Zukunftspläne

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Wir saßen auf einer Bank im Schulhof, als Jace auf uns zukam. Er wirkte, als beschäftige ihn irgendetwas.

„Da seid ihr“, sagte er und stellte sich vor uns. „Also, ich hab mit meinem Vater über die ganze Sache geredet und er meinte, dass es zu gefährlich sei, wenn du hierbleibst. Er meinte, ich solle mit dir fortgehen und dir alles erklären und zeigen, was du wissen musst als Vampir. Wir sollen zu meiner Tante gehen. Er versucht jetzt, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Bis dahin sollen wir am Unterricht wie gewohnt teilnehmen, nur dass dich immer einer von uns begleiten wird, also Cole oder ich. Mein Vater will dir das aber noch selber erklären. Er wird dir in der Zeit auch von seiner Nahrungsquelle abgeben, bis du bei meiner Tante dann lernst, den Hunger zu kontrollieren und nur in Maßen zu trinken.“

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war so nett von ihm, sich darum zu kümmern, doch irgendwie konnte ich Jace nicht so recht einschätzen. Im einen Moment war er total freundlich und im nächsten total unfreundlich und sogar ein Stück weit grausam, wenn es ihn überhaupt nicht zu kümmern schien, wie es mir oder jemand anderem ging.

„Wo wohnt dein Vater denn?“, fragte ich. „In Rida?“ Rida war die Stadt, die unserer Schule am nächsten lag.

Sowohl Jace als auch Cole fingen schallend an zu lachen. Jetzt kapierte ich gar nichts mehr. Was war an meiner Frage denn so lustig?

„Nein“, brachte Cole irgendwann hervor, „sein Vater lebt hier in der Schule.“

„Echt? Wo denn?“

„Ach ja“, ergänzte Jace, „und er heißt Julian.“

Mir fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. „Dein Vater ist der Schuldirektor?“, fragte ich ungläubig.

„Ja. Wusstest du das nicht?“, frgte Jace, bevor er wieder ihn Lachen ausbrach.

„Was meinst du, warum Jace schon so früh mit der Ausbildung beginnen durfte und warum Julian sich nie blicken lässt. Weil er der Schulleiter und ein Vampir ist. Vampire zerfallen im Sonnenlicht zu Staub, musst du wissen. Deshalb öffnet er nie seine Vorhänge im Büro. Und schläft nicht.“

„Und die Schüler und Lehrer haben keine Angst vor ihm?“, fragte ich skeptisch.

„Sie wissen es nicht“, antwortete Jace, der sich allmählich wieder beruhigt hatte.

„Wieso zerfallen wir nicht zu Staub?“

„Weil wir nur zu einem Teil Vampire sind und zum anderen Gestaltenwandler. Mein Vater und seine Familie sind alle Vollblutvampire. Wenn die Sonne im Sommer ganz heiß ist, merken auch wir ein Ziepen in der Haut, wir bekommen schneller Sonnenbrand und wenn wir stundenlang in der Sonne liegen würden, würden auch wir verbrennen, aber das ist nicht so extrem.“, erklärte Jace und setzte sich neben mich auf die Bank, sodass ich von Cole und Jace umrahmt wurde.

„Und wann will er uns treffen?“

„Wer?“

„Julian natürlich.“

„Ach so. Keine Ahnung. Er hat gesagt, er wird dich zu ihm bestellen. Wie und wann weiß ich nicht. Aber es muss bald geschehen. Schließlich kriegst du auch demnächst wieder Hunger“, erwiderte Jace. Dann schien ihm eine Idee zu kommen: „Hey, dann können wir zusammen essen!“

Das fand ich nicht gerade aufmunternd. Aber ich beschloss, es dabei zu belassen. Schließlich konnte ich nicht mein Leben lang Trübsal blasen und mich selbst bemitleiden. Ich musste mich mit meinem Schicksal und dem, was ich war, abfinden.

„Okay“, sagte ich und stand auf, „ich gehe dann mal zu meiner nächsten Unterrichtsstunde.“

„Warte, ich komme mit“, beeilte Cole sich zu sagen und erhob sich ebenfalls.

„Ihr wollt mich jetzt doch nicht den ganzen Tag verfolgen, oder?“

Die beiden wechselten einen kurzen Blick. Dann schauten sie mich an: „Doch.“

Oh nein. Das konnte ja heiter werden. Ich drehte mich um und flüchtete ins Schulgebäude.

Natürlich hatte Cole mich schnell eingeholt.

„Hast du keinen eigenen Unterricht?“, versuchte ich, ihn abzuwimmeln, während wir durch die Gänge zu dem großen Saal gingen, in dem ich Verwandeln hatte.

„Nein, ich hab jetzt eine Freistunde“, antwortete er schulterzuckend.

„Aber du hast bestimmt keine Lust, deine freie Zeit mit Zusatzstunden zu verschwenden, oder?“

„Mira.“ Er zwang mich, stehenzubleiben, indem er mich am Arm festhielt und zu ihm umdrehte. Ich liebte es, wenn er meinen Namen sagte. So sanft und weich, so melodisch. Doch ich verbot mir, an so etwas zu denken. Schließlich wollte ich unsere Verbindung langsam und behutsam wieder trennen. „Du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass Jace und ich das nur machen, um dir zu helfen. Du bist nicht alleine. Wir können die Last mit dir tragen.“ Er sah mir so lange und intensiv in die Augen, bis ich ergeben nickte.

„Ach ja. Und jeder Augenblick, den ich mit dir zusammen bin, ist keine verschwendete Zeit“, sagte er ernst, bevor er sich wieder nach vorne drehte und weiterging. Wieso war es nur so schwer, seine Gefühle zu ignorieren? Wieso musste mein Herz denn immer wieder so schnell schlagen, wenn er in meiner Nähe war und besonders, wenn er mir so etwas sagte? Nach einigen Sekunden folgte ich ihm.

Alle Schüler drehten sich neugierig nach uns um, als wir den Raum betraten. Kein Wunder. Das graue Mäuschen der Schule brachte auf einmal den Schulsprecher mit in den Unterricht. Doch keiner sagte ein Wort. Zu groß war die Unsicherheit, zu groß der Respekt, oder eher die Angst vor Cole.

Josh, der sowohl Lehrer für Nahkampf als auch Verwandlung war, kam sofort auf mich zu: „Hast du jetzt die Entschuldigung dabei?“ Er trug ein Pflaster auf der Nase. Wahrscheinlich die Nachwirkung des Balls, der auf seine Nase gekracht war.

Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzten, als Cole schon sagte: „Sie war den ganzen gestrigen Tag mit mir zusammen. Und am Tag davor lag sie krank im Bett. Magenvergiftung.“ Ich sah ihn überrascht an. So etwas hatte ich nicht erwartet. Josh offensichtlich auch nicht, doch er nickte nur kurz und wandte sich dann wieder ab. Doch das war noch nicht alles gewesen für diese Stunde. Normalerweise konnte ich mich immer schön verstecken und wurde nur selten von den Lehrern drangenommen. Doch heute wandte sich Josh sofort nach Unterrichtsbeginn mir zu.

„Also Mira, du hast, nach dem, was ich gehört habe, deine erste Verwandlung schon hinter dir. Ausgelöst von Wut, nehme ich an?“, begann er. Ich nickte. Wenn ich an den Tag zurückdachte, kam er mir so weit entfernt vor. So viel war in der Zeit geschehen, so viel, was mein Leben verändert hatte. Dabei war es gerade mal drei Tage her.

„Wut ist meistens der Auslöser“, erklärte Josh, „denn Wut ist ein sehr starkes Gefühl, welches das Herz in Wallungen versetzt. Kennt jemand noch ein sehr starkes Gefühl?“ Keiner meldete sich.

Ich sah zu Cole, der konzentriert unseren Lehrer beobachtete, wobei ich mir nicht sicher war, ob er nicht nur so tat als ob und seine Aufmerksamkeit eigentlich mir zugeteilt war.

„Liebe“, sagte ich ganz leise, doch Josh hatte es trotzdem gehört.

„Ach ja, die Liebe“, seufzte er. „Sie ist wohl das mächtigste Gefühl, das es auf dieser Welt gibt. Sie kann einem manchmal ganz schön den Kopf verdrehen. Oder Verlangen...“

Meine Gedanken schweiften ab, während Josh immer weiterredete. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Cole mich interessiert musterte, doch als ich zu ihm schaute, blickte er wieder konzentriert nach vorne. Seine Augen leuchteten und sein blondes Haar wirkte nahezu golden im Licht der Sonne, das durch die großen Fenster fiel. Mir wurde ganz schwer um's Herz.

Ach ja, die Liebe. Sie konnte das Herz zum Klopfen bringen und sie konnte das größte Glück hervorrufen, das es gab. Doch sie konnte auch so unendlich unfair sein.

Tränen von BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt