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Auch an den nächsten Tagen gingen wir uns aus dem Weg und sprachen nur miteinander, wenn es wirklich nötig war. Meine Stimmung war, wie zu erwarten, nicht gerade gut. Die Person, die ich mag, ignoriert mich komplett und ich kann nichts dagegen tuen. 

Der ganze Bundestag muss es inzwischen wissen. Alle schauen einen komisch an, wenn du mit jemanden redest oder schenken dir böse Blicke, egal was du machst.
Inzwischen ist Donnerstag, also sind drei Tage vergangen, seit der Artikel draußen ist. Ich hab wenigstens gehofft, dass sich die Lage zwischen Annalena und mir beruhigt, aber falsch gedacht. Wir reden kein Wort miteinander und versuchen so wenig wie möglich, zusammen in einem Raum zu sein. Natürlich bemerken das auch unsere Kollegen, aber niemand weiß, wieso. Alle außer Robert. Er versucht, die Sache neutral zu behandeln und es nicht unnötig auffällig zu machen. Funktioniert teilweise auch gut, aber oft überhaupt nicht. 

Noch immer habe ich ihre Klamotten bei mir zuhause. Es wäre eigentlich die beste Idee, mit ihr zu reden, aber ich weiß, dass sie dieses Gespräch so schnell wie möglich beenden würde. 
Ich muss vorher mit ihr reden. Und ich muss herausfinden, wieso sie so genervt war, nachdem sie gesehen hat, dass Robert bei mir war. Ich sollte damit trotz allem bis nach den Wahlen warten. Kurz vorher bringt es nichts, wenn wir uns noch zu viel mit privatem beschäftigen. 

. . .

Freitag. Nur noch zwei Tage. Das werden die letzten beiden wichtigen Tage, bevor am Sonntag alles entschieden wird. Der Tag könnte ja ganz okay werden... bisschen Papierkram, bisschen mit den anderen diskutieren und bisschen Kaffee trinken. Aber nein. Heute, wo ich mal vor gehabt habe, Annalena nicht bei jeder Möglichkeit anzuschauen, haben wir zusammen ein Interview. Also nicht nur wir beide, sondern auch Robert, Katrin und Claudia. Der Fokus liegt natürlich auf Annalena und Robert, aber es waren auch noch drei andere erwünscht. 

Es ist wohl der erste Moment seit Tagen, wo wir beide länger als 5 Minuten in einem Raum sind und niemand geht. Geredet wird trotzdem nicht. Zumindest nicht miteinander. 

Das Interview ist langweilig. Die stellen nur Fragen zum Thema Koalitionen oder 'wer würde welches Ministeramt nehmen' und so langsam kann ich das nicht mehr hören. Niemand sagt etwas zu den Themen, da man so Zahlen ruinieren kann und trotzdem fragen sie immer und immer wieder. Zu meinem Glück wurde ich nicht viel gefragt und konnte im Hintergrund sitzen, während die beiden Parteivorsitzenden das ganze Ding hinter sich bringen. Es kamen zur Abwechslung auch mal Fragen zum Thema Corona, was wenigstens mit mehr Freude beantwortet wird. Kurz vor Ende kam natürlich die Frage, auf die keiner Lust hatte und jeder gehofft hat, dass man sie vermeiden kann. 

"Frau Baerbock, weder von Ihnen, noch von Ihrer Kollegin Frau Thompson hat man je etwas zu dem Artikel von Montag gehört. Was hat es mit dem Besuch zutun?" 

Hätte ich keine Maske auf gehabt, dann hätte man voll auf Video gehabt, wie meine Kinnlade runterklappt. Annalena sieht auch nicht gerade anders aus. Gerade wollte ich etwas sagen, als mir Katrin zuvorkommt; "Ich will hier ja nicht unhöflich werden, aber dafür war das Interview nicht gedacht. Wenn Sie keine weiteren Fragen an einen von uns haben, die nichts mit dem Privatleben zutun hat, dann würde ich Sie bitten, diese jetzt zu stellen oder wir erklären das ganze hier als beendet. 

"Aber aber. Die Presse interessiert sowas. Es könnte für Ihre Partei nich-" 

"Die Presse hat sich für meine Arbeit, und nicht für mein Privatleben zu interessieren. Und selbst wenn. So etwas sollte die Leute nicht stören. Es ändert nichts daran, dass Frau Baerbock eine ausgezeichnete Kanzlerkandidatin ist. Sie ist die am Besten engagierte Person, die ich jemals kennenlernen durfte und ich bin stolz, dass sie es so weit geschafft hat. Es wird sich nichts daran ändern, für was die Leute sie wählen oder für was sie sich einsetzt, nur weil sie eine Frage der Zeitung nicht beantwortet. Unsere Partei wird weiterhin hinter ihr stehen und sie von Leuten wie Ihnen fern halten, die Grenzen nicht respektieren und sich fast mehr für das Privatleben interessieren, als für die Partei, die sie vertritt. Ich stehe voll und ganz hinter unserer Kandidatin, egal, was in ihrem Privatleben passiert.
Also wie meine Kollegin schon gesagt hat, entweder, Sie stellen noch sinnvolle Fragen, oder das Interview ist vorbei." 

Ich setze mich wieder auf meinen Stuhl und denke darüber nach was ich gerade gesagt habe. *Hab ich das gerade wirklich gesagt? Ja hast du. Wirklich? Ja. Ganz sicher? Jaa. Haben die es aufgenommen? VERDAMMT JA.* 

Ganz überfordert, mit dem, was gerade passiert ist, war erstmal einige Sekunden Stille im Raum. Die nächste Person, die etwas von sich gab, war Robert. Er räuspert sich, steht auf und mit einem "Dann ist die ganze Sache geklärt" verschwindet er aus dem Raum. Wir anderen machten es ihm gleich und ignorierten die geschockten Blicke der Reporter. Eigentlich sollte ich mit denen Mitleid haben, jedoch hält dieses sich in Grenzen. 

Nach einem kurzen Gespräch mit den anderen trennen sich unsere Wege wieder und jeder ging in sein Büro. Doch ich blieb nicht lange alleine. Keine 5 Minuten bin ich zurück und schon klopft wieder jemand an meine Tür. Die Person kam herein und ich wurde von jetzt auf gleich ganz nervös.

"Ich.. ich wollte mich nur kurz bei dir bedanken, wenn du zutun hast, kann ich gerne wie-" 

"Was? Ach so, bitte. Setz dich. Ich habe Zeit." 

Die Frau setzt sich in den Stuhl mir gegenüber und seit Ewigkeiten sind wir allein in einem Zimmer.
Jetzt, wo ich sie näher sehe, sieht man, dass sie überhaupt nicht gut aussieht. Ihre Haare sind an einigen Stellen ganz durcheinander, was normalerweise bei ihr nicht ist, sie hat tiefe Ringe unter ihren Augen und sieht generell aus, als ob sie in letzter Zeit wenig geschlafen hat. 

"Wie gesagt.. Ich möchte mich bei dir bedanken. Das, was du vorhin getan hast, ist nicht selbstverständlich." Seit wann wir wieder bei dem "du" sind, weiß ich nicht. Aber ich mag es mehr, als das förmliche. 

"Mach dir keine Gedanken. Das war selbstverständlich. Du- Wir sind Politiker und vor allem jetzt sollten sie sich für andere Dinge als das private interessieren."

Wieso wir uns die letzten 5 Tage aus dem Weg gehen ist immer noch nicht klar. Wir haben nur 5 Minuten geredet und dann ging sie wieder. Aber wie ich selbst gesagt habe: jetzt ist es wichtig, sich nicht auf privates zu konzentrieren, denn jetzt ist die Zukunft unseres Landes wichtiger. Die Zeit läuft und wir haben nur noch morgen, denn Samstag wird der letzte Tag sein, wo wir noch einmal das letzte herausholen können. 

𝑎𝑛𝑑 𝑦𝑜𝑢 𝑠𝑎𝑣𝑒𝑑 𝑚𝑒 -annalena baerbockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt