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Verzerrte Gesichter, laute Rufe die auf mein Trommelfeld hämmerten und das milde prickeln auf meiner Haut.
Wie ein verängstigtes Reh preschte ich mich durch die Menschentraube, die mir in diesem Moment so befremdlich war.
Ich hatte meinen Verstand verloren.
Waren das die Folgen einer Zeitreise?
Meine Gefühle schwankten zwischen pure Angst und einer ungebändigten Wut.
Heiße Tränen rinnen über meine Wangen und mein Herz raste bis zum Anschlag.
Der einzige Wille der meinen Verstand erreichte war zu flüchten.
Gab es einen Grund zu flüchten?
Ich konnte mir diese Frage nicht beantworten, stattdessen geriet ich in einem Strudel aus Verzweiflung und blanker Panik.
Jemand packte mich am Oberarm.
Angstverzerrt flog mein Kopf zur Seite und vor meinen geistigen Auge setzte sich ein Gesicht zusammen.
Nach Luft ringend sah ich in die monotone Augen von Mister Hixon, der mich schelmisch musterte.
Kreischend entriss ich mich dem Griff und torkelte zurück, dabei prallte ich gegen jemand anderen.
„Miss." vernahm ich nebelhaft.
Verstört und verängstigt wandte ich mich um und der Mann stand vor mir, der mich in diese Epoche befördert hatte.
Zitternd schüttelte ich den Kopf.
Das war nicht möglich!
Mein Verstand spielte mir ein Streich!
Wieso hatten sich die Halluzinationen visualisiert?
Eiskalte Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und das Blut erfror.
Nun hatte mich die Furcht felsenfest in ihrem Griff gehabt.
Ich rannte ziellos in die angrenzende Waldung.
Elende Schluchzer ließen meinen Körper beben und die Ungewissheit zerfraß mich.

Ein majestätischer Wolf trat aus dem Schatten und wandte seine gelb leuchtenden Augen, die in meine starrten, nicht ab.
Seine Präsenz erfüllte mich mit Angst, die mir die Kraft raubten.
Es schien so, als würde er sich von meiner Angst verzerren und daran wachsen, während ich zerfiel.

Keuchend schreckte ich hoch.
Ich befand mich in mitten eines Waldes.
Aus der Ferne heulten Kojoten und krächzende Krähen, die in den Baumkronen saßen, schienen mich auszulachen.
Wehleidig rappelte ich mich auf meine schlotternden Knie.
Umzingelt von unzähligen Bäume und unter dem Glanz der untergehende Sonne stand ich regungslos da.
Träumte ich?
Zögerlich wagte ich es meine Beine in Bewegung zu setzen.
Ein schwereloses Gefühl ummantelte mich.
Wenn ich es nicht besser wüssten würde, hätte ich geglaubt zu fliegen.
Äste knacksten, dass Laub raschelte und meine Wahrnehmung verschwamm.
„Wieso hast du sie uns zu geführt?"
„Du Verräterin!"
Frauenstimmen hallten durch den Wald, die mich zielsicher trafen.
Ermüdend fiel ich in den moosüberwachsenden Erdboden und wehrte mich nicht gegen die Halluzination.
„Runa, Runa..."
Eine vertraute Männerstimme erklang, die mir ein selbstgefälliges Lächeln entlockte.
„Obwohl du mich in der Küche erstochen hast und mein Körper dort noch immer verwest... bin ich noch immer bei dir."
Kehlig lachte ich auf und beobachtete die Wolken, die allmählich aufquollen.
Jetzt verfolgte mich sogar mein Verlobter.
Wie kaputt ich doch eigentlich war, zeigten mir eindeutig die Halluzinationen.
„Ich habe dich geliebt." wisperte ich.
„Und aus liebe hast du mich erstochen?"
„Daran warst du selbst Schuld! Du Mistkerl!"
Mein Stimmton hatte sich erhöht, als meine Augenlider zufielen.

„Es tut mir so leid." seine Stimme zitterte und die Augen waren weit aufgerissen.
Wimmernd presste ich meinen Rücken gegen die kalte Wand und sah durch meine Wimpern meinen Verlobten an.
Seine Fingerknöchel waren blutverschmiert und sein Gesichtsausdruck befremdend.

Eulenrufe erreichten meinen Verstand und riefen mich zurück in die Wirklichkeit.
Blinzelnd setzte ich mich auf, während ich meine glühende Stirn rieb.
Mittlerweile war die Nacht eingebrochen und die grellen Mondscheine spendeten einen Hauch an Licht, die die Baumstämme  zephirisch umspielten.
„Ich hoffe, sie hatten ein schönen Schlaf gehabt."
Hixon trat hervor und erniedrigte mich mit seinen überheblichen Ausdruck.
Ruckartig sprang ich auf und ein stechender Schmerz durchzuckte mich.
Wieso verfolgte er mich?
Rasend ballte ich meine Hände zu Fäusten.
„Verschwinden sie endlich!" schrie ich aus vollsten Halse und rannte tiefer in den Wald, der die Strahlen des Mondes verschluckte.
Die Dunkelheit umringte mich und raubte mir mein Sehvermögen.
„Du kannst nicht vor mir fliehen."
Seine Stimme schien aus jede Richtung zu kommen.
Meine Lungen brannten und meine Atmung beschleunigte sich.
Wie weit musste ich laufen, um endlich wieder bei klaren Verstand zu sein?
War es überhaupt noch möglich?
Urplötzlich riss mich ein bohrender Schmerz an meinem Knöchel zu Boden.
Unsanft schlug ich auf und ein quirliger Laut entfloh meiner Kehle.
Wimmernd fuhr ich mit der Hand mein Bein entlang und spürte ein eisiges Metall das mein Knöchel fixiert hatte.
„Wie wollen sie sich jetzt aus der Bärenfalle befreien, hm?"
„Nein... nein." schluchzte ich und eine warme Flüssigkeit sog sich durch das Hosenbein.
Ausweglos zerrte ich an meinen Bein, doch durch die ruckartigen Bewegungen bohrten sich die Zacken tiefer in die Haut.
Quälend schrie ich auf.
Das durfte nicht wahrsein!
Aus dem Augenwinkel heraus nahm ich eine schemenhafte Gestalt war.
„Verschwinde!" rief ich kläglich und rutschte zurück, wobei die Kette der Bärenfalle spannte.
Hitze vermischt mit eisiger Kälte krabbelte von Steißbein an die Wirbelsäule hoch.
Ich erschauderte und beobachtete wie die Gestalt näher kam, während ich hilflos und weinerlich nur zuschauen konnte.
Verängstigt kniff ich meine Augen zusammen und zog meine Knie eng an meinen Körper.
Eine eiserne Stille beherrschte den Wald, die mich erdrückte und mir die Luft raubte.
Mit einem Mal packte mich eine Hand und auf Anhieb riss ich schreiend meine Augen auf.
„Beruhigen sie sich, Miss Downes!"
Ozeanblaue Augen beäugten mich sorgenvoll.
Für ein Bruchteil der Sekunde hielt ich inne.
Arthur?
Nein, dass war nicht möglich!
Hysterisch schlug ich wild um mich und traf mit meinen Fäusten den Oberkörper des Mannes, dem meine Schläge nichts ausmachten.
In meinem Wahn zog ich mein Bein so stark zurück, dass die Zacken der Falle durch meine Haut rutschten und ein quirlendes Geräusch erzeugt wurde.
„Jetzt halten sie still! Sie reißen sich sonst die Haut auseinander!" sein Stimmton hatte an Fahrt zugenommen.
Doch ich geriet immer weiter in Panik und verharrte in ihr.
Kreischend wehrte ich mich mit Händen und Füßen, was ihm sichtlich erschwerte mich aus der Falle zu befreien.
„Lass mich in Ruhe!" tobte ich wie eine verrückte Furie.
Ich bemerkte wie die Falle sich lockerte und ich mein Bein frei bewegen konnte.
Diese Gelegenheit ließ ich mir nicht ergehen und sprang in einem Satz auf.
Vor meinen geistigen Auge drehte sich alles, so als würde ich in einem Karussell sitzen, aber dies hielt mich nicht auf wieder einmal davon laufen zu wollen.
Doch meine Beine gehorchten mir nicht mehr und ich strauchelte vor und zurück.
Verzweifelt warf ich meinen Kopf über meine Schulter.
„Es reicht jetzt, Miss!" Arthur nahm seinen verwitterten Hut vom Kopf und strich sich sein blond braunes Haar zurück, als er diesen wieder aufsetzte und mich im Handumdrehen über seine Schulter geworfen hatte.
Mir blieb kaum ein Moment zu realisieren, was gerade geschehen war.
„So langsam gehen sie mir auf die Nerven." murmelte er und stiefelte los.
Aufbrausend schlug ich mit geballten Hände gegen seinen breitgebauten Rücken und wandte mich unter seinen Griff, aber es schien ihn nicht mal die Bohne zu interessieren.
„Sie sind ein Mistkerl! Wären sie nicht gewesen, wären die Frauen nicht gestorben und die Männer würden mich nicht jagen!"
schluchzte ich unter quälenden Schreie.
Er reagierte nicht.
Stattdessen ging er zielstrebig durch den dichtbewachsenden Wald.
Heulend ergab ich mich und hing wie ein Sackkartoffeln über seine Schulter.
Wenn er es überhaupt wirklich gewesen war.
Denn in diesem Zustand vertraute ich nicht auf meine Sinne.

Zwischen uns die ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt