21.

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Am Abend war es dann auch soweit, dass ich mich für den Weihnachtsmarkt fertig machen kann. Wieso ich wieder auf die Idee komme mit ihm zu reden, nach alldem was passiert ist? Keine Ahnung, es ist einfach lustig. (Eigentlich nicht, aber wenn ich es mir weiter einrede, dann schon irgendwie.)
Jedenfalls haben wir ausgemacht wo und wann wir uns ca. treffen, damit wir nicht 20 mal aneinander vorbei rennen. Trotzdem hätte ich es mir irgendwie gewünscht. Da ich nicht zu spät kommen will, bin ich schon 2 Stunden eher da. Da kann der erste Glühwein schonmal ordentlich anfangen zu wirken. Zum Glück haben sie dieses Jahr wieder meinen Lieblingsstand, wo es den besten Glühwein in Berlin gibt. Und den günstigsten. 

"Guten Abend, Frau Thompson" kommt eine mir vertraute Stimme von hinten. 

"Oh Gott, erschreck mich doch nicht so, Amira"
Ich falle meiner besten Freundin um den Hals und wir stehen mindestens 3 Minuten den anderen Leuten im Weg, bis wir hinter ihren Stand gehen. 

"Ich hab dich ja seit Monaten nicht gesehen. Wie geht es dir?"

Sie erzählt mir von allem, was bei ihr in den letzten Wochen und Monaten passiert ist. Sie ist endlich mit ihrer Freundin zusammengezogen, hat einen festen Job und hat sich endlich den Traum von einem eigenen Pferd erfüllen können. 
"Aber jetzt zu dir, Maus. Ich bin so unfassbar stolz auf dich..."
Sie war die eine Person, welche schon in unserer Jugend an mich geglaubt hat und mich bei meinen Träumen unterstützt hat. Ohne sie wäre ich vielleicht nicht an dem Punkt, an dem ich jetzt bin. Auch in meinen Anfangszeiten in der Partei stand sie mir immer zur Seite und half mir so viel sie konnte. Und dafür bin ich ihr mehr als dankbar. 
"..und ich hab einiges gehört. Willst du darüber reden?" 
"Nur, wenn ich etwas von deinem Glühwein bekomme"
"Jaja, davon kannst du heute noch genug haben"

Es tut gut nach so langer Zeit mal wieder mit ihr zu reden. Sie hört einem zu, steht außerhalb vom Geschehen und gibt dir ihre ehrliche Meinung - etwas, was ich schon immer an ihr zu schätzen wusste. Natürlich ging es um die Sache mit Annalena. Ich erzählte ihr von so gut wie allen Sachen, die in der letzten Zeit passiert sind und musste mich beherrschen, nicht gleich los zu weinen. Nur die Sache mit Christian, erst einmal egal was, erzählte ich ihr nicht. Das ist mir noch zu frisch und ich weiß auch nicht ganz wie. 
Allerdings konnten wir nicht ewig reden, da ich ja auch noch mit ihm verabredet bin.

"Ach Maus. Was du schon wieder gemacht hast, da ist man einmal nicht da und schon läuft das so. Ich bin gleich wieder da, da vorne ist jema-"
"Alles gut, ich muss auch gleich wieder los. Ich bin- naja erstmal egal"
Wenn ich ehrlich sein soll - ich habe noch ca. 30 Minuten bis ich zum Baum muss, um dort Christian abzuholen, also kann ich in der Zeit noch alleine etwas machen. 
Ich lief gerade mit meiner Freundin nach vorne, als dieser Plan auch schon scheiterte. 

"Herr Lindner?" "Christian?" riefen sie und ich gleichzeitig. Was macht der denn schon hier? Und wieso genau hier? Ich wollte die halbe Stunde noch für mich nutzen und jetzt steht der hier schon auf der Matte? Och bitte nicht. Lass mich bitte träumen. Doch auch nach mehrmaligen blinzeln stand er immer noch dort und grinst mich mit seinem typischen "Lindner-Lachen" an. Wie ich es manchmal hasse. 

