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Der restliche Sonntag ging so dahin und das einzige, woran ich denken konnte war sie. Egal in welcher Situation, ich hatte sie im Kopf.
Die letzten beiden Tage brachten meinen Kopf noch mehr durcheinander als er so schon ist. Aber ich kann auch mit niemanden drüber reden. Kann ja schlecht zu jemanden gehen und sagen "Ja, also.. ich wollte nur sagen, dass ich mich in meine Kollegin verliebe, das Wochenende bei ihr war und ich irgendwie in ihrem Arm aufgewacht bin. Aber sonst ist alles normal, danke der Nachfrage." 


Keine Woche mehr bis zu den Bundestagswahlen. Alles ist angespannt, jeder nimmt noch einmal alle Kraft zusammen, wirbt auf den Straßen oder online fürs Wählen, Inzwischen sind auch die ruhigsten Seelen gestresst und nervös. Und bin ich nervös? Natürlich nicht, ich meine, ich bin die Ruhe selbst. Hat man die letzten Tage total bemerkt. 

Seit einigen Stunde sitze ich nun schon in meinem Büro und erledigte den letzten Papierkram, der noch offen ist. Volle Konzentration habe ich dabei nicht, aber irgendwie muss das schon gehen. 
Die Zeiger auf meiner Uhr bewegen sich gefühlt immer langsamer und langsamer bis ich irgendwann das Gefühl habe, dass entweder die Batterien leer sind oder jemand die Zeit um mich herum angehalten hat. Wäre gerade ganz praktisch, denn ich könnte endlich mal alles aus mir heraus schreien, was mir auf dem Herzen liegt, ohne, dass es jemand mitbekommt. 

Mich riss ein plötzliches Klopfen an der Tür aus meinen Träumen. Ich bat die Person herein und in der Tür stand jemand, den ich gerade nicht erwartet hätte. 
"Na, alles gut bei dir, Alica?" fragte mich Robert und schloss die Tür sich. Wieso kommt er her? "Ja, uhm.. alles gut, danke. Wieso bist du hier?" Vielleicht klingt es etwas unhöflich, aber meine Motivation ist immer noch im Eimer. Ich bot ihm den Platz mir gegenüber an und er fing an zu reden. "Ich wollte schauen, wie es dir geht. Du weißt schon, nach Freitag Nacht." "Mir geht es wieder besser, danke." Er scheint mit seiner Antwort nicht zufrieden zu sein und rutscht in seinem Stuhl unruhig hin und her, aber beließ es dabei. "Ich möchte dich noch etwas fragen.." "Das hab ich mir schon gedacht" "Ja also.. Hast du heut zufällig die Zeitung gelesen?" Verwirrt von der Frage schaue ich ihn an und er legt eine Zeitung auf den Tisch mit dem Titelblatt nach oben: 'Affäre unter Kollegen? Ist der Kampf für Annalena Baerbock hier vorbei? (S.3)'. Oh nein. Nein nein nein. Unter der Überschrift, die schon die halbe Seite einnimmt, sind zwei Bilder. Eins von der Nacht, wo sie mich mit in ihre Wohnung nimmt und eins, wie ich sie gestern Nachmittag verlasse. Wieso muss sowas immer in den ungünstigsten Momenten passieren. 
Ich schaute von der Zeitung auf (Seite 3 werde ich glaube ich so lange wie möglich vermeiden) und starrte Robert an, der mich durchgängig beobachtet. "Musst du mir irgendetwas sagen?" Sein Blick wirke so lieb und gleichzeitig eiskalt, dass es mir kalt den Rücken runterläuft. "Nein, also.." und weiter kam ich nicht. Er zog eine Augenbraue hoch und schaut mir jetzt in die Augen "Dann wärst du jetzt nicht so weiß wie Schnee. Was ist los?"
Inzwischen stehen mir fast die Tränen in den Augen und ich muss mich zusammenreißen, ruhig zu bleiben. Ich kann ihm doch jetzt schlecht die Wahrheit sagen. "Es ist nichts. Annalena hat mir angeboten, die Nacht noch zu bleiben, da ich mich immer noch nicht besonders gut fühle. Nur weil-" und ich wurde durch das aufreißen meiner Tür unterbrochen. "Ali-" Die Frau schaut erst mich an, dann die Zeitung auf meinem Tisch und dann Robert, der immer noch auf dem Stuhl sitzt. Ich wollte gerade aufspringen, um zu ihr zu gehen als sie sich umdreht, wieder verschwindet und dabei meine Tür hinter sich zuzog. "Annalena warte!" rief ich noch hinterher aber das hat sie nicht mehr mitbekommen. 
Ich lehne mich an meine Wand und fing an zu schluchzen. Gegen die Tränen kann ich inzwischen nicht mehr ankämpfen. Sie weiß genau, worum es in der Zeitung geht, ich weiß es und wir beide wissen, wie wir einen Tag zuvor aufgewacht sind. 
"Möchtest du darüber reden?" ganz perplex schau ich Robert an. Er ist immer noch da und er hat keine Ahnung, was in den letzten Tagen vor sich ging. 

