Der Stock kratzte nur an meinem Herz, bevor er mit einem eklig schmatzenden Geräusch wieder herausgezogen wurde. Ich öffnete meine Augen nicht. Vielleicht hatte es ja trotzdem funktioniert. Den Schmerzen nach zu urteilen auf jeden Fall. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können. Wahrscheinlich konnte ich es auch gar nicht, weil ich mir den Lungenflügel durchbohrt hatte. Dann viel mir ein, was ich eben gefühlt hatte. Ich hatte es bereut. Bereut, dass ich zugestochen hatte. Im Moment sah das allerdings nicht mehr so aus. Wäre ich tot, hätte ich keine Schmerzen. Aber ich würde auch nicht seine Wärme spüren, nicht das Kribbeln in meinem Bauch, nicht die wohligen Schauer. Außerdem merkte ich schon, wie die Wunde zu verheilen begann.
Er nahm mich fest in den Arm. Ich wusste auch ohne zu gucken, wer es war. Den Geruch hätte ich unter tausenden erkannt.
Er flüsterte meinen Namen. Immer wieder hauchte er ihn so voller Gefühl, so voller Schmerz: „Mira."
Mein Nacken wurde nass. Er weinte. Um mich. Aber ich war doch gar nicht tot, oder? In diesem Moment wollte ich es auf jeden Fall nicht sein. Heftige Schluchzer ließen seinen Körper erzittern. Es brach mir das Herz, dass es ihm wegen mir so schlecht ging. Ich wollte meine Augen aufmachen, in seine blauen schauen und ihm sagen, dass ich lebte und dass alles gut war. Ich wollte ihn ebenso drücken, ihn trösten. Aber ich konnte mich nicht bewegen.
„Cole."
Er hielt mich weiterhin so fest wie zuvor, doch ich hörte an seinem Herzschlag unter meinem Ohr, dass er erleichtert war und sich langsam beruhigte. Ich öffnete meine Augen und holte tief Luft.
„Ich liebe dich auch."
Sein Atem stockte. Er hielt mich ein bisschen von sich weg und schaute mich an. Seine nassen Wangen glitzerten in dem wenigen Licht, das durch die dichten Baumkronen fiel und seine Augen waren leicht gerötet. Aber er lächelte. Dann beugte er sich vor und küsste mich noch einmal. Dieses Mal nicht so unsicher. Es fühlte sich an, als schicke er elektrische Stöße durch meinen Körper. Auf einmal konnte ich mich wieder bewegen. Meine Hand machte sich selbstständig und wanderte in seine Haare. Die andere presste ihn so fest wie möglich an mich. Er hielt mich ebenfalls fest. Seine Hände strichen über meinen Rücken, unter mein Shirt...
Weiter kam er nicht.
Glück, Erleichterung, Sicherheit, Verlangen, Geborgenheit und eine unglaubliche Zuneigung erfüllten mein Herz ließen es sich bis ins Unendliche ausweiten. Es war als passte nun die ganze Welt hinein. Und wieder einmal in Gegenwart von diesem Menschen, wollte ich zu keinem anderen Zeitpunkt und an keinem anderen Ort, sondern genau hier und jetzt sein.
Ich fühlte mein Herz überlaufen. Ich merkte es viel zu spät, als dass ich dagegen hätte ankämpfen können und mir nichts dir nichts hatte ich meine menschliche Gestalt verloren. Auch Cole ließ sich auf alle viere fallen und stupste mich mit seiner Schnauze an. Ich rempelte zurück und sprang in den Wald hinein. Er folgte mir. Die Luft war warm, aber der Boden war noch immer feucht. Immer wieder stießen wir uns gegenseitig an, warfen uns aus der Bahn bis wir wieder aus dem Wald kamen. Ab da rannten wir nur noch nebeneinander her. Im selben Tempo, dieselben Bewegungen. Bis zum Horizont, bis in die Ewigkeit.
Bildquelle: http://www.nationalgeographic.de/reportagen/fotostrecke-ulan-bator-die-erben-von-dschingis-khan?imageId=6
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Tränen von Blut
ParanormalMira geht nicht auf eine normale Schule. Sie ist auf einer Schule für Gestaltenwandler. Das heißt: Jeder in ihrer Klasse kann sich verwandeln, aber in verschiedene Tiere. Kein Tier gibt es doppelt. Bis Jace an die Schule kommt. Er ist ein Panther, g...