"Alica, du auch schon da?"
"Jap. Hi" 
Amira, die natürlich keine Ahnung hat, was gerade abgeht, steht einfach nur mittendrin und schaut zwischen uns hin und her.
"W- Wollen Sie was bestellen, o- oder?"
"Ach so, natürlich. Entschuldigen Sie bitte meine Unhöflichkeit. Einen normalen Glühwein bitte, aber mit Schuss."
"Natürlich, kommt sofort" und damit verschwand sie kurz in ihr kleines Hinterzimmer und ließ uns alleine. 
"Also..." fang ich an, aber habe natürlich keine Ahnung, was ich sagen soll. 
"Also... Was machst du schon hier? Eigentlich waren wir erst in 25 Minuten verabredet." Na klar, jetzt kommt auch noch diese Frage. Wird man hier verfolgt und kann nicht einmal früher da sein?
"Naja, ich wollte schonmal eher da sein und meine Freundin besuchen. Wir sehen uns nur selten, vor allem auch bezüglich Corona, du weißt schon." 

Ich bin froh, dass sie gerade wieder kam. Zumindest hörte deswegen das peinliche Gespräch auf. Jedoch ging es weiter, nachdem er zahlte und ich mich auch wieder verabschieden musste. Sie versprach, mich spätestens im Sommer mal in meinem Heimatort zu besuchen, damit wir endlich mal wieder mehr Zeit miteinander verbringen können.

"Gehen wir eine Runde? Ich meine, die Sache beginnt gerade von wo ganz anders" 
Ich willigte ein und bin froh, davor schon 3 Tassen Glühwein drinnen zu haben. Der Weihnachtsmarkt in diesem Jahr ist nicht so groß wie früher, aber trotzdem wunderschön. Mit Dekoration geben sie sich immer am meisten Mühe. Ich sehe schon wieder die ganzen Bilder auf Pinterest.

"Also sag mal.. Was war das gestern?" Ich wusste echt nicht, was genau er jetzt meint, weshalb ich ihn einfach nur anstarre, was er leider dank des ganzen Lichtes genau sieht und deshalb erstmal anfängt mit lachen. Wenn es so weiter geht, dann brauch ich heute Abend noch einiges an Glühwein. 
"Die Sache in dem Interview. Also das, was Annalena gesagt hat. Du weißt schon."
"Nur deswegen wolltest du mit mir reden?"
"Natürlich nicht, nein. Aber es interessiert mich. Vor allem weil wir kurz vorher deswegen geredet haben"
"Ich kann es dir nicht sagen, wenn ich ehrlich bin. Eigentlich war abgemacht, dass wir es öffentlich machen, da es einfach zu viel Stress wird. Du kennst das ja bestimmt." 

Und wir redeten ewig über das Thema, und zu meiner Überraschung war er auf meiner Seite, verstand meine Gedanken und verteidigte mein Handeln. Denn falls ich vergessen habe zu erwähnen.. Annalena hat mir nach diesem Interview mehrmals geschrieben bzw. mich angerufen, aber ich hatte einfach nicht die Lust, ihr zu antworten. Und irgendwann hat sie es auch endlich gelassen. 
"Wieso bist du plötzlich.. so?" frage ich ihn aus dem Kalten heraus.
"Weil es mir ernsthaft Leid tut. Was ich gemacht habe bereue ich und auch, dass du wegen mir so viel durch machen musstest und-"

"Eine Entschuldigung reicht da nicht wirklich.."
"Das weiß ich.. Aber ich wollte es dir trotzdem sagen. Persönlich.. Außerdem.. danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Und mir, irgendwie, nochmal vertraut hast. Ist echt nicht selbstverständlich." 

Und nach dem letzten Satz von ihm fällt mir erst auf, wie naiv ich eigentlich bin. Ohne ansatzweise zu wissen, was passieren könnte oder wieso er so zu mir ist, habe ich ihm Sachen anvertraut, die sonst kaum einer weiß und bin freiwillig auf ihn zugegangen. Doch im Moment bereue ich es nicht. Wieso auch? Solange ich normal nach Hause komme, hat er nichts gegen mich in der Hand. Zumindest keine Beweise oder sonstiges. Und das ist nur für mich ein Vorteil. 


𝑎𝑛𝑑 𝑦𝑜𝑢 𝑠𝑎𝑣𝑒𝑑 𝑚𝑒 -annalena baerbockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt