Besuch bei Toten

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Bildquelle: http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit/15-tipps-fur-den-herbst

-Hallo Leseratten,
Sorry, dass ich so lange nicht geupdatet habe, aber es war so warm, dass ich wirklich nicht viel Lust zum Schreiben hatte. Seid mir nicht böse. Viel Spaß beim Lesen!

Euer readerbunny01-

Coles Wunde heilte gut. Ich saß jeden Tag an seinem Bett. Manchmal las ich ihm vor, manchmal schwiegen wir einfach, und manchmal redeten wir, so wie heute.

„Mira?", fragte Cole. Immer wieder durchlief mich ein wohliger Schauer, wenn er meinen Namen sagte.

„Ja?"

„Ich hab mir Gedanken gemacht. Gedanken, weshalb Jace immer wieder aufwacht, wenn er eigentlich tot sein müsste."

„Und? Auf welchen Schluss bist du gekommen?"

„Dass es an dir liegen muss."

„Was?"

„Weißt du, damals, als Jace das erste Mal fast gestorben wäre, bist du ebenfalls zusammengebrochen, obwohl du gar keine Wunde hattest. Und dann bist du wieder aufgewacht und Jace auch. Ich denke, durch eure Zwillingsbindung konntest du ihm von deiner Lebenskraft abgeben, dadurch warst du natürlich auch kurz geschwächt, aber dann haben sich euer beider Kräfte regeneriert und ihr konntet beide leben." Er sah mich unverwandt an. Ich schaute starr aus dem Fenster, während ich über seine Worte nachdachte.

„Aber das würde ja bedeuten, dass..."

„Dass keiner von euch sterben kann, solange der andere lebt", beendete Cole meinen Satz.

Ich sah ihn an. „Sind wir dann unsterblich?"

Er sagte zuerst nichts. Dann meinte er: „Vielleicht schon. Vielleicht, wenn man euch beide gleichzeitig töten würde. Aber es ist jedenfalls sehr unwahrscheinlich. Zumindest, solange es keiner weiß, außer wir."

Ich nickte. Dann nahm ich Coles Hand. „Cole, ich liebe dich." Ich wusste nicht, woher die Worte kamen, aber sie waren das, was ich in diesem Moment sagen wollte.

Er lächelte. „Da ich mich nicht aufrichten kann, musst du zu mir kommen", sagte er und grinste frech. Ich stand auf, stützte mich rechts und links von seinem Kopf ab und küsste ihn. Es war ein gutes Gefühl, endlich wieder seine lebenden Lippen auf meinen zu spüren. Leider ging es in die Arme und war anstrengen, sodass ich mich wieder aufrichten musste. Ich lächelte bedauernd, als er enttäuscht das Gesicht verzog.

Dann schwierigen wir wieder.

„Mira?", fragte er irgendwann noch einmal.

„Ja?"

„In Detroit wolltest du, dass ich dir einen Wunsch erfülle, weißt du noch?"

Oh ja, ich konnte mich sehr gut an diesen Wunsch erinnern.

„Was war das für ein Wunsch?"

Ich schwieg einige Momente. Dann sagte ich: „Dass du mich heiratest."

Er lächelte. „Aber das hatten wir doch sowieso vor."

„Ich meine aber nicht irgendwann. Ich meine jetzt. So bald wie möglich. Cole, ich will nur dich, auch wenn ich dafür auf alles andere verzichten müsste." Ich sah in seine Augen, in diese wunderschönen, blauen Augen, und ich sah das stumme Nicken darin. Ich lächelte. Und dann küsste ich ihn noch einmal.

Die Wunde heilte gut, sagte zumindest Jace. Ich war der Meinung, dass sie viel zu langsam heilte, aber das mochte an meiner Ungeduld liegen. Ich freute mich riesig, als Jace meinte, Cole könnte nun schon vorsichtig aufstehen. Als ich ihn fragte, woher er das alles wüsste, erklärte er, dass er Medizin studieren wollte und auch damit angefangen hatte, bevor er wieder zurück zur Schule gekommen war. Es dauerte noch endlose Wochen, bis er wirklich gehen konnte und wir schon erste Spaziergänge machen konnten. Und dann dauerte es wieder Wochen, bis Cole das Vertrauen zu seiner Bauchdecke zurückgefunden hatte. An einem Tag fuhren wir zu Emma. Jace sagte, dass sie schon zur Schule kommen wollte, als sie erfahren hatte, was geschehen war, aber er hatte es ihr verboten. Es wäre nicht nötig und außerdem störend. Deshalb besuchten wir sie nun. Und Lorelay. Mein Bruder hatte sie neben ihrem Bruder begraben. Das Laub hatte sich bereits bunt gefärbt und wurde vom Wind von den Bäumen gerissen.