Erst zögerte ich, doch dann fing ich an zu erzählen. Vor allem. Von den fast zwei Tagen, die ich mit Annalena verbracht habe, von dem Sonntagmorgen und auch, dass ich leichte Gefühle für sie habe. Er ist ihr bester Freund, weshalb es mich wundert, wieso er hier ist und mir, scheinbar, aufmerksam zuhört. Bei dem letzten Punkt angekommen fing ich an zu zittern und er kam auf mich zu und umarmte mich. "Rede mit ihr. Sie wird dich nicht hassen" "Das vielleicht nicht, aber dann.." "Dann passiert nichts. Vertrau mir" "Wieso?" er löste sich wieder von mir und schaut mir tief in die Augen "Weil sie meine beste Freundin ist. Ich kenne sie inzwischen besser, als einige andere" während er das sagt macht er einen leicht angewiderten Blick zur Seite und ich wusste, dass es um ihren Ex geht. Das brachte mich für einen kurzen Moment zum grinsen. "Wenn du willst, kann ich au-" "Nein. Ich will das selbst machen." Er schenkt mir ein lächeln, drückt nochmal meine Schultern und war wieder aus meinem Büro verschwunden. 

Die Zeitung liegt immer noch auf meinem Schreibtisch. Vielleicht lese ich Seite 3, wenn ich mit ihr darüber geredet habe. Vielleicht wird dann alles besser. Ich falte sie zusammen, pack sie in eine leere Schublade und verlasse nun selbst mein Büro. Der Weg zu ihrem Büro war nicht weit, aber trotzdem fühlte er sich an wie Stunden. Stunden, in denen ich nicht weiß, wie das Gespräch endet. 
Davor angekommen, nahm ich noch einmal alle Kraft zusammen und klopfe an der Tür. Von innen kam ein "Herein." und ich schob die Tür auf. Als die Frau mich sah, wurde ihr Blick gleich kälter und ich fühle mich inzwischen sehr unwohl, ihr gegenüberzustehen. 
"Frau Thompson. Brauchen sie etwas?" Sie bringt Abstand zwischen uns. Wieso? Vorhin hat sie mit meinem Vornamen angefangen und jetzt? Jetzt bekomme ich die kalte Schulter, als hätte ich ihr gesagt, ich würde jetzt Mitglied der AfD sein. Mein Herz zerbricht gerade in Millionen Teile und ich kann nichts dagegen machen. Ich kann trotzdem schlecht hier einfach so stehen bleiben. *Alica sag etwas. Du machst es gerade nur schlimmer!* 
"Ja, ich wollte fragen, ob.. Sie noch Druckerpatronen haben. Meine sind leer und ich muss dringend etwas drucken." *Ernsthaft?? DRUCKERPATRONEN* Sie schaut mich etwas misstrauisch an, aber öffnete doch eine ihrer Kästen. "Blau. Bitte" Das Nicken richtete sie zwar nicht in meine Richtung aber sie nahm eine blaue Patrone heraus und reichte sie mir. 
"Dankeschön, Frau Baerbock. Schönen Tag noch." diesmal war sie es, die auf ihren Nachnamen anders reagierte. Bevor sie etwas sagen konnte, trat ich zurück auf den Flur und ging zurück in mein Büro. 

𝑎𝑛𝑑 𝑦𝑜𝑢 𝑠𝑎𝑣𝑒𝑑 𝑚𝑒 -annalena baerbockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt