.
Ich blies die angestaute Luft aus meinen Lungen und versank tief in Gedanken.
Arthur war sowieso bald fort, sobald Mister Favours auftauchte würde ich ihn nie wieder sehen.
Denn ich musste auf Dylan warten, der hoffentlich bald zurück kommt und dann wäre ich vielleicht bald schon wieder in meiner Epoche.
Zumindest dachte ich es.
Denn was der Morgen bringt, konnte selbst ich nicht vorhersagen.
Urplötzlich packte mich Arthur am Oberarm und zog mich zurück.
Torkelnd quiekte ich auf und stieß an seinen Oberkörper, der mich auffing.
„Sie sollten ihre Augen offen halten, Miss."
Verwirrt blinzelte ich und sah hinunter, als ich eine Schlange ausmachte, die sich durch die Wiese schlängelte.
Innerlich schlug ich mir mehrere Male vor die Stirn.
Anfängerfehler.
„Oh, natürlich." hauchte ich und sah zu ihm auf, der mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck beäugte.
Schon wieder schlug mein Herz ein Ticken zu schnell.
Hastig befreite ich mich von seinem Griff und lachte nur verlegen auf.
„Immer diese Schlangen."
Erneut eilte ich voraus und achtete diesmal auf Gefahren und- oder Stolperfallen.
Am liebsten wäre ich zurück ins Reservat gelaufen, aber dass würde einen falschen Eindruck schinden.
Stattdessen riss ich mich zusammen.
„Wer hat ihnen eigentlich das Schießen beigebracht?" fragte er und blieb noch immer hinter mir.
„Charlotte."
„Eine gute Freundin." ergänzte ich hastig und wagte einen Blick hinter mich.
„Ist sie auch in dem Reservat?"
„Nein, sie ist vor einiger Zeit verstorben."
Arthur sah mich bemitleidend an.
Seufzend blickte ich wieder nach vorn.
Wenn er wüsste, wie sie verstorben war...
„Das tut mir leid, Miss." wisperte er, als uns eine Stille umhüllte.
Noch immer beklemmte mich die Frage, ob ich es verhindern hätte können.
Immerhin hatte ich Hixon und seine Männer ins Camp geführt, nachdem er Martha dass leben genommen hatte.
Sie war noch so jung und voller Elan.
Vorwurfsvoll ließ ich meine Schultern hängen.
Ich hoffte wirklich, dass es diesmal im Reservat anders zugeht.
Quasi ein Happy End, obwohl es nie ein glückliches Ende gab.
Für niemanden.
Denn im Endeffekt zahlten wir alle mit dem Tod.
„Wir sollten zurück, wer weiß wann dieser Kerl auftaucht." unterbrach Arthur meine düsteren Gedanken.
Ich drehte mich herum und sah in sein lächelndes Gesicht.
Kopfnickend stimmte ich zu und schenkte ihm ebenso ein aufrichtiges Lächeln.
Vielleicht war Arthur nicht durch und durch ein aufgeblasener Mistkerl.
Ich glaubte sogar, dass er eine Seele in sich trug und das war schon mal ein bedeutsamer Fortschritt.
„Außerdem habe ich Hunger bekommen." witzelte ich und auch er stimmte lachend zu. Während der Rückweg sonst sehr ruhig verlief, genossen wir die Stille und die Klänge der Natur.
Hin und wieder nahm ich verschreckte Tiere wahr oder das Rascheln eines Busches.
Wäre ich allein gewesen, hätte mich das Rascheln in die Flucht geschlagen, aber an Arthur's Seite wusste ich, dass ich in Sicherheit war.
Von weitem machten wir schon das Reservat aus, sowie Pferde die nicht zu uns gehörten.
Konfus zog ich meine Augenbrauen zusammen.
Hatten wir Besuch?
Doch dann fiel es mir wie Schuppen vor die Augen und auch Arthur begriff es.
Mister Favours und seine Männer müssten wohl eingetroffen sein.
Panisch blickte ich zu Arthur, der im Gegensatz zu mir entspannter wirkte.
Natürlich, er hatte nichts zu befürchten.
Gerade als ich ihn darauf ansprechen wollte, ertönte hinter mir eine krächzende Männerstimme, die mir das Blut in den Adern erfrieren ließ.
„Miss Downes, schön sie wiederzusehen!"
Hastig drehte ich mich herum und sprach schockiert seinen Namen aus.
„Mister Hixon..."

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