Kapitel 56

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|Dyasty - MIIA|

⊏Megan⊐

Manchmal wusste ich nicht, ob ich tatsächlich lebte oder mich nicht nur von der Schnellstraße, die sich mein Leben nannte mitzerren ließ.

Es gab Tage, die mit einem einzigen Wimpernschlag an mir vorbei rauschten. Zum Beispiel könnte ich nicht sagen, ob ich während einer wichtigen Prüfungsphase überhaupt geschlafen hatte oder ob es eine Woche oder nur ein einziger Tag war, an dem ich akribisch präzise diverse Informationstexte gelesen, markiert und in meinem Gedächtnis abgespeichert hatte.

Manche Tage, hektische oder fröhliche Tage, verschwammen dann oft zu einer großen nichtssagenden Blase aus Momenten, an die ich mich manchmal nur in Bruchstücken erinnern konnte.

"Dein Kopf ist immer voll mit Schulkram, kein Wunder, dass du ständig Sachen vergisst", hatte Christina einmal zu mir gesagt, ich selbst hatte darauf nichts erwidert.

Insgeheim aber, machten mir diese Tage Angst. Es passierte einfach. Jedes Mal, wenn ich vor einer bevorstehenden Prüfung dieses nagende Gefühl der Angst verspürte.

Angst nicht gut genug zu sein.

So wie ich auch nicht gut genug für Dad war.

Das einzige, was dagegen half, war mich in meine Arbeit zu stürzen. Ich hatte schon oft Überstunden im Rose In geschoben oder war für Kollegen eingesprungen.

Regale einzuräumen, zu sehen, dass alles einen Platz hatte, an den es gehörte, beruhigte mich immer. Das einräumen von Regalen und das nachfüllen fehlender Waren beinhaltete in seiner Einfachheit und Stumpfsinnigkeit etwas fundamentales.

Der heutige Tag jedoch, zog sich in die Länge wie Kaugummi. Ich war schon früh aufgewacht. Hatte früh geduscht und früh gegessen. Dann hatte ich Anton Reisender, das Buch, welches ich inzwischen bereits ein Mal komplett gelesen hatte hervorgeholt und war dazu übergegangen, einzelne Passagen zu markieren und Notizen an den Rand der Buchseite zu kritzeln.

Aber egal was ich tat, alles erinnerte mich auf peinliche Weise an Noah. Angefangen damit, das ich unverständlicher Weise den Pullover trug, in dem er mich in der Bäckerei gesehen hatte. Dann hatte die Shufflefunktion meines Handys auch noch Entchanted von Taylor Swift gespielt. Jetzt die Erinnerung an andere Bücher auf der Rückbank eines Autos, mit an den Rand geschriebenen Kommentaren.

"Lass das, was stimmt bloß nicht mit dir", wies ich mich selbst zurecht, als meine Gedanken zum soundsovielten mal an diesem Tag zu meinem bevorstehenden Date mit Noah Summers wanderten. Christina hatte sich nicht davon abbringen lassen, vorher bei mir vorbeizukommen und mir einige Outfits mitzubringen. Sie hatte mich gestern Nacht derart mit Textnachrichten überschüttet, dass mein ohnehin in die Jahre gekommenes Handy um ein Haar abgestürzt wäre.

Inzwischen war es halb zwei und ich wartete ungeduldig auf Christina, den Blick aus dem Fenster auf die Straße gerichtet, als ihr Auto vor meinem Haus erschien.

Ich öffnete die Tür bevor sie überhaupt hätte klopfen können.
"Dieses Date war eine verdammt dumme Idee."

Christina hob nur ungerührt eine Augenbraue, betrachtete mich von Kopf bis Fuß und antwortete trocken: "Nein, dass ich nicht noch früher her gekommen bin war eine verdammt dumme Idee. Deine Haare sind eine einzige Katastrophe Megan!"

Gegen meinen Willen musste ich lachen. Ich bat sie herein und sie drückte mir prompt das erste Kleid in die Hand. Mit einer auffordernden Geste bedeutete sie mir mich umzuziehen und rauschte dann an mir vorbei um sich theatralisch auf das kleine Sofa fallen zu lassen. Sie zog ihr Handy hervor und tippte darauf herum. Einen Moment darauf ertönte Morning Train von Sheena Easton aus dem Lautsprecher, den sie mitgebracht hatte.

Ich schüttelte gespielt genervt über die Wahl ihres Liedes den Kopf.

Seufzend ging ich dann doch ins Bad und tauschte meine bequeme, weiche Jogginghose und den schwarzen Pullover gegen ein quitschgelbes, mit kleinen Sonnenblumen bedrucktes Wickelkleid.

Christina sah auf als ich aus dem Bad schritt.

"Vielleicht sollte ich einfach in Jogginghose und T-Shirt gehen", überlegte ich laut und verzog den Mund, angesichts der ungewohnt grellen Farbe.

Christina sah mich vielsagend an und meinte: "Wieso musst du nur so eine Aversion gegen Farbe haben?"

Empört sah ich sie an. "Das stimmt doch gar nicht!", beschwerte ich mich doch sie hielt mir einfach ein anderes Kleid entgegen.

Nach dem ich mich zum soundsovielten Mal aus einem, viel zu kurzen Kleid schälte, ein viel zu aufreizendes, rotes Minikleid, streckte mir Christina ohne aufzusehen das nächste hin.

Ich betrachtete es, als ich es entgegennahm. Es war ein blassgrünes Satin Cami Kleid mit offener Rückseite.

Ehrfürchtig fuhr ich mit den Fingern über den Stoff, Christina, der aufgefallen war, wie fasziniert ich das Kleid anstarrte, richtete sich auf, ihre Augen glänzten.

"Na los, probier es schon an!"
Und das tat ich. Es passte wie angegossen und der glatte Stoff schmiegte sich an meinen Körper wie eine seidene Hülle.

"Was machst du so lange da drinnen Megan? Du muss da irgendwann wieder rauskommen, das weißt du oder?"

Ich antwortete nicht, starrte nur fasziniert die Person im Spiegel an und bewunderte einfach stumm das Kleid.

In diesem Kleid könnte ich die Welt erobern.

Broken Souls - Gebrochene SeelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt