„Erst jetzt leide ich wirklich und ich habe alles verloren, meine Berufung, meinen Glauben, meine Familie."
Reverend Swanson vergrub sein Gesicht in seinen Händen und wimmerte.
Schon seit etlichen Stunden saß er in der Hütte und quälte sich, indem er eine Whiskeyflasche vor sich stellte um die Sucht zu bekämpfen, die ihm den Verstand raubte.
Karen lallte nur und betäubte ihre Sinne im Alkoholrausch, während Mary und ich ihn kopfschüttelnd beobachteten.
Swanson arbeitete früher als Geistlicher, doch als er sich irdischen Freuden wie Alkohol und Sex hingab, verlor er langsam seinen Job und seine Familie sowie seinen Glauben.
Hatte mir Mary erklärt, sowie dass er vor langer Zeit das Leben von Dutch gerettet hatte und mit Dutch in seiner Schuld durfte Swanson bei der Van Der Linde Bande bleiben.
Ich bemitleidete Swanson und hoffte für ihn, dass er eines Tages seinen Frieden fand.
Seufzend wandte ich mich ab und trat aus der Hütte, wo mich die Mittagshitze beinah umhaute.
Shady Belle lag zwar auch in den Sümpfen, aber hier war es unerträglich und die Nächte eine torture.
Die Luftdichte schnürten mir die Atemwege ab und die Kopfschmerzen plagten mich.
Gereizt strich ich die Schweißperlen von meiner Stirn und zog mir im Handumdrehen das khakifarbene Hemd aus, als ich in einer weißen ärmellose Bluse mit Rüschenspitze und einer Dreiviertel Hose dastand.
Es war mir egal, ob es für eine Frau aus diesem Jahrhundert sich nicht schickte.
Schnaubend irrten meine Iriden durch das Camp, dass überschaubarer als Shady Belle war.
Molly saß geistesabwesend an einem Baum gelehnt, Abigail und Jack saßen unter einem schattigen Plätzchen, während die anderen herum streunten und- oder sich ächzend Luft zu fächerten.
„Läuft man in ihrer Zeit so freizügig herum?" pfiff Arthur spitzbübisch, der sein Hemd bis zur Brustmitte aufgeknöpft hatte.
Bei diesem anzüglichen Einblick errötete ich und eine Hitze durchfuhr mich regelrecht.
Gedanklich schob ich es auf die Temperaturen, die uns alle zugesetzt hatten.
„Wenn sie nur wüssten." räusperte ich mich und beobachtete aus dem Augenwinkel heraus, wie Schweißperlen über seine Brust rannen und einen Glanz hinterließen.
Verlegen biss ich auf meine Unterlippe.
Meine Finger kribbelten und die Begierde ihn zu berühren und ihm nah zu sein umfing mich.
Arthur musste meine unersättlichen Blicke gespürt haben, denn er lachte rau und zündete sich eine Zigarette an, dabei musterte er mich durch dringlich.
Peinlich berührt fuhr ich hoch und verschränkte störrisch meine Arme.
„Scheiß Wetter." grummelte ich und drehte meinen Kopf von ihm weg.
Seit der Nacht, als ich an seiner Schulter eingeschlafen- und von ihm am Baum gedrückt worden war, hatte ich in seiner Nähe ein absurdes Kribbeln, was mich betörte.
„Haben sie noch schmerzen?"
„Was?" rief ich indigniert und blinzelte ihn konfus an.
Er zog belustigt eine Braue in die Höhe und blies den Qualm aus seinen Lungen.
„Ob sie noch schmerzen haben, hatte ich gefragt. Nichts wildes."
Die letzten Worte waren eine eindeutige Anspielung auf mein erregtes Verhalten.
„Ich bin top fit und klar beim Verstand!" keifte ich und warf hochnäsig mein Haar zurück.
Arthur lachte nur kopfschüttelnd.
Gerade wollte ich ihm etwas frech entgegnen, doch den Spaß verdarb ich ihm nicht.
Stattdessen entwich mir ein beherztes Lächeln.
Nach den Verlusten und dem Stress, war es wohltuend ihn für einen Moment ungezwungen und aufrichtig lachen zu sehen.
Arthur Morgan, der Mann aus der anderen Zeit, für den ich etwas empfand, was über Freundschaft hinaus ragte.
Bei dieser urplötzlichen Erkenntnis fror mein Lächeln ein und mein Herz polterte regelrecht.
Das musste an der verzwickten Situation liegen!
Natürlich musste es das!
Mein Kopf lief hochrot an und mein Kreislauf sackte mir bis zu den Zehenspitzen.
Wahrscheinlich sehnte ich mich nur nach Zuneigung!
Gedanklich versuchte ich eine Erklärung für die Gefühlswallungen zu spinnen.
Gerade als im Begriff war zu gehen, um mich bei Sinne zu behalten, gelangte Abigail zu uns, die mehr als besorgt drein schaute.
„Sadie hat wahrscheinlich herausgefunden wo John sich aufhält."
Arthurs Miene versteifte und jeglicher Spaß erlosch.
Auch meine Gedanken verstummten und die Neugier wurde groß.
„Und zwar im Sisika Gefängnis." beendete sie und ihre Augen wurden glasig.
Eine ohrenbetäubende Stille beherrschte uns, als Arthur fluchend den Kopf senkte.
„Ihr müsst ihn daraus holen! Sonst wird er gehängt!" wimmerte Abigail flehend und faltete ihre Hände ineinander.
Sisika Gefängnis?
Das würde ihnen noch Kopf und Kragen kosten.
Der blauäugige atmete aus und rieb sich den Nasenrücken.
„Natürlich, Abigail. Wir werden uns sofort auf den Weg machen."
Er rauschte an ihr vorbei und rief Sadie zu sich, die ohne ein Wort zu ihm gelangte.
Mein Atem stockte.
Das war doch lebensmüde!
Klar, es geht um John, aber kopflos sich ins Verderben zu stürzen war doch auch keine Option.
Abigail dankte ihnen mehrmals, als sie sich bereits auf die Pferde schwangen und davon ritten.
Innerlich schlug ich mir die Hände über den Kopf.
Die Pinkterton's hatten Männer wie Sand am Meer, sie könnten überall sein.
Erschlagen legte ich meine Hand in mein Gesicht und seufzte.***
Die zwitschernden Vögel, die ersten Sonnenstrahlen und die zunehmende Luftdicke ließ uns den nächsten morgen erahnen.
Arthur und Sadie kehrten noch nicht zurück.
Abigail war ein reinstes Nervenbündel und lief außerhalb der Hütte auf und ab, während die anderen in trüben Gedanken abschweiften.
Niemand sprach ein Wort, man konnte die Spannung fast schon in der Luft zerschneiden.
Ich selbst knabberte wie verrückt an meinen Fingernägeln und wippte unruhig auf dem Holzstuhl.
Selbst Swanson saß aufmerksam am Fenster und beobachtete jede kleine Regung.
Anscheinend hatte er den Kampf gegen den Alkohol gewonnen, zumindest war die Flasche geschlossen und weilte noch immer am selben Fleck.
Laut stöhnend sprang ich auf.
Es war kaum noch auszuhalten.
Ich ging aus der Hütte und ließ die Tür ins Schloss fallen.
„Ich werde noch wahnsinnig!" fluchte Abigail und selbst ihren Sohn, Jack, steckte sie mit der Nervosität an.
Räuspernd trat ich neben sie und erhaschte ihre Aufmerksamkeit.
Ihrem Mann drohte der Galgen und Jack ein Halbwaise zu werden.
„Wo bleiben sie denn? Vielleicht ist ihnen ja was zugestoßen!"
„Quatsch." beschwichtigte ich, obwohl ich dass gleiche dachte, was sie zu Wort gebracht hatte.
„Oh Gott, es ist alles meine Schuld." schluchzte sie und strich sich vergebens die Tränen aus den Augen.
Tröstend zog ich sie in eine Umarmung und strich ihr abermals über den Rücken, während Jack uns traurig musterte.
John konnte nichts passiert sein, ich würde es doch spüren!
Immerhin war er der Auslöser, weshalb ich durch die Zeit reiste.
Zumindest waren es Arthur's Spekulationen, als wir innig miteinander gesprochen hatten.
Es klang plausibel und dennoch verstand ich nicht so recht den Sinn dahinter.
„Alles wird gut." flüsterte ich.
„Ich habe so Angst." schniefte sie in meine Halsbeuge, während ihr Körper unkontrolliert zitterte.
Sie tat mir unendlich leid und zugleich bewunderte ich ihre innere Stärke.
Trotz alledem schaffte sie es für Jack eine gute Mutter zu sein und für den Rest zu funktionieren.
„Pa!" rief Jack urplötzlich und rannte an uns vorbei, in Richtung der Lichtung, wo John in gestreifter Sträflingskleidung breit grinsend seinen Sohn empfing.
Abigail löste sich von mir und sprang ihren Mann wimmernd in die Arme.
Auch Arthur und Sadie traten aus dem Schatten und waren von Blessuren und Schrammen gezeichnet.
Erleichtert atmete ich aus und unterdrückte die aufkommenden Tränen.
Sie waren wohlauf.
Von meinem Herz fiel ein Stein.
Auch die anderen gelangten freudestrahlend hervor und hießen John herzlichst willkommen.
Lächelnd wandte ich meine Augen von ihnen ab und erhaschte Molly die sich vor Seelenleid krümmte.
Was beklagte sie?
Die Ungewissheit ob Dutch noch lebte? Obwohl er wahrscheinlich den Untergang der Welt überleben würde.
Für einen Moment rang ich mit mir, als ich mich entschieden hatte zu ihr zugehen.
Vielleicht brauchte sie einfach nur jemanden zum reden.
„Geh weg." krächzte sie verheult, als sie meine Anwesenheit bemerkt hatte.
Doch ich ließ mich nicht verjagen und kniete mich stattdessen neben ihr.
Ihre rötlichen Haare hatten an Glanz verloren, die Kleidung war von Schmutz besudelt und die Augen blutunterlaufen.
Sie sah schrecklich aus.
Es tat mir fast schon im Herzen weh, sie so zusehen.
Seufzend ersann ich mich an unser erstes Gespräch, dass mit einer kleinen Auseinandersetzung geendet hatte.
Sie wirkte da schon verletzt.
Ihre überhebliche Art ignorierte ich einfach mal.
„Wir machen uns sorgen!" hauchte ich und legte meine Hand auf ihre Schulter, die sie hastig zurückzog.
„Du lügst! Ihr hasst mich, ihr alle!" schrie sie verbittert und legte laut schluchzend die Hände ins Gesicht.
Meine Güte was war nur in ihr gefahren?
Entnervt seufzte ich und spielte mit dem Gedanken sie allein zu lassen, doch ich sträubte mich und blieb.
„Molly, rede mit mir was ist los? Ich will dir helfen, wirklich!" redete ich auf sie ein.
Ihr Schluchzen verstummte, als sie mich durch ihren Wimpernkranz ansah.
„Ich schwöre dir, ich werde es auch für mich behalten, aber du musst reden sonst weiß-."
„Ich bin schwanger." wisperte sie und stoppte mein Gerede.
Meine Kinnlade klappte auf, während ich sie entgeistert beäugte.
Schwanger?
Entsetzt suchte ich nach den richtigen Worten, doch mein Kopf wirkte wie leer gefegt.
Wie lange wusste sie schon davon?
„Mo.... Ich... ich werde dir helfen, ja?" stotterte ich.
Gerade als sie den Mund öffnete, tauchte John neben mir auf, der mich lächelnd ansah.
„Wie ich sehe, sind sie wieder wohlauf!"
Meine Iriden wanderten zu ihm, während ich mir ein Lächeln auf die Lippen zwang.
„Ja... natürlich." lachte ich wirr.
Was für Offenbarungen würden mich noch erwarten?
Noch völlig durch den Wind stand ich auf und trat geistesabwesend an ihm vorbei.
Vielleicht sollte ich jemanden einweihen!
Aber Molly hatte mir vertraut!
Mein Kopf dröhnte, weshalb ich mich für den restlichen Tag kaum blicken ließ.
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Zwischen uns die Zeit
FanfictionDie junge Frau, Runa, suchte in den Wüsten von Amerika den Abstand zwischen sich und ihrer Vergangenheit. Dabei fand sie Unterschlupf bei der Familie MacFarlane, die ihre Ranch seit Generationen lieblich pflegten. Tessa, eine der Töchter von dem a...