„Unglaublich, was in den letzten Monaten alles passiert ist", sagte Cole, als wir aus dem Auto stiegen. Ich nickte. Das Laub schluckte alle Geräusche und es war beinahe totenstill. Die Vögel hatten sich schon alle zurückgezogen, um auf den nächsten Frühling zu warten. Die Blätter unter unseren Füßen raschelten, als wir zu Emmas Haustür gingen. Jace klopfte und trat einen Schritt zurück. Er hatte Finn auf dem Arm. Nach ein paar Sekunden öffnete Emma die Tür. Sie trug kein Kopftuch und ihre roten Locken fielen offen über ihre Schultern, was mir wieder mal vor Augen führte, dass sie meine Mutter war. Als sie uns erblickte, wurden ihre Augen weich, sie trat vor und umarmte uns nacheinander.

„Kommt rein", meinte sie und machte einen Schritt zur Seite, um uns vorbei zu lassen. Wir setzten uns auf das Sofa vor dem Kamin und Emma setzte sich auf den Sessel, der daneben stand. Feuer flackerte und verbreitete eine angenehme Wärme und ein gemütliches Licht. Ich saß in der Mitte zwischen Jace und Cole.

„Es ist schön, dass es euch gut geht", sagte sie. Dann trat ein unangenehmes Schweigen ein, bis sie fragte: „Wollt ihr was trinken?" Wir schüttelten nur stumm die Köpfe. „Okay, ich schlage vor, wir gehen zuerst zu Julian und Lorelay", seufzte sie schließlich und stand auf. Wir folgten ihr ohne Kommentar.

Das letzte Mal, als wir hier gewesen waren, war überall grün gewesen. Bäume, Büsche, Kräuter, Gräser, alles hatte grün geleuchtet. Nun leuchtete alles rot, gelb, braun und golden. Viel Zeit war vergangen. Viel war passiert. Wir waren lange nicht mehr hier gewesen. Emma führte uns durch den Wald. Der Weg war nicht sehr lang und bald konnten wir sie sehen. Ein altes und ein relativ frisch aufgeschüttetes Grab nebeneinander. An beiden stand ein Kreuz aus Holz. Auf dem einen stand Julian Leblanc, auf dem anderen Lorelay Leblanc. Da langen sie, die beiden Geschwister, und beide waren sie tot. Vampire, die Jahrhunderte überlebt hatten, gab es nicht mehr.

Ich kniete mich vor Julians Grab. Die Erde war schon längst nach unten gesunken und bunt gefärbte Blätter bildeten eine Decke darauf. Außer das Kreuz zeugte nichts mehr von der Stelle, an der er beerdigt worden war. Das Kreuz würde modern und irgendwann verfallen und dann bliebe nichts mehr außer Erinnerungen. Und diese wollte ich wahren. Sein Bild in meinen Gedanken behalten und den Moment, in dem wir uns kennengelernt hatten, nie wieder vergessen. Ich nahm ein Blatt von seinem Grab und betrachtete es. Es war wunderschön gefärbt. Von einer tiefroten Stelle in der linken Spitze des Ahornblattes verlief es durch ein Orange in ein Gelb und dazu war es mit grünen Tupfern gesprenkelt. Ich legte es nicht wieder zurück, sondern beschloss, es mit nach Hause zu nehmen.

Dann wandte ich mich Lorelays Grab zu. Hier wölbte sich die Erde noch unter der Blätterdecke. Ich wischte von den Blättern weg und grub meine Hand in den Erdhaufen. Die Erde war warm und füllte meine Hand vollständig aus. Auch Lorelay hatte lange gelebt und tat es nicht mehr. Sie hatte nicht mal die Chance gehabt, zu kämpfen, oder sich zu wehren. Es war ein dummer Zufall gewesen, dass sie zuerst ins Zimmer gegangen war. Oder Schicksal, aber das bezweifelte ich. Es hätte jeden von uns treffen können. Denn wäre sie nicht vorgegangen, hätte der Pflock unweigerlich jemand anderes von uns erwischt und getötet. Na gut, Jace vielleicht nicht, wenn Coles Vermutung richtig war, aber trotzdem. Ich vermochte es nicht, mir auszumalen, was passiert wäre, wenn es Cole gewesen wäre. Er wäre ja beinahe auch gestorben. Lorelay war nicht böse gewesen und so wollte ich sie auch nicht in Erinnerung bewahren. Sie hatte nur in frühen Zeiten schon so viel Grausames erlebt, schon mit so jungen Jahren sich selbst hassen gelernt. Nein, sie war nicht böse gewesen, nur verbittert und des Guten müde. Ich zog meine Hand mit der Erde aus ihrem Grab und ließ die braunen Krümel durch meine Finger rieseln. So wie die Erde rieselte das Leben eines jeden Menschen und selbst die Krümel, die sich bis zum Schluss auf den Fingern hielten, fielen doch, wenn man sich aufrichtete und die Hand umdrehte. Ich trat einen Schritt zurück.

Wir standen noch einige Minuten schweigend da. Jeder nahm Abschied auf seine Weise.

Tränen von BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt