Familienprobleme

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Was macht man, wenn man sich auf einmal in einem ganz neuen Leben befindet? Es ist einem völlig fremd und man weiß sich überhaupt nicht, richtig zu verhalten. Als wäre man in ein fremdes Land gereist, deren Sprache man nicht spricht. Es war zwar sein Wunsch gewesen, dorthin zu reisen, aber nun hat man doch Muffensausen und würde am liebsten in sein altes Leben zurück, ins Gewohnte.

Ich hatte mir immer eine Familie gewünscht, die mich auffing und sich um mich kümmerte. Meine Hoffnung war schon so oft zerstört worden, ich hatte es aufgegeben. Ich hatte meine Hoffnung erstickt, denn ich wollte nicht noch einmal verletzt werden. Alle Menschen, die mich aus dem Heim geholt hatten, hatten mich wieder zurückgebracht. Und dann war ich wieder am Anfang gewesen. Wieder alleine an diesem grässlichen Ort, der schlimmer war als der Tod. Doch er hatte mich nicht genommen, der Tod. Er hatte es nicht zugelassen, dass ich zu ihm kam. Nun weiß ich, warum ich nicht gestorben war, als ich mir die Arme aufgeschlitzt hatte. Sie waren durch mein Vampirgen zu schnell wieder geheilt. Damals hatte ich es als Strafe gehalten. Gott wollte mich bestrafen. Damals als ich noch an den Herrn geglaubt hatte.

Dann hatte ich damit aufgehört und auch nicht mehr an die Strafe geglaubt, doch ich hatte es nicht wieder versucht. Ich hatte Angst gehabt, dass mich die Hoffnung wieder enttäuscht hätte. Die Hoffnung, erlöst zu werden durch den Tod.

So hatte ich mehr schlecht als recht vor mich hin gelebt, bis man mich an die Schule für Gestaltenwandler gebracht hatte.

Und nun hatte ich das, was ich gewollt hatte und wollte es nicht mehr. Was sollte ich ihnen sagen? Ich hatte einen Bruder. Jace. Ich hatte einen Vater. Julian. Und Emma war meine Mutter. Eine Familie, die ich nicht mal richtig kannte, die fremd für mich war. Zu fremd für eine Familie. Schon wieder war ich der Außenseiter, der nicht dazugehörte. Nicht so, wie eine Tochter dazugehören sollte. So eine Familie wollte ich nicht. Ich hatte falsch gedacht. Ich hätte mir nie eine Familie wünschen sollen. Ich hätte mir auch kein Zuhause wünschen sollen, dass mich einsperrte und in meiner Freiheit einschränkte. Ich hätte mir wünschen sollen, dazuzugehören und nicht mehr alleine zu sein. Und die Liebe? Die Liebe war richtig so. Doch sie konnte auch Verletzten. Dieses Risiko gab es trotzdem noch. Und sie schaffte Komplikationen. Denn das war das Leben. Eine Achterbahn mit Waggons, die aneinander vorbeirauschten und in der man die Sitzpartner beliebig wechseln konnte. Doch wer steuerte sie? Gott?

Ich musste unwillkürlich an Elena denken. Moment. War Elena, das Mädchen, das wir auf dem Gang gesehen hatten, meine alte Zimmergenossin? Warum war sie immer noch in diesem Heim. Mittlerweile musste sie doch schon 18 Jahre alt sein. Sie war älter gewesen als ich, oder? Zumindest war sie für mich immer die große Schwester gewesen, die ich nie hatte. Eines stand für mich jedenfalls fest: Ich würde sie so schnell wie möglich da rausholen.

Aber erst musste ich meine eigenen Probleme regeln, zu denen nun eine ganze Menge dazugekommen waren. Probleme, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie einmal haben würde:

Familienprobleme.

Tränen von BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt