Einfach drauf los

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Bildquelle: http://thumbs.dreamstime.com/t/stra%C3%9Fe-zum-horizont-46089816.jpg

„Sattelt eure Pferde und kommt in den Innenhof. Aber noch nicht aufsteigen!" Carolines Anweisungen schallten durch den gesamten Stall. Wir taten wie geheißen. Ich mochte reiten. Früher war das die einzige Zeit gewesen, in der ich mich frei fühlte. Außerdem konnte ich gut reiten und mit Tieren umgehen, was kein unwesentlicher Grund war. Ich hoffte schon, dass Cole nicht mehr rechtzeitig kommen würde, als ich ihn mit unserer Lehrerin sprechen sah. Sie wirkte überrascht, wies ihm dann aber ein Pferd zu. Er drehte sich um und lächelte, als er mich erblickte. Dann kam er zu mir. Er beugte den Kopf hinunter und mir war klar, dass er mich küssen wollte. Doch Jace' Worte hatten mir bestätigt, dass ich immer eine Gefahr sein würde, egal, wie weit ich die Grenze trainierte. Deshalb war es leichter, mit Jace zusammen zu sein. Denn er war ein Vampir wie ich und konnte sich selbst besser verteidigen. In seiner Nähe brauchte ich keine Angst zu haben. Denn ich hatte meine Kraft selbst gesehen. Mich hatte nur ein Vampir oder tonnenschwere Ketten aufhalten können und Cole war weder noch. Und er war mir wichtig. Mit mir hätte er doch kein Leben. Jede Minute davon würde er wieder der Grausamkeit gewahr werden und wie bei jedem gutherzigen Menschen würde es sein Herz verrohen. Er würde sich verändern und das wollte ich nicht. Ich wollte, dass er so blieb wie er war. Und wenn er sich doch änderte, wollte ich nicht der Grund dafür sein.

Aus diesem Grund tat ich so, als hätte ich seine Absichten nicht erkannt, ging einen Schritt zur Seite, obwohl im Gang noch genug Platz gewesen wäre und sagte: „Hol schnell dein Pferd. Caroline will gleich anfangen."

Er schaute mich kurz irritiert an. Dann ging er in den Stall hinein, um sein Pferd zu satteln. Ich zog Moritz in entgegen gesetzter Richtung in den Innenhof und stellte mich zwischen zwei Klassenkameraden, die mich daraufhin befremdet anschauten. Normalerweise stellte ich mich immer an den Rand und nicht mitten unter sie. Cole blieb nichts anderes übrig, als sich an den Rand zu stellen. Ich spürte seinen Blick auf mir, doch ich erwiderte ihn nicht.

„Heute habe ich mir etwas ganz besonderes für euch ausgedacht", erzählte Caroline. „Für manche für euch ist es sicher langweilig, immer in einer Gruppe reiten zu müssen. Deshalb dachte ich mir: Warum sollen sie nicht selbst entscheiden, wohin sie reiten wollen? Da es aber schwer ist, in einer großen Gruppe ein Ziel festzustellen, machen wir Kleinruppen. Niemand darf alleine reiten. Die Gruppe muss zu dritt oder mehr sein. Aus dem Grund: Wenn etwas passiert, kann der eine beim Verletzten bleiben, während der andere Hilfe holt. Ihr könnt dann in eurem Tempo und wohin ihr wollt reiten. Aber tut mir einen Gefallen und reitet nicht in die Stadt."

Alle freuten sich darüber und mir bewies das mal wieder, warum ich diese Lehrerin so mochte. Ich schaute mich nach möglichen Partnern um, doch es hatten sich bereits alle in Dreiergrüppchen eingefunden. Alle außer Cole und mir. Er fing meinen Blick auf und ich Rang mir ein Lächeln ab. Wieso musste er nur immer so unglaublich aussehen? Immer, wenn ich ihn ansah, musste ich daran denken, was ich getan hatte und dass ich verdammt war.

Plötzlich gab er die Zügel seines Pferdes dem Jungen, der neben ihm stand und daraufhin ganz große Augen bekam, weil er von dem Schulsprecher nett angesprochen worden war, und ging zu unserer Lehrerin nach vorne. Es ah aus, als verhandele er etwas mit ihr. Caroline wirkte zuerst noch unentschlossen, doch dann nickte sie und Cole kam zu mir.

„Sie macht eine Ausnahme. Wir dürfen auch nur zu zweit los", informierte er mich und grinste wie ein kleines Kind, das ein Eis bekam. Ich schaute in seine blauen Augen, die so freudig leuchteten. Er nahm es so leicht. Für ihn war das alles nur ein aufregendes Abenteuer. Für mich aber war es mein Leben, das einfach nicht das war, was es sein sollte. Das so kompliziert und falsch und im wahrsten Sinne des Wortes beschissen war. Ich schüttelte den Kopf. Er hob mein Kinn mit der rechten Hand und zwang mich, in seine Augen zu schauen.

„Hey, was ist denn?"

„Du verstehst das nicht. Das hier ist kein Spiel. Ich bin schlecht. Für dich."

„Das stimmt nicht", widersprach er, „Du bringst die besten Seiten in mir zum Vorschein. Du gibst meinem Leben den Schimmer, wo es glanzlos und stumpf war. Du machst mich glücklich."

„Aber..." und es kostete mich unendlich viel Überwindung, diese Lüge hervorzubringen. Mein Herz klopfte vor Angst, wie er reagieren würde und wie ich mich fühlen würde. Ich hatte Angst, das Band nicht zu schnell zu teilen „du mich..." ich stockte. „Du mich aber nicht."

Er erstarrte. Jedes Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, während ihm langsam klar wurde, was ich gesagt hatte. Ich hätte am liebsten laut losgeheult. Beinahe hoffte ich, er würde meine Lüge durchschauen. Doch er tat es nicht. Es war das erste Mal, dass ich meine schauspielerischen Fähigkeiten verwünschte. Aber dann dachte ich, dass es besser so war. Schließlich wollte ich, dass er sicher war und bei mir war Cole es nicht. Im Gegenteil. Auch wenn meine Augen nun wirklich feucht wurden, als er hart schluckte und sagte: „Gut, dann... werde ich trotzdem auf dich Acht geben. Denn das habe ich mir geschworen." Die Enttäuschung war ihm trotz der gefassten Worte deutlich anzumerken.

„Das will ich aber nicht", murmelte ich, sodass er es nicht verstand.

„Was?"

„Nichts."

Schweigen. Dann rief ich verzweifelt: „Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?" Ich schwang mich auf Moritz und ritt durch das Tor. Cole ließ ich einfach stehen. So sah er meine Tränen auch nicht, die mir vom Wind abgekühlt über die Wangen rannen. Wieso kamen sie so leicht, die Tränen? Früher hatte ich nie so schnell angefangen zu weinen. Ich hatte sogar angenommen, gar nicht mehr weinen zu können, weil ich so abgestumpft war. Ich ritt und ritt und passte gar nicht auf, wohin. Ich ritt, fast blind durch den Tränenschleier, bis ich auf einmal jemanden neben mir bemerkte. Doch es war nicht Cole. Es war Jace.

Sein Pferd war schneller als meins und deshalb überholte er mich bald und schnitt mir den Weg ab. Ich brachte mein Pferd zum Stehen und wischte mir möglichst unauffällig mit dem Ärmel über die Augen, doch er hatte es trotzdem gesehen. Diesmal blieb sein Gesichtsausdruck hart.

„Was hast du getan?", spuckte er mir entgegen.

„Was ich getan habe? Das einzig richtige habe ich getan", schrie ich zurück.

„Cole ist mein Freund und du hast ihn verletzt. Er war bereit, alles zu tun für dich. Und du hast ihm Hoffnungen gemacht. Ich meine, du hast ihn geküsst. Mehrmals! Und du servierst ihn einfach so mir nichts dir nichts ab. Das hat er nicht verdient. Er hat dich geliebt, so wie du bist. Und er liebt dich noch immer, Mira."

„Glaubst du, ich weiß das nicht?"

„Du hast ihm das Herz gebrochen."

„Ich weiß, aber was soll ich denn machen?"

„Empfindest du denn wirklich nichts für ihn?", fragte er, sich langsam wieder beruhigend.

„Ach Jace. Ich liebe Cole!" Und als mir die Tragweite und die ganze Wahrheit dieser Worte bewusst wurde, wurde ich plötzlich ganz ruhig, ähnlich wie damals, als ich beschlossen hatte, aufzugeben. Stumme Tränen rannen mir stetig über das Gesicht, während wir uns gegenüber standen und uns nur ansahen.

„Wieso hast du es dann getan?", brach er schließlich die Stille.

Ein Schluchzer drang aus meiner Kehle und ich wurde wieder von der Trauer geschüttelt, als ich sagte: „Weil ich gefährlich bin."

Er sagte nichts.

„Ich hab mich nicht unter Kontrolle, Jace. Außerdem, selbst wenn dies der Fall wäre, würde er sich auf Dauer verändern, wenn er jeden Tag die Grausamkeit sähe, die in mir steckt. Verstehst du? Du fragst, warum ich ihn von mir gestoßen habe? Ganz einfach, weil ich ihn liebe. Ist das nicht verrückt?"

Ich wendete mich ab und schwang mich wieder auf mein Pferd. Ich wollte einfach nur weg. Weg aus dieser Umgebung, weg von diesem Ort, weg aus dieser Gesellschaft. Weg von meinen Problemen, weg von meinen Gefühlen. Und so ritt ich einfach los. Jace folgte mir nicht. Gut so, dachte ich.

Tränen von BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt