Kapitel 66

424 26 0
                                    

|Save Your Tears - The Weeknd|

⊏Noah⊐

Als ich an diesem Morgen aus meinem Zimmer trat, fand ich meine Mutter am Küchentisch sitzend vor.
Den Laptop vor sich aufgeklappt, eine Tasse frischen Kaffee neben sich.

"Ich erinnere mich wage daran, dich gestern gesagt hören zu haben, dass du pochierte Eier mit Speck machen willst", sagte ich anstelle einer Begrüßung. Meine Mutter stieß einen theatralischen Seufzer der Verzweiflung aus und vergrub das Gesicht in den Händen.

"Du weißt, dass ich bei allem außer einer Lasagne und Nudeln mit Tomatensoße ein hoffnungsloser Fall bin und pochierte Eier sind nun einmal besonders schwer weil- hey!"

Sie musste mein Grinsen gespürt haben, denn sie lugte zwischen ihren Fingern hindurch.

"Du hast kein Recht so zu grinsen, schließlich kannst du genau so schlecht kochen wie ich!"

Da konnte ich ihr nicht widersprechen. Meine Talente lagen definitiv nicht in der Zubereitung von pochierten Eiern. Und meine Backkünste waren bestenfalls annehmbar und schlimmstenfalls eine Katastrophe.

Tatsächlich war es Jamie, der schnellen Schrittes und mit entschlossener Miene an uns vorbeiging. Das Haar noch ein vom Schlaf zerzaustes Durcheinander- wir hatten bis kurz nach vier Uhr morgens Schach gespielt. Unnötig zu erwähnen, dass Jamie jede Partie mit nervtötender Leichtigkeit gewonnen hatte. Meine bittere Miene, als er zum sechsten Mal gewann hatte ein Lachen aus ihm heraus gekitzelt.

Meine Mutter und ich starrten ihn gleichermaßen perplex an, als er kommentarlos einen großen Topf hervorholte, ihn mit Wasser füllte und auf die Herdplatte stellte. Dann griff er sich alle Tassen, die er fand und schlug je ein Ei in jede von ihnen.

So ging das weiter, bis meine Mutter aufstand und begann, den Speck auszupacken und ihn in dünne Scheiben zu schneiden.

Ich hielt mich zurück und deckte stattdessen den Tisch.

So arbeiteten wir eine Weile.

Irgendwann ertönte Nothing's Gonna Stop us Now aus den Lautsprechern und ich ertappte Jamie dabei, wie er mit dem Kopf im Takt der Musik wippte.

Es war ein guter Morgen.

Als wir alle am Küchentisch saßen,
waren zwischen Jamie und meiner Mutter diverse leidenschaftliche Diskussionen über Gott und die Welt voll im Gange.

Ich erhielt mehr öde Details darüber, dass der Planet Uranus ungefähr 70 Jahre lang George hieß, als ich wollte. Sein Entdecker Wilhelm Herschel gab ihm 1781, zu Ehren Königs George III., den Namen „Georgium Sidus" – Georges Stern. Erst in den 1850ern wurde der Name offiziell in Uranus geändert.

Es war nervtötend, aber verdammt, ich war so glücklich, dass ich hätte sterben können. Glücklich, dass Jamie hier bei uns war und lachen konnte.

Irgendwie waren sich beide einig, dass ich den Abwasch machen sollte.
Also wusch ich schweigend das Geschirr ab und versuchte nicht im Takt von Break My Stride mit dem Fuß auf den Boden zu tippen. Meine Gedanken wanderten zu Megan und aus einem Impuls heraus griff ich nach meinem Handy und schrieb Cyril, ob er mir Megans Nummer geben könne.

Danach legte ich das Handy wieder weg und sah, das Jamie und meine Mutter auf der Couch saßen und ersterer wild gestikulierte, während er Netflix und Amazon nach einem geeigneten Film durchforstete.

Einen Moment später hatte ich gerade den Topf wieder in die Schublade gestellt, als die Stimme meiner Mutter vom Wohnzimmer erklang: "Beeil dich Noah, sonst schafft es Jamie doch noch mich zu Fight Club zu überreden."

"Hey! Die Geschichte ist toll und Brad Pitt ist ein Gott", kam es kurze Zeit später von Jamie. Das Lächeln wollte und wollte nicht aus meinem Gesicht verschwinden.
Mein Handy vibrierte und als ich einen Blick darauf warf, sah ich, das Cyril mir eine Nummer gesendet hatte.

Später saßen wir alle auf der großen Couch. Der Kopf meiner Mutter lag auf Jamies Schultern und ihre Augen waren bereits nach der ersten Stunde des Filmes zugefallen.

Ich hatte erwartet, dass Jamie zusammenzucken würde, dass der plötzliche Körperkontakt eine panische Reaktion auslösen würde. Doch er hatte nur ohne den Kopf vom Fernseher abzuwenden die heruntergerutschte Decke wieder um ihre Schultern gelegt.

Inzwischen lief der Abspann das zweiten Films -Matrix- und meine Mutter hatte zu schnarchen begonnen.

"Ich arbeite jetzt im Rose In." Jamies Stimme durchschnitt die wohlige Stille.

Meine Augen richteten sich auf ihn. Tatsächlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Jamie irgendwie versucht hätte, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Dieser verdammte Sturkopf.

Als sich mein Schweigen in die Länge zog, wandte er doch den Kopf zu mir.
"Gefällt es dir?", war letzten Endes alles, was ich fragte.

Er zuckte mit den Schultern. "Ich denke, es könnte ganz interessant werden."

Wieder Schweigen, dann sagte ich betont unbekümmert: "Megan arbeitet dort."

"Sie hat mich eingearbeitet. " Ich nickte nur, das hatte ich mir schon gedacht.

"Sie ist wirklich nett."
Wieder ein Nicken von mir.

"Lenora war auch da", er hatte den Blick wieder aus dem Fenster gerichtet.

"Ach ja?" Ich grinste vorsichtig. Mein bester Freund war eigentlich nicht sehr leicht zu verunsichern. Zwar versuchte er, das Geschehene herunterzuspielen, doch was immer passiert war, es schien ihm unangenehm zu sein. "Ich war...ich weiß auch nicht. Normalerweise rede ich nicht so viel Schwachsinn, aber bei ihr scheint mein Selbsterhaltungstrieb nicht zu funktionieren."

Ich runzelte die Stirn.
"Du redest generell nicht viel mit Fremden, wieso redest du mit ihr?"
Meine Frage war keine Anschuldigung und das wusste Jamie.
Ein Schulterzucken.
"Ich weiß es nicht. Vielleicht wollte ich einfach, dass es ein mal unkompliziert ist." Ein trockenes Lachen.

"Das Leben ist nie unkompliziert. Und Gefühle erst recht nicht." Jamies Blick wurde beschämt. "Denkst du, das weiß ich nicht?" Er lehnte den Kopf nach hinten und starrte an die Decke.

"Magst du sie? Lenora meine ich."
"Ich kenne sie doch garnicht."

Meine Mutter bewegte sich, doch das Schnarchen war noch da. Zu missklingend, um gespielt zu sein.

"Magst du Megan?"
Draußen ging die Welt im Regen unter und die Sonne schien schon lange nicht mehr.
Drinnen erhellte nur noch das spärliche Küchenlicht den Raum, trotzdem wusste ich, das Jamie mein Gesicht sehen konnte, als ich sagte: "Ja, ich mag sie."

Später an diesem Abend öffnete ich einen noch leeren Chat und tippte eine Nachricht.

Happy new year everybody <3

Broken Souls - Gebrochene SeelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt