Kapitel 68

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|Eleanor Rigby - Cody Fry|

the better (slowed) version is on soundcloud. i couldn't find it on YouTube 😭 Just type ah, look at all the lonely people it's from idkeither

⊏Noah⊐

"...Fakt sei: Der Tod ist ein essenzieller Bestandteil eines jeden Lebewesens. Manche Menschen fürchten sich vor ihm, andere wiederum empfangen ihn wie einen verloren geglaubten Freund: mit offenen Armen und in Tränen der Erleichterung. Manche denken er ist endgültig, andere sind der festen Überzeugung, dass es sich nur um eine Art Wartezimmer handelt.
Der Tod ist das eine Gesetz, das alle gleich macht."

Eloise, eine Bank neben mir hob die Hand, hatte jedoch offenbar beschlossen, dass das Heben dieser allein Grund genug war, um ihre Meinung kundzutun.

"Für manche ist er also ein Ziel und für andere nur eine Art Zwischenstopp? Irgendwie kann ich die letzte Ansicht nicht wirklich nachvollziehen. Im Leben sollte man leben und nicht auf den Tod warten. Es ist dazu da um Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Wir sollten unser Leben nutzen um Freunde zu finden und das Leben mit anderen genießen oder-."

Ich folgte ihrem Beispiel guten Benehmens und unterbrach sie ungerührt: "Das mag alles stimmen, aber es ist nun einmal unleugbar, dass man an Ende des Weges alleine in der Dunkelheit steht, ganz gleich wie viele Menschen man um sich gescharrt hat, ganz gleich wie viel Kontrolle man glaubt über sein eigenes Leben zu haben. Letztendlich ist das alles unwichtig im Angesicht des Todes...oder dem eines neuen Anfangs. Trotzdem ist es dein Leben und du solltest es schätzen."

Miss Taylor schien unser Verhalten nicht weiter zu stören, denn sie verfolgte unseren Wortwechsel aufmerksam und machte keine Anstalten, uns zu unterbrechen.

"Das Leben ist dazu da gelebt zu werden und nicht um auf den Tod zu warten", warf ein Junge in einer der vorderen Reihen ein.

Leben, Lieben, das Leben lieben. Lernen, es zu lieben.

Die Schulklingel läutete und beendete somit die Diskussion abrupt.
Ich stand auf und griff nach meinen Heften. Cyril neben mir war damit beschäftigt, auf sein Handy zu starren, sah aber auf, als ich mich erhob. Etwas desorientiert, warf er einen Blick auf die Uhr und machte sich dann daran, seine Sachen in den Rucksack zu stopfen.

"Was hast du heute noch vor?", fragte er im Plauderton, als wir aus den Klassenzimmer traten und uns in Richtung Speisesaal wandten.

Einen Moment blieb ich still, meine Gedanken, waren sie nicht schon davor bei Megan gewesen, kreisten spätestens dann, als wir in die Cafeteria traten um das braunhaarige Mädchen mit dem gutmütigen Herzen.

"Ich mache etwas mit Megan", erwiderte ich, in dem gleichen nebensächlichen Ton und zuckte nur mit den Schultern, als Cyril mich überrascht anstarrte.

Die Cafeteria war vollgestopft mit Menschen, die sich zu aufgeregt unterhielten und dabei zu laut lachten.

Irgendjemand hatte alle Fenster geöffnet und so fegte hin und wieder ein kühler Luftzug durch den Raum.

Trotz der vielen Menschen entdeckte ich sie sofort.
Der Wind hob ihr Haar an und es wirbelte in der Luft, als wolle es sie forttragen.

Sie saß an dem üblichen Tisch, Christina neben sich.
Beide hatten den Blick auf Jamie gerichtet, der offenbar gerade etwas erzählte.

Dann lachte Megan und lehnte sich im Stuhl zurück.
Einen Moment konnte ich sie nur anstarren, der Moment hatte offenbar etwas länger gedauert als beabsichtigt, denn Cyril räusperte sich und ich merkte, dass ich stehengeblieben war.

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, aber mit einem leisen Lachen hinter mir, ging ich die letzten Schritte auf den Tisch zu.

"Jedenfalls haben sie neun Gehirne, kein Scheiß. Ein zentrales und acht Minigehirne, also eins pro Arm", sagte Jamie gerade.

"Welches Videospiel?", fragte Cyril neben mir interessiert.

Jamie stoppte mitten im Satz und sah verwirrt zu Cyril auf.

"Was?"
"Ist es ein Superheld aus einem Film? Denn man, ich liebe Superhelden- Filme und den kenne ich wohl noch nicht also-", Jamie unterbrach ihn mit einem irritierten: "Es sind Kraken."

"Äh, wie war das?", Cyril runzelte die Stirn.

"Sie haben auch drei Herzen", fügte Jamie schulterzuckend hinzu.

Ich sah zu Cyril und hob eine Augenbraue. "Also echt man, wie schaffst du es nur, immer zuerst an fiktives Zeugs zu denken?"

"Hallo? Acht Arme? Drei Herzen? Ist es da weit hergeholt, dass ich zuerst an 'fiktives Zeugs' denke?"

"Nein, aber nur du kannst so etwas hören und sofort an Videospiele denken", bestätigte Megan grinsend.
Mein Blick blieb an ihr heften und ich versuchte nicht einmal den Anschein zu erwecken, als würde ich sie nicht anstarren.

Sie bemerkte meinen Blick und lächelte mich an. "Hallo Noah."

"Hey Megan."
Mir entging nicht, wie sie sich beinahe verlegen auf die Unterlippe biss. Ich unterdrückte ein Grinsen und sagte: "Jamie tendiert dazu, andere Menschen mit all dem unnützen Wissen, das er unerklärlicher Weise in seinem Kopf trägt zu bombardieren."

Mit diesen Worten ließ ich mich auf den Stuhl neben Megan fallen, während Christina Jamie aufforderte weiterzureden und er tat ihr den Gefallen.

Das war eines von Jamies Talenten- wenn man es so nennen wollte- er konnte stundenlang über die unwichtigsten Themen plaudern, einen mit Fakten und Statistiken überschütten, aber bei den wichtigen Gesprächen, jene, bei denen es um ihn ging, machte er immer dicht.

Niemand würde hinter dem strahlenden Lächeln und der Unbeschwertheit den Jungen erkennen, der sich halb zu Tode trank, nur um den Dämonen in seinem Kopf zu entkommen.

Später am Tag fiel mir ein, dass Megan und ich gar keinen Treffpunkt ausgemacht hatten. Doch die Sache erledigte sich von selbst, als ich nach dem Unterricht aus dem Klassenzimmer trat und meine Augen auf Megan trafen. Sie lehnte an der Wand gegenüber und lächelte, als sie mich entdeckte.

Ihr Lächeln war so strahlend und vorbehaltlos, dass ich am liebsten auf der Stelle seitenweise darüber schreiben wollte.

Ich wollte darüber schreiben, wie sie immer ganz leicht die Nase kräuselte, bevor sie lächelte. Wie ihre Augen immerzu glänzten, als wären sie Diamanten und ich das Licht, das sie zum strahlen brachte.

Ich überbrückte die Distanz zwischen uns, indem ich den Flur durchquerte und mir dabei einen Weg durch den Strom von Schülern bahnte, die einfach nur noch aus der Schule wollten, um den Tag irgendwo anders zu verbringen.

Als ich schließlich vor ihr stand, setzte sie sich in Bewegung und wir folgten den anderen Schülern schweigend zum Ausgang.

Broken Souls - Gebrochene SeelